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Michael Sacher vor dem Bundestag, dessen Mitglied er drei Wochen war.

© Felix Hackenbruch

Bundestagsabgeordneter für drei Wochen: „Da ist ein Traum zerbrochen“

Drei Wochen saß Michael Sacher im Bundestag, nahm an Fraktionssitzungen teil und vernetzte sich. Doch mit dem amtlichen Endergebnis war der Grüne wieder raus.

Michael Sacher sitzt vor der Parlamentarischen Gesellschaft und schaut auf das Reichstagsgebäude. Ein paar Mitarbeiter kommen die Steintreppe hinunter, auf dem Vorplatz schlendern Hauptstadt-Touristen in den Herbstferien und machen Fotos. Sacher gehört irgendwie zu beiden Gruppen. Oder zu keiner. „Ich muss meine Rolle erst einmal wiederfinden“, sagt er und schaut wehmütig auf den Bundestag. Es ist sein dritter Besuch seit der Bundestagswahl vor vier Wochen und gleichzeitig sein Abschied aus dem politischen Berlin.

Drei Wochen war Michael Sacher einer von 118 Abgeordneten der Grünen-Fraktion. Über die Landesliste aus Nordrhein-Westfalen zog der 57-jährige Buchhändler aus Unna erstmals in den Bundestag ein. Die Freude war groß, die Aufregung auch. Die ersten Fraktionssitzungen, das Kennenlernen der anderen Abgeordneten, die ersten Bewerbungsgespräche für sein Büro. Die Kulturpolitik wollte er zu seinem Thema machen.

Doch vergangene Woche die Hiobsbotschaft vom Bundeswahlleiter. Laut dem amtlichen Endergebnis ist Sacher doch wieder raus. 1.587.067 Stimmen für die Grünen in Nordrhein-Westfalen reichen nicht. Weniger als 200 Stimmen im ganzen Bundesland fehlen ihm.

"Ich hatte ein paar schwere Tage"

Es klingt wie in einem schlechten Roman, nur das er so einen noch nicht kenne, sagt der Buchhändler ein paar Tage später bei einer Melange im Café Einstein Unter den Linden. Direkt gegenüber liegt das Otto-Wels-Haus, in dem er wahrscheinlich sein Bundestagsbüro bekommen hätte. Konjunktiv. Nun ist er nochmal in Berlin, um seinen Laptop bei der Bundestagsverwaltung abzugeben und sich von ein paar Parteifreunden zu verabschieden. „Ich hatte ein paar schwere Tage“, sagt Sacher.

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Als er Mitte April den Listenplatz bekam, sei er „mehr als sicher gewesen“, dass es für den Bundestag reicht. 17 Prozent hätte die Grünen in Nordrhein-Westfalen benötigt, damit sein Platz zieht. Bei der Listenaufstellung liegen die Grünen stabil bei über 20 Prozent, später fast bei 30. Doch die Umfragen konnten die Grünen mit Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock nicht halten. Einen Vorwurf will er ihr nicht machen, vor allem am Ende des Wahlkampfs habe sie stark performt. „Es ist eine starke Kampagne gegen Annalena Baerbock als Frau gefahren worden.“ 

Michael Sacher gehörte drei Wochen zur Grünen-Fraktion, jetzt ist er raus.
Michael Sacher gehörte drei Wochen zur Grünen-Fraktion, jetzt ist er raus.

© Felix Hackenbruch

Schon der Wahlabend wird zur Achterbahnfahrt für Sacher. Anfangs sieht es gut für ihn aus, doch mit jeder Hochrechnung sinkt der Balken der Grünen und damit sinken auch Sachers Chancen. Als er um ein Uhr ins Bett geht, sei er sich sicher gewesen, dass er gescheitert sei, erinnert sich Sacher. Doch als er ein paar Stunden später wach wird, findet er eine Gratulation auf dem Handy. Sacher denkt an einen Irrtum, doch immer mehr SMS treffen ein. Er informiert sich auf der Seite des Bundeswahlleiters. „Erst als mir ein Fraktionskollege aus Unna, der auch Jurist ist, gratulierte, habe ich es geglaubt.“ Es ist halb acht und Sacher packt schnell seine Sachen, bucht ein Ticket und setzt sich in den Zug nach Berlin. „Das ging holterdiepolter.“

In Berlin bekommt er einen ersten Einblick in den neuen Beruf. Kennenlernen der Fraktion im Haus der Kulturen der Welt, am nächsten Vormittag die erste Fraktionssitzung der Grünen – aus Pandemiegründen im Plenum des Bundestags. „Das war schwer beeindruckend.“ Er bekommt seinen vorläufigen Bundestagsausweis, seine Bahncard, einen Laptop. „Es war ein bisschen wie eine Einführungswoche.“

Die ersten Meldungen gibt es bei Twitter

Doch parallel tauchen bei Twitter erste Meldungen auf, dass sich nochmal etwas tun könnte. Bei Nachzählungen in einem Münchner Wahlkreis und in Bad Tölz wurden noch ein paar Dutzend Stimmen für die Grünen gefunden. Damit könnte der Grünen-Platz von Nordrhein-Westfalen nach Bayern wechseln. Sacher liest die Tweets, schenkt ihnen anfangs aber nur wenig Beachtung. Beim Bundeswahlleiter bekommt er dazu keine Auskunft.

Ein paar hundert Kilometer weiter, im bayerischen Dachau, liest Beate Walter-Rosenheimer ebenfalls die Tweets von diesem unbekannten und nicht offiziellen Account. Nach zwei Legislaturperioden hatte es für die jugendpolitische Sprecherin der Grünen auf Listenplatz 19 nicht mehr gereicht. „Ich habe meinen Mitarbeitern geraten, sich umzuschauen“, sagt sie am Telefon. Die Kisten in ihrem Büro waren schon gepackt und eingemottet.

"Das war mein Tiefpunkt"

Doch dann verkündet am vergangenen Montag der bayerische Landeswahlleiter das amtliche Wahlergebnis und in Dachau und Unna scheint klar – das Mandat wechselt. Eine offizielle Bestätigung vom Bundeswahlleiter gibt es jedoch immer noch nicht. Die ganze Woche hängen Michael Sacher und Beate Walter-Rosenheimer in der Luft. „Das war mein Tiefpunkt“, sagt Sacher. Er habe sich zurückgezogen, den Buchladen und die Straßen Unnas gemieden. Er habe keine Lust auf falsche Gratulationen gehabt. Als am Freitag der Bundeswahlleiter schließlich das amtliche Endergebnis verkündet, hat Sacher Gewissheit und gratuliert als erstes Walter-Rosenheimer. Später verabschiedet er sich in einer digitalen Fraktionssitzung von seinen Kurzzeit-Kollegen. Nur ein paar Worte, dann ist alles vorbei. Es ist der Tag, an dem das Ampel-Sondierungspapier vorgestellt wird. Die Grünen kommen wohl in die Regierung, aber Sacher ist raus.

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„Für ihn ist es total gemein. Da ist ein Traum zerbrochen“, sagt Beate Walter-Rosenheimer, die jetzt unerwartet viel zu tun hat. Immerhin ihre Büroleiterin habe sie halten können. Die 56-Jährige kann Sachers Gefühle nachvollziehen. Bei der Wahl 2009 sei sie abends mit einem sicheren Gefühl ins Bett gegangen, doch am nächsten Tag sei das Ausgleichsmandat dann nochmal zur FDP gewechselt. Beate Walter-Rosenheimer schaffte es nicht in den Bundestag. Erst 2012 rückte sie schließlich nach.

Sacher steht als Nachrücker bereit

Darauf hofft nun auch Michael Sacher. „Ich wünsche allen Abgeordneten nur gute Gründe, den Bundestag zu verlassen.“ Gerade im ersten Jahr passiere viel, es könnten sich Unzufriedenheiten ergeben. Seine Chancen seien hoch, immerhin ist sein Landesverband mit 27 Abgeordneten der größte in der Fraktion. „Es ist eine schwierige Situation, weil ich nicht sagen kann, ob ich in einem Monat, einem Jahr oder gar nicht nachrücke“, sagt er. Immerhin könne er nun wieder mehr lesen und sich auf das Weihnachtsgeschäft in der Buchhandlung vorbereiten. Sacher versucht nach vorn zu schauen, doch immer wieder erlebt er kleine Nadelstiche. Von den E-Mail-Verteilern hat man ihn wieder runtergenommen, gestern sei er aus der Whatsapp-Gruppe der Fraktion geworfen worden. Schmerzhaft, aber richtig. „Reinschnuppern zu können, hat es besonders fies gemacht“, sagt Sacher.

Verbittert wirkt er nicht. Andere Kandidaten würden direkt am Wahlabend rausfliegen, da berichte dann niemand, sagt er. Ich bin heilfroh, in einem Land zu leben, in dem man sich auf die Wahlergebnisse verlassen kann.“ Er hätte zwar davon profitiert, wenn das vorläufige Ergebnis nicht noch einmal überprüft worden wäre, doch es wäre dann kein korrektes Ergebnis gewesen. „Wir stehen da auf einem sicheren und stabilen demokratischen Fundament.“

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