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Solidarität: Einige Abgeordnte tragen im Plenum Kippa im Plenum, die jüdische Kopfbedeckung.

© Michael Kappeler/dpa

Bundestag debattiert über Israel: Glückwünsche, Bekenntnisse und ein paar Reizwörter

Der Bundestag diskutiert über Israels Gründung vor 70 Jahren. Es gibt viel Einigkeit, etwa beim Existenzrecht. Doch an der Oberfläche gemeinsamer Positionen lauern Risse.

Von Robert Birnbaum

Andrea Nahles erzählt dem Bundestag eine kleine Geschichte. Einmal, berichtet die SPD-Partei- und Fraktionschefin, habe sie mit einer SPD-Delegation in einem israelischen Kibbuz einen deutschen Überlebenden des Judenmords getroffen.

Der alte Mann habe sich sehr gefreut und schließlich bekannt, dass er gerne noch einmal Berlin sehen würde. Einer aus der Delegation habe ihm seine Visitenkarte gegeben – das lasse sich einrichten, er möge sich bitte melden. In dem Moment seien dem Mann die Gesichtszüge entglitten. „Melden“ – in dem einen Wort kam alles wieder hoch, die ganze bürokratische Mordmaschine, der er nur knapp entkam.

Für Nahles ist die Episode Beleg dafür, wie sensibel das Verhältnis zwischen Deutschen und Israelis immer noch ist. Die Debatte zum 70. Geburtstag des Staates Israel, in der sie am Mittwoch von der Begegnung erzählt, taugt als Beleg nicht minder.

Es fängt damit an, dass dem Parlament zwei Anträge vorliegen. Einen haben Union, SPD und FDP gemeinsam eingebracht, den anderen Grüne und Linke. Die AfD stimmt dem Mehrheitsantrag zu, die Grünen beiden – man sei mit dem Text der drei anderen Fraktionen einverstanden, nur fehle dort einiges, erklärt Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt: Ein klares Angebot einer Doppel-Staatsbürgerschaft wäre „ein gutes, ein angemessenes Geschenk“ zum Geburtstag.

Man könnte trotzdem von einer ungewöhnlich großen Einigkeit sprechen. Selbst der grün-linke Antrag ist insofern ein Schritt auf die Mehrheit zu, als er ein paar Punkte enthält, die bei den Linken nicht jedem gefallen, wie etwa eine Absage an linke Boykottaufrufe gegen Israel.

Doch unter der Oberfläche gemeinsamer Bekenntnisse lauern Risse. Sie haben wenig mit Israel zu tun. Dass der Holocaust nicht der einzige, aber ein entscheidender Grund dafür war, dass David Ben Gurion vor 70 Jahren die Unabhängigkeit Israels ausrief, ist zwischen den Rednern unstreitig. Dass sich daraus für Deutschland eine fortdauernde Verantwortung ergibt, das Existenzrecht dieses Staates zu verteidigen, bekräftigen alle.

"Wir haben keine Schuld, aber Verantwortung"

Israel, sagt Unionsfraktionschef Volker Kauder, sei der einzige Staat der Welt, der jeden Tag um seine Existenz bangen und ringen müsse. Es sei richtig, sagt auch AfD-Fraktionschef Alexander Gauland, wenn Kanzlerin Angela Merkel dieses Existenzrecht zum Teil der deutschen Staatsräson erklärt habe – was allerdings in letzter Konsequenz heißen müsse, für Israel zu kämpfen und zu sterben.

Die Einigkeit endet da, wo die feierliche Stunde den heißen Zonen der innenpolitischen Auseinandersetzung nahe kommt. „Wir haben keine Schuld, aber Verantwortung, und diese Verantwortung kennt keine Schlussstriche“, ruft Nahles. Das sei kein „Schuldkult, wie es aus der rechten Ecke heißt“, bekräftigt Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch.

Die Grüne Göring-Eckardt wird noch direkter und geht Gauland persönlich an: So lange sich die AfD nicht von einem wie Björn Höcke und seiner „Denkmal der Schande“-Rede klar distanziere, könne sie seine Sätze über Israels Existenzrecht so wenig ernst nehmen wie die Absage an Antisemitismus: Als „Wolf im Schafspelz“ trete der Fraktionschef vor dem Bundestag auf.

Judenfeindschaft unter Migranten

Dabei ist der AfD-Mann so schafspelzig gar nicht. „Antisemitismus darf nicht zum Kollateralschaden einer falschen Einwanderungspolitik werden“, sagt Gauland. Die Abgeordnete Beatrix von Storch leitet aus der Situation des allseits bedrohten Israel den Schluss ab, dass „eine Welt offener Grenzen“ mit dem Existenzrecht dieses Staates unvereinbar wäre.

Zwar hat überhaupt niemand im Reichstag von Israel offene Grenzen gefordert, und auch sonst ist der Vergleich recht weit hergeholt. Aber das Reizwort fürs eigene Publikum ist auf diese Weise wieder einmal platziert, eine Technik, die Storch mittlerweile im Groben wie im Feinen sehr gut beherrscht.

Dass Judenhass und Israel-Feindschaft keineswegs erst mit Flüchtlingen ins Land gekommen ist, überlässt die „Alternative“ anderen zu erwähnen. „Antisemitismus gibt es nicht nur in migrantischen Milieus“, betont der Linke Dietmar Bartsch und erinnert daran, dass jüdische Einrichtungen hierzulande seit Jahrzehnten unter Polizeischutz stehen müssen.

Auch Nahles’ Absage an Schlussstrich gilt ausdrücklich allen, die gegen Israel oder Juden hetzen, egal ob sie Nachgeborene seien oder zur Gruppe derer gehörten, „die zu uns gekommen sind.“

Der Mehrheitsantrag drückt sich ebenfalls nicht um diesen Teil des Problems herum. „Wer in Deutschland leben will, und sei es nur vorübergehend, muss das Existenzrecht Israels anerkennen“, heißt es im Text. Im grün-linken Antrag, der keine Mehrheit findet, werden ausreichende Mittel für die politische Bildung gefordert ausdrücklich auch mit Blick auf die Integration. „Jeder hat Platz in dieser Gesellschaft, aber nicht der Antisemitismus“, fasst Kauder zusammen.

Wenigstens dem zweiten Teil seines Satzes widerspricht keiner.

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