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Das Ressort von Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) untersucht abermals für viel Geld die Bedürfnisse von Brennpunktschulen, statt das Geld dort zu investieren.

© dpa

Bundesprogramm "Schule macht stark": Der wahre Brennpunkt ist das Bildungsministerium

Als lägen nicht längst alle Erkenntnisse auf dem Tisch, startet die Politik die nächste Erkundungsrunde in Sachen Bildungsgerechtigkeit. Wieder nur ein Feigenblatt. Eine Kolumne.

Eine Kolumne von Caroline Fetscher

Als die junge Frau einen Job als Reinigungskraft in einer Shopping-Mall bekam, war sie froh. Böden, Schaufenster und Waschräume wischen, der Lohn aufgestockt vom Staat, drei Schulkinder im Hort – es war besser, als Arbeitslosigkeit. Aber ihre Tochter schämte sich in Grund und Boden. Sie war elf, Prestige war wichtig auf dem Schulhof. Wütend verlangte sie: „Mama, trag beim Putzen eine Perücke, damit dich nie jemand aus meiner Schule erkennt!“ Wenig später erzählte die Mutter das traurig einer Nachbarin: „Ich kann meinen Kindern gar nichts bieten!“

Das stimmte nicht. Die Frau ist herzlich, hat Humor und kocht fantastisch. Und es stimmte doch. Ihre eigene Schulbildung ist dürftig, bei den Hausaufgaben kann sie selbst den Jüngsten nicht helfen. Am Wochenende läuft von morgens bis abends der Fernseher. Höhepunkte des Lebens sind Familienfeiern und Grillfeste in der Grünanlage. Chancengleichheit existiert für Kinder solcher Haushalte schlicht nicht. Sogar in der fehlgeleiteten Aggression der Tochter ist diese Erkenntnis virulent, während bildungsbürgerliche Bildungspolitiker weiterhin wenig Ahnung von der Dimension der Aufgabe zu haben scheinen.    

Der Schulstandort als Problem? Tatsächlich?

Schule macht stark“ heißt eine neue Initiative von Bund und Ländern, gedacht „zur Unterstützung von Schulen in sozial schwierigen Lagen“. Dazu teilt das Bildungsministerium mit: „Sie sind gleich alt, besuchen die gleiche Schulform, versuchen sich an den gleichen Aufgaben – und dabei trennen sie Welten: Viele Schülerinnen und Schüler sind ihren Altersgenossen weit voraus.“ Und das Ministerium analysiert: „Ein Grund dafür kann der Standort ihrer Schule sein.“

Tatsächlich? Nicht Standorte von Schulen sind ja die Ursachen für das Gefälle, sondern Herkunft und Hintergrund. Welten trennen die Kinder, weil in der Welt der einen die Elternhäuser Bücher und Gärten mitbringen, Diskussionen und Reisen, Musikunterricht und Besuche von Museen und Konzerten. In der Welt der Anderen gehört all das zu einem anderen Planeten. In der anderen Welt leben Leute wie die Frau mit der wütenden Tochter, also neun Millionen Niedriglöhner im Land, und auch die zwei Millionen Kinder in Hartz-IV-Familien. Viele Leute.

Über die Kinder in dieser anderen Welt merkt das Ministerium an: „Sie wachsen oft in einem armutsgefährdeten Haushalt auf, und ihre Eltern sind meist formal geringer qualifiziert oder erwerbslos. Zudem sprechen viele von ihnen nicht muttersprachlich Deutsch.“ Ja, der „Standort der Schule“ ist ein sekundäres Phänomen, das nur mit den primären Bedingungen zusammenfällt. In Berlin gelten Schulen mit acht von zehn Schülern aus Armutsfamilien als „Brennpunktschulen“, rund sechzig erfüllen allein hier das Kriterium, Hunderte weiterer gibt es im übrigen Land. Milliarden müssten investiert werden, damit diese Generationen im rapiden Strukturwandel der Gesellschaft gewachsen sein wird, und sie nicht von einer Transferkohorte zur nächsten gelangt.    

Neue Erkundungen, neue Strategien - dabei ist alles bekannt

Mit „Schule macht stark“ soll also ein Jahrzehnt lang erkundet werden, was „Brennpunktschulen“ brauchen, was die brennende Ungerechtigkeit löschen kann. 125 Millionen Euro soll es kosten, bei Licht besehen rund eine Million im Monat, was etwa zwei Dutzend Lehrerstellen entspricht. Ohnehin soll mit dem Geld für die „armutsgefährdeten“ Kinder vor allem ein Forschungsverbund finanziert werden, der 2021 bis 2025 mit 200 ausgesuchten Schulen „Strategien und Konzepte für die Praxis“ ausarbeitet. Dann, von 2026 bis 2030, sollen von den Resultaten sollen auch andere Schulen profitieren. 2030? Ja, 2030!

Geht es um Best Practice, den sinnvollsten Ansatz überhaupt, sind ja die Beispiele längst da, wie die Träger des Deutschen Schulpreises beweisen. Würden deren Erkenntnisse flächendeckend umgesetzt, wäre die herrschende Bildungs-Lotterie auf dem Armutsgelände rascher beendet, als mit dieser unterfinanzierten Schneckenstrecke, die Lehrerverbände bereits kritisieren. Schon das „Bildungspaket“ mit seinem Zuschuss von inzwischen 15 Euro pro Kind und Monat für Sport, Musik und Nachhilfestunden scheiterte weitgehend an zu viel Bürokratie und der jämmerlichen Summe. Mit 15 Euro lässt sich eine Gitarrensaite kaufen, aber weder Instrument noch Unterricht. Die Mittel müssten direkt an die Schulen, um da anzukommen, wo sie sollen.   

Einstweilen werden weiter hunderttausende Kinder durch die Brennpunktzonen der Republik geschleust, und solange bildet den wahren Brennpunkt der Bildungsszene das Ministerium für Bildung und Forschung selbst. 500 Millionen Euro hat es unlängst für die Entwicklung einer Batteriefabrik vergeben, zum Erstaunen einiger ausgerechnet in der Region, in der die amtierende Ministerin ihren Wahlkreis hat. Batterien, Speichermedien, sind eine grossartige Sache, ohne Frage. Was die Köpfe und Seelen der Kinder von heute speichern und verarbeiten, womit sie so souverän und kreativ wie möglich ihre Laufbahn meistern, darauf kommt es an.

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