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Radikal oder gemäßigt: Es soll mehr Organspender geben – nur wie?

Am Mittwoch debattierte der Bundestag über die Organspenden. Im Ziel waren sich die Abgeordneten einig. Wie es zu erreichen ist, blieb strittig.

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Über eines sind sich die Parlamentarier immerhin einig: In Sachen Organspende gibt es hierzulande mächtig Handlungsbedarf. Etwa 10.000 Schwerstkranke, oft auf der Kippe zwischen Leben und Tod, stehen auf den Wartelisten für ein Spenderorgan. Und die Zahl der Menschen, denen nach ihrem Tod Organe entnommen wurden, lag im vergangenen Jahr, trotz massiver öffentlicher Appelle und eines Anstiegs um 20 Prozent, immer noch bei grade mal 955. Die entnommenen Organe – insgesamt 3113 – deckten nicht mal ein Drittel des Bedarfs.

Das kann nicht so bleiben, lautet der Konsens. Doch bei den Rezepten gegen das moralisch nicht Hinnehmbare gibt es Streit – und zwar über Fraktionsgrenzen hinweg. Am Mittwochnachmittag wurde dieser im Bundestag ausgetragen. Zur Debatte standen dort, in erster Lesung, zwei Gesetzentwürfe. Ein radikaler und ein etwas gemäßigterer.

Der radikale Vorschlag – formuliert von einer Gruppe um Gesundheitsminister Jens Spahn und SPD-Fraktionsvize Karl Lauterbach – sieht eine komplette Neuänderung vor. Jeder, der zu Lebzeiten nicht aktiv widersprochen hat, würde dann automatisch als Organspender geführt. Ihm dürften bei diagnostiziertem Hirntod auch ohne Spenderausweis Organe und Gewebe entnommen werden.

Baerbock-Entwurf setzt auf Hausärzte und Behörden

Der vorsichtigere Entwurf – initiiert von einer Gruppe um die Parteichefinnen von Grünen und Linken, Annalena Baerbock und Katja Kipping – will es dagegen bei der bisherigen Bedingung belassen, dass potenzielle Organspender dem Eingriff zu Lebzeiten aktiv und nachweisbar zugestimmt haben müssen. Um die Zahl der Spenden zu erhöhen, setzt dieses Modell auf verstärkte Ansprache der Bürger.

So sollten Hausärzte ihre Patienten „bei Bedarf aktiv alle zwei Jahre über die Möglichkeit einer Organ- und Gewebespende beraten“, sie auch zu einer Festlegung „ermutigen“. Und alle Ausweis- und Ausländerbehörden hätten die Bürger beim Abholen von Dokumenten nicht nur mit Info-Material zu versorgen, sondern sie gleichzeitig dazu aufzufordern, sich in ein vorgesehenes Organspende-Register eintragen zu lassen. Das wäre dann auch über Ärzte oder Transplantionsbeauftragte der Kliniken sowie auf eigene Faust möglich – per Online-Zugang mit geschützten Pin- und Tan-Nummern

Ethisch geboten oder verfassungsrechtlich bedenklich?

Wie unterschiedlich man die Dinge sehen kann, zeigte gleich der erste Redebeitrag. Darin bezeichnete Georg Nüßlein die Widerspruchsregelung als „Service“ für spendebereite Bürger. Schließlich müssten die dann, um Leben zu retten, gar nichts mehr tun. Und Lauterbach erklärte dieses Modell für „ethisch geboten“. Es müsse zumindest die Pflicht geben, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen und gegebenenfalls zu widersprechen, sagte er. Zudem hätten bereits 20 von 28 EU-Staaten eine solche Regelung. Ohne Widerspruchsregelung werde es keinen Anstieg der Spenderzahlen geben.

Baerbock dagegen warnte vor verfassungsrechtlichen Problemen. Bei der Widerspruchslösung handle es sich um „einen unverhältnismäßigen Eingriff“ ins Selbstbestimmungsrecht, „weil es mildere Mittel gibt“. Ein Vorteil ihres Modells sei das dazugehörige Online-Register, mit dem Klinikärzte schnell sehen könnten, wer Organe spenden wolle. Christine Aschenberg-Dugnus (FDP) fand, der Staat dürfe aus einem Akt freiwilliger Solidarität „keinen Pflichtakt machen“. Und die CDU-Gesundheitsexpertin Karin Maag betonte, dass Organspenden weder vom Staat erzwungen noch von der Gesellschaft erwartet werden könnten.

Leichter Vorsprung für die Widerspruchsregelung

Was die Kräfteverhältnisse betrifft, zeichnet sich momentan ein leichter Vorsprung für die Widerspruchsregelung ab. Das war bei der ersten Plenumsdebatte im November 2018 noch anders. Nach dpa-Informationen unterstützen inzwischen 222 Abgeordnete das radikalere Modell, darunter neben dem Minister auch Kanzlerin Angela Merkel. Der Gegenvorschlag bringt es bislang auf 191 Unterschriften – von insgesamt 709 Abgeordneten.

Interessanterweise scheint die Widerspruchsregelung in der Union auf eine Mehrheit zu kommen. In der SPD liegt die Unterstützerquote bei knapp 40 Prozent. Unter den Grünen dagegen findet der radikalere Vorschlag nach Aussagen von Mitinitiator Lauterbach bislang keinen einzigen Unterstützer. Endgültig entschieden werden soll im kommenden Herbst.

Patientenschützer: System muss in staatliche Hände

Patientenschützer kritisierten am Mittwoch grundsätzliche Versäumnisse der Politik. Zwar sei der Vorschlag der Baerbock-Gruppe deutlich besser als die Radikalforderung nach einer Widerspruchsregelung, weil er auf eine ausdrückliche und informierte Entscheidung setze, sagte der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch. Doch fehle auch diesem Entwurf „der Mut, das eigentliche Problem anzupacken“: das mangelnde Vertrauender Bürger in das bisherige System der Organspende. Um Transparenz und Gerechtigkeit bei den Verteilungskriterien sicherzustellen, gehöre es in staatliche Hände. „Bundestag und Bundesregierung dürfen die Verteilung von Lebenschancen nicht privaten Institutionen überlassen“, mahnte Brysch. Nur so lasse sich die Spendebereitschaft erhöhen.

Vom neuen Ärztepräsidenten kommt noch eine andere Idee: Wer sich zur Organspende bereit erkläre, könne auch bei der Vergabe der Spenderorgane bevorzugt behandelt werden, sagte Klaus Reinhardt der Funke-Mediengruppe „Das intensiviert den Gedanken, sich mit dem Thema zu befassen." In Israel werde dieses Modell mit Erfolg praktiziert. Es wundere ihn, dass dies in der politischen Debatte hierzulande bisher keine Rolle gespielt habe.

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