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Horst Seehofer (CSU), Bundesminister für Inneres, Heimat und Bau, spricht im Deutschen Bundestag zu den Abgeordneten.

© Kay Nietfeld/dpa

Bundestag: Seehofer redet sorgsam ausbalanciert

In seiner Einstandsrede als Bundesinnenminister gibt sich Horst Seehofer gleichzeitig als Sheriff und Friedensrichter. Ein Bericht über seinen Auftritt und die Reaktionen.

Von Robert Birnbaum

Matthias Middelberg ist ein recht dröger Redner, aber ein leises Staunen ist dem CDU-Innenpolitiker anzuhören. „Ich glaube, wir haben heute einen Bundesinnenminister erlebt, der die Hand ausgestreckt hat“, sagt Middelberg. Horst Seehofer in der Regierungsbank deutet Nicken an. Am Freitag hat er seine Einstandsrede im Bundestag als „Bundesminister des Inneren, für Bau und Heimat“ gehalten, wie der amtliche Titel seines Großressorts heißt. Nach dem offenen Krach mit der Kanzlerin darüber, ob der Islam zu Deutschland gehört oder nicht, hätte man Revanche an gleicher Stelle erwarten können.

Aber erstens ist Angela Merkel gar nicht da, sondern in Brüssel. Zweitens sucht sich der CSU-Chef gerne selber aus, wo er welchen Kampf führt.

Und drittens ist der alte Hase in diesem neuen Bundestag schlicht noch nicht zu Hause. Die Debatte soll um neun Uhr beginnen. Um 8:41 Uhr strebt Seehofer seinem Platz auf der Regierungsbank zu. Da sitzt er ganz alleine, nur drei CDU-Abgeordnete sind schon im Plenarsaal. Der CSU-Chef lässt sonst gern mal auf sich warten. Aber ein Patzer bei dieser Premiere – nein, heute lieber überpünktlich.

Dabei ist er zunächst gar nicht gefragt, weil die AfD einen Antrag nachträglich auf die Tagesordnung setzen lassen will. Es geht um eine EU-Verordnung für strengere Abgas-Grenzwerte. Der AfD-Mann Dirk Spaniel erklärt sie zum Todesstoß für die deutsche Autoindustrie. Der Bundestag soll die EU für unzuständig erklären. Alle anderen Fraktionen sehen das mit dem Todesstoß gelassener, lehnen aber auch deshalb ab, weil die AfD sich vier Monate lang für diese Verordnung keinen Deut interessiert habe und jetzt plötzlich ankomme. Die AfD-Fraktion hebt Protestgebrüll an. Der Abgeordnete Spaniel springt auf und nieder.

Aus der AfD ertönt ein lautes "HAHAHA"

Seehofer sitzt leicht schräg in Richtung Rednerpult und sieht so das Gehüpfe von rechts nicht. Als er dran ist, sucht er den Mikrofon-Einschalter. Es ist halt ein Jahrzehnt her, dass er hier zuletzt als Minister stand. Er zitiert eingangs den Koalitionsvertrag – eine Stelle, an der Union und SPD versprechen, dass sie „den Zusammenhalt stärken“ wollten, und eine andere, dass sie „die Ängste der Menschen ernst nehmen“ wollen.

Aus der AfD ertönt ein lautes „HAHAHA!“ Aber gegen diese Art psychologischer Kleinkriegsführung ist er immun; eine Zwischenfrage von Rechts lehnt er mit der Begründung ab, er sei ein diskussionsfreudiger Mensch, aber seine Einstandsrede wolle er ungestört halten.

Die Rede ist nämlich ein sorgsam ausbalancierter Text. Sie enthält Futter für alle, die zumal von einem CSU-Innenminister Härte erwarten: „Null Toleranz“ gibt Seehofer vor, von einer „Maxime Vorfahrt für Sicherheit“ will er sich leiten lassen, auch beim Umgang mit Daten, die Begrenzung der Zuwanderung kündigt er an und „keinerlei sozialromatisches Verständnis bei Straftätern und Gefährdern“.

Aber neben dem Schwarzen Sheriff steht unsichtbar ein zweiter mit am Pult, ein Friedensrichter sozusagen. „Sicherheit ist nicht rechts oder links, nicht konservativ oder progressiv – sie ist ein Menschenrecht“, verkündet der, oder auch: „Null Toleranz gibt es für mich auch bei Hassparolen und Gewalt gegenüber Andersdenkenden und Andersgläubigen.“ Sicherheit beginne an der Grenze, aber: „Trotzdem gibt es keinen Grund, Menschenrechte in Frage zu stellen, auch nicht das Asylrecht.“

Darüber, zu wem nun der Islam gehört, verliert der Minister unter der Reichstagskuppel kein Wort. Das bleibt der Opposition überlassen. Der von liberal bis links – die unterstellt ihm Wahlkampfgetöse; der Bundestag dürfe nicht zur „kleinkarierten Weißwurschtbude“ werden, sagt der Grüne Konstantin von Notz; FDP- Fraktionsgeschäftsführer Marco Buschmann warnt, Ausgrenzung treibe nur den Fundamentalisten neue Anhänger zu.

Und der Opposition von rechts. „Sie haben die Herrschaft des Unrechts beklagt“, ruft der AfD-Abgeordnete Gottfried Curio, „jetzt regieren Sie mit ihr!“ Ein „Ankündigungspolitiker“ sei der neue Minister, „Etikettenschwindel“ betreibe er. „Für zwei Drittel der Deutschen gehört der Islam nicht zu Deutschland“, sagt Curio, „die AfD gibt diesen Menschen einen Stimme.“

Seehofer hat sich über Merkel geärgert

Das war fast wörtlich der Satz, mit dem CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt vor zwei Tagen auf Merkel geantwortet hatte, nur natürlich mit Menschenvertretungsanspruch für die eigene CSU. Kaum anzunehmen, dass Curio den CSU-Mann versehentlich kopiert.

Seehofers Antwort auf Merkel findet aber nicht im Bundestag statt. Es hat ihn nämlich maßlos geärgert, dass die Kanzlerin ihm in ihrer Regierungserklärung hochoffiziell widersprochen hat – der Islam sei inzwischen „zum Teil Deutschlands“ geworden, hatte Merkel gesagt. Für dieses Verfahren fehle ihm jedes Verständnis, sagt Seehofer dem „Spiegel“. Er wählt folgerichtig den Bayerischen Rundfunk als Ort seiner Replik. Es gehe nicht um Ausgrenzung von Menschen, die hier lebten, sondern um „die Identität Deutschlands“. Und da lasse sich ja wohl wirklich nicht bestreiten, „dass viele Elemente des Islam dieses Land nicht geprägt haben“.

„Viele Elemente des Islam“ – ist das daher gesagt oder eine Relativierung, also auch ausgestreckte Hand? „Ich werde meine Politik nicht ein Jota ändern“, versichert Seehofer im „Spiegel“. Das hat Merkel von ihm aber gar nicht verlangt.

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