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Debatte im Schloss: Gerald Asamoah, Gloria Boateng, Vanessa Tadala Chabvunga, der Bundespräsident und Daniel Gyamerah (v.l.n.r.)

© Reuters

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier: „'Ich bin doch kein Rassist' ist keine Antwort auf Rassismus“

Der Bundespräsident fragt Schwarze Deutsche über ihre Erfahrungen und Erwartungen - nicht ganz unbefangen. Ein Ortstermin.

An einem großen Berlin Gymnasium überreichte ein Mitschüler ihr ein Hitler-Porträt, das er gezeichnet hatte: „Wenn der noch hier wäre, wärst du tot.“ Der Mann neben ihr war Bundesliga- und später deutscher Nationalspieler, sah sich angenommen und respektiert. Bis er 1996, damals mit Hannover 96,während eines Spiels in Cottbus mit Bananen beworfen wurde. Die Dritte der Runde ist Lehrerin im weltoffenen Hamburg und bekam für ihr Engagement zugunsten bildungsbenachteiligter Kinder das Bundesverdienstkreuz. Aber sie sagt: „Ich bin zusammengeschlagen worden, ich wurde bespuckt. Der Einzige, das mir hier noch nicht genommen wurde, ist mein Leben.“

Dabei ist dieses Hier Deutschland, ihr Land, "ein tolles Land", wie sie später sagen wird, "ich lebe so gern hier".

Fußballer Asamoah: Es hat sich nichts verbessert

Drei von mehreren Schreckensgeschichten, die der Bundespräsident an diesem strahlenden Berliner Vormittag im Schloss Bellevue erzählt bekommt von seinen vier Gästen, zwei Männern, zwei Frauen unterschiedlicher Herkunft und Alters. Was sie erlebt haben, hat einzig mit einer Gemeinsamkeit zu tun: Sie alle sind Schwarz. Und so hat sich die Frage praktisch schon beantwortet, bevor der Gastgeber sie ihnen stellt - nämlich ob Rassismus in Deutschland sich verändert habe, stärker oder weniger stark geworden sei.

Trotz allem, was sie erlebt habe, müssen sie immer noch hören: "Du übertreibst, so schlimm ist es nicht“, sagt Gloria Boateng, die Hamburger Lehrerin. „Es ist aber noch viel schlimmer. Und das muss man erst einmal sehen wollen. Ich erlebe aber in diesem Land, dass man es nicht nicht sehen will." Und Gerald Asamoah, der mit der deutschen Nationalmannschaft „fast Weltmeister“ (Steinmeier) wurde und sich in seiner deutschen Heimatstadt Hannover schon als Zwölfjähriger herzlich aufgenommen fühlte, kann nicht viel Optimismus beisteuern: „Ich dachte einmal, es sei viel besser geworden. Aber wir haben 2020 und wir reden über Rassismus. Es hat sich leider nichts verbessert.“

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Von Strukturen spricht der Präsident nicht

Steinmeier und Gäste geben an diesem Dienstagmorgen eine Deutschstunde, der man mehr Publikum gewünscht hätte als nur ein paar Journalistinnen, die sich im großen Saal auf Corona-Distanz fast verlieren. Nach dem öffentlichen brutalen Tod von George Floyd in Minneapolis, da auch Deutschland vor allem Richtung USA starrt und in öffentlich-rechtlichen Talkshows zum Thema nicht selten ausschließlich weiße Haut die Sessel besetzt , hat der Bundespräsident eine Runde ausschließlich aus Afrodeutschen eingeladen. Er wolle zuhören, sagt er, von Einsichten und Erfahrungen lernen, die er „ als weißer Mann mit weißen Haaren“ nicht machen müsse.

In seiner Begrüßung weist er auf den Auftrag des Grundgesetzes hin, das die Würde des Menschen ganz nach oben gesetzt habe. Daraus ergebe sich die Verpflichtung, sich einzusetzen, Position zu beziehen, Gegenrede zu üben „Und was immer am schwierigsten ist, Selbstkritik, Selbstüberprüfung“. Dass man selbst kein Rassist sei, dürfe "keine Antwort auf Rassismus sein. Jedenfalls nicht für Demokratinnen und Demokraten“, sagt Steinmeier. „Wir müssen Antirassisten sein.“

Und dann macht Steinmeier selbst klar, wie schwer das praktisch werden kann. Das derzeit heiß diskutierte Wort „strukturell“ kommt ihm nicht über die Lippen. Dass es auch „Fälle von Gewalt gegen Schwarz in deutschen Gefängnissen" gebe, sagt er zwar, "ungeklärte Todesfälle in der Haft“. Aber Polizei und Sicherheitskräfte in Deutschland seien „vertrauenswürdige Vertreter des Staates. Ausnahmen von dieser Regel sind Ausnahmen geblieben.“

Nach fünf Minuten im Mercedes die erste Kontrolle

Eine Leerstelle in dieser kleinen Rede, die sonst das Zeug zu einer grundsätzlichen und großen hätte. Und in die Daniel Gyamerah sofort stößt, als er Steinmeier antwortet. Höflich vermeidet er offenen Widerspruch, aber er hält Steinmeiers Worten Schwarze Erfahrung dagegen - seine eigene auch, obwohl er wie andere Schwarze „vorsichtig mit dem Teilen persönlicher Erfahrung“ sei, die immer wieder traumatische Erfahrung zurückbringt. Als vor Jahren seine Abiturfeier im heimatlichen Tübingen um fünf Uhr morgens mit einer kleinen Randale seiner betrunkenen Mitschüler vor einer Bäckerei endete, hätten die um die Ecke verschwinden können, als Mannschaftswagen der Polizei anrückten. Kontrolliert habe die nur ihn, den einzigen, der, als Leistungssportler, nüchtern war - und schwarz.

Gerald Asamoah erinnert sich sofort an sein erstes Auto. Er habe den Mercedes "noch keine fünf Minuten gefahren, da sei er angehalten und kontrolliert worden". Auf Nachfrage hätten die Beamten, die den prominenten Fußballer erkannten, eingestanden, dass ein Schwarzer in einem teuren Wagen nun mal ihren Argwohn errege. "Die waren ehrlich."

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Schwarze Menschen alarmiere der Anblick jedes Polizeiautos, ständige Kontrollen durch die Polizei sei ihrer aller Erfahrung, sagt Gyamerah, der heute beim Thinktank „Citizens for Europe“ arbeitet und als ehrenamtlicher Vorstand der Schwarzen Bildungsinititative Eoto gerade den ersten deutschen Afrozensus vorbereitet. Es sei daher eine „Unverschämtheit“, wenn die Polizeigewerkschaften, wie aktuell, gegen Rassismusvorwürfe sofort in „Abwehrhaltung“ gingen, statt dieser massenhaften Erfahrung Raum zu geben.

Was tun? Daten erheben, Wissen schaffen, einschreiten

Gloria Boateng sekundiert: Es sei der Rassismus in den Institutionen, der begriffen werden müsse: „Solange wir das Thema individualisieren, setzen wir uns nicht wirklich auseinander.“ Was also tun, will Steinmeier von seinen Gästen wissen. Gyamerah hat eine ganze Liste praktischer Vorschläge: Der UN antworten, die das Jahrzehnt der Afrikastämmigen ausgerufen hat – aber aus Deutschland noch keinen Aktionsplan gesehen hat. Antirassistische Arbeit als gemeinnützig anerkennen. Daten zur Lage Schwarzer erheben. Und dann gebe es in Deutschland auch noch „nicht eine einzige Professur zu Black Studies“ – die fehlende Produktion von Wissen behindere bessere Politik.

Vanessa Tadala Chabvunga, die 18-jährige Berliner Schülerin, die nach ihren Diskriminierungserfahrungen aufs Jüdische Gymnasium wechselte, wünscht sich vorerst einen geschützteren Alltag, „kleine Dinge“, nennt sie es. Dass andere nicht wegsehen, wenn sie im Bus mit dem N-Wort beleidigt wird. Dass Leute einschreiten. „Sonst hätte der Rassismus gewonnen.“

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