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Bei der Trauerfeier für den verstorbenen Parlamentsvizepräsidenten Thomas Oppermann (SPD) sitzen die Abgeordneten in Abstand zu einander im Plenum

© dpa

Bundestag in der Coronakrise: Wie die Abgeordneten gegen den Kontrollverlust kämpfen

Die Parlamentarier wollen wieder stärker wahrgenommen werden – und fordern mehr Mitsprache in der Corona-Politik.

Tage wie diesen sollte es öfter geben. Das wünschen sich zumindest FDP und Grüne. An diesem Donnerstag wird Kanzlerin Angela Merkel (CDU) im Bundestag eine Regierungserklärung zur aktuellen Lage in der Corona-Pandemie abgeben. Dass Merkel vor das Parlament tritt, ist ihre eigene Entscheidung. Zwingen kann sie niemand dazu. Doch geht es nach Liberalen und Grünen, dann wird die Kanzlerin bald gesetzlich zu solchen Auftritten verpflichtet.

„Wir wollen nicht darauf angewiesen sein, dass die Bundesregierung selbst entscheidet, wann sie uns informieren möchte“, sagt Britta Haßelmann, die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, im Bundestag. Ihre Fraktion hat sich deshalb einer FDP-Initiative für mehr Transparenz angeschlossen. Vor und nach internationalen Gipfeln, fordern die beiden Fraktionen, soll es im Bundestag „sowohl eine Vorbereitungsdebatte als auch eine Nachbereitungsdebatte“ geben – inklusive Auftritt der Kanzlerin.

Das Thema wollen FDP und Grüne diese Woche im Geschäftsordnungsausschuss diskutieren, im Winter soll es eine Expertenanhörung dazu geben.

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Der Vorstoß passt zu den aktuellen Bestrebungen aus dem Bundestag, die Regierung wieder stärker zu kontrollieren. In der Coronakrise spielt vor allem die Exekutive – Kanzleramt und Ministerien – die Hauptrolle. Bis in die Koalitionsfraktionen hinein wächst deshalb bei den Bundestagsabgeordneten die Unzufriedenheit – über den eigenen Bedeutungsverlust, aber auch die Informationspolitik der Regierung. Es brauche eine „Re-Parlamentarisierung“, fordert Marco Buschmann, Fraktionsgeschäftsführer der FDP im Bundestag.

Britta Haßelmann ist Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen im Bundestag.
Britta Haßelmann ist Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen im Bundestag.

© dpa/Michael Kappeler

Die Opposition stört sich schon länger daran, dass das Parlament in der Coronakrise zu wenig Entscheidungsbefugnisse habe. So ermächtigt das Infektionsschutzgesetz das Bundesgesundheitsministerium, weitreichende Entscheidungen per Verordnung zu treffen. Dazu gehört, Einreisende aus Risikogebieten zu einer ärztlichen Untersuchung zu verpflichten oder den Bahnverkehr nach Deutschland zu stoppen. Auch können die Landesregierungen Kontaktverbote verhängen oder die Bewegungfreiheit einschränken.

Gesetzliche Basis für Einschränkung der Grundrechte

Es sei verständlich, dass zu Beginn der Pandemie „in der Hektik“ vieles per Verordnung gemacht worden sei, sagt Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter. Aber nach neun Monaten könne es so nicht weitergehen. Die Grünen fordern deshalb eine Art Parlamentsvorbehalt. Massive Einschränkungen der Grundrechte müssten auf eine „bessere gesetzliche Basis“ gestellt werden, sagt Hofreiter.

So sehen es auch die Liberalen, die sich von der Tatsache bestärkt fühlen, dass Maßnahmen wie das Beherbergungsverbot zuletzt mehrfach gerichtlich gekippt wurden. Eine Beteiligung des Bundestags könne vor politischen „Überreaktionen und Fehlentscheidungen“ schützen, sagt Buschmann. Über den Weg durch die Pandemie müsse in den Parlamenten „politisch gerungen“ werden und nicht im kleinen Kreis im Kanzleramt, fordert der FDP-Vorsitzende Christian Lindner.

Marco Buschmann ist Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP im Bundestag.
Marco Buschmann ist Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP im Bundestag.

© AFP/John MACDOUGALL

Dass die Runde der Länderchefs und -chefinnen zusammen mit der Kanzlerin zum informellen Entscheidungsgremium in der Krise geworden ist, sorgt in der Opposition für Unmut. Entscheidungen „hinter verschlossenen Türen“ seien für die Bürger schwer nachzuvollziehen, kritisiert der Linken-Abgeordnete Achim Kessler. Das gefährde insgesamt die Akzeptanz der Corona-Politik, heißt es auch bei Grünen und Liberalen.

Mit ihren Forderungen stehen die Oppositionsvertreter nicht allein da. Auch Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) hatte zuletzt an alle Fraktionen appelliert, die Rolle des Parlaments in der Coronakrise wieder zu stärken. Die Abgeordneten haben daran auch ein eigenes Interesse. Immerhin steuern sie auf die Bundestagswahl zu, bald geht es an die Listenaufstellungen der Parteien. Da wollen die Parlamentarier noch einmal die eigene Relevanz betonen und ihre Arbeit ins Schaufenster stellen.

Die Liberalen nehmen auf Landesebene, wo der Großteil der Anti-Corona-Maßnahmen umgesetzt wird, dafür auch Konflikte mit ihren Koalitionspartnern in Kauf. In Nordrhein-Westfalen, wo die FDP mit der CDU regiert, werde da teils „hart gerungen“, sagt Buschmann. Auch dort fordern die Liberalen mehr Mitsprache des Parlaments. In der Union wiegelte man zuletzt jedoch ab. Landtagspräsident André Kuper (CDU) betonte vor wenigen Tagen, dass die Abgeordneten in Düsseldorf die „ihnen mögliche Verantwortung und Kontrollfunktion“ genügend wahrnähmen.

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