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Die Bundespolizei ist wieder in Saudi-Arabien. Das Archivbild zeigt Kanzlerin Merkel und den saudischen König Abdelasis al-Saud.

© Bernd Von Jutrczenka/dpa

Bundespolizei wieder in Saudi-Arabien: Doppelte Standards sind eine deutsche Tradition

Obwohl in Saudi-Arabien Menschenrechte missachtet werden, unterstützt die Bundespolizei wieder das Regime. Dieses Kalkül sendet falsche Signale. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Caroline Fetscher

Am Rande der großen Geschehen schlüpfen vermeintlich kleinere Meldungen oft durch die Maschen. Neben dem Versuch der Amtsenthebung Donald Trumps, neben Chinas Versuch, eine Pandemie einzuhegen, scheint diese Sache marginal: Deutschland entsendet erneut Trainer der Bundespolizei nach Saudi-Arabien, um dort „Sicherheitskräfte“ auszubilden.

Acht Ausbilder sollen unterwegs, fünf Koordinatoren bereits in Riad in einem Büro installiert sein, das 2009 aus sicherheitspolitischen Interessen gegründet wurde. Der „Spiegel“ spricht von einer „heiklen Auslandsmission“, was noch freundlich klingt.

Nachdem im Oktober 2018 der unliebsame Journalist Jamal Khashoggi im saudi-arabischen Konsulat in Istanbul „verschwand“, wo er offenbar getötet wurde, hatte die schockierte Bundesregierung das Polizeiprojekt angehalten und auch Waffenlieferungen storniert. Nach wie vor wird der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman verdächtigt, direkt in den Tod von Khashoggi involviert gewesen zu sein.

Exportstopp für Rüstung gilt weiter

Der Exportstopp für Rüstung gilt weiter, doch bei den Sicherheitskräften und Grenzern will man weniger kleinlich sein, wie die Regierung schon im Herbst 2019 entschieden haben soll. Immerhin hatte das reiche und ölreiche Land Technik für Passkontrollen und Grenzüberwachung aus Deutschland gekauft, inklusive Lehrprogramm mit deutschen Fachleuten.

Thorsten Frei, stellvertretender Vorsitzender der Unions-Fraktion im Bundestag, beteuerte gegenüber dem Deutschlandfunk, die Ausbildung liege „im außenpolitischen Interesse Deutschlands“, es gehe um Urkundenerkennung und grenzpolizeiliche Analyse.

Verblüffend wirkt die Kontinuität westlicher Doppelstandards gegenüber autoritären Regimen, die heute öfter unter dem Rubrum „andere Kulturen“ firmieren. Das belegen vergangene Stimmen, die hochaktuell klingen. So erklärte Thomas Mann im November 1949 anlässlich der Jagd auf Kommunisten im Kalten Krieg: „Aber irgendeine Stellungnahme gegen solche Staaten, die in ihrem Hoheitsgebiet und in ihren Kolonien die förmliche Sklaverei und den förmlichen Sklavenhandel dulden, vermeiden wir, und mit Saudi-Arabien, dem Land der grausamsten Sklavenausbeutung, stehen wir sogar auf besonders herzlichem Fuß.“

1956 notierte der Sozialphilosoph Max Horkheimer in seinen Gedanken über die Dekolonisierung: „Die barbarischen Staaten bei den Völkern, die heute hochkommen und mit denen man von gleich zu gleich verhandelt, sind symbolisch für das, was jetzt über Europa Macht gewinnt.

Erlerntes soll nicht unter Missachtung der Menschenrechte angewendet werden

Heute fliegen die Bürger in ein paar Stunden nach Saudi-Arabien, berichten in den Illustrierten über die wegen eines Diebstahls abgehackte Hand – und verhandeln weiter von gleich zu gleich. Das schlägt auf die eigene Mentalität, von Hitler und Franco schon aufgeweicht, zurück.“ Mit solcher Gleichgültigkeit aber, schloss er, verschwinde „der Abscheu vor dem Grauen“, der Kern und Stolz europäischer Zivilisation war.

Heutige Kritik klingt zahmer, nüchterner. Für einen „Fehler“ hält nicht nur der FDP-Politiker Benjamin Strasser die Entscheidung, in der jetzigen Lage weiterhin saudische Uniformierte fortzubilden. „Wo die Bundespolizei ausbildet“, sagte er dem „Spiegel“, da „sollten wir uns sicher sein können, dass Erlerntes nicht später unter Missachtung von Menschenrechten angewendet wird“.

"Völlig verantwortungslos"

Es brauchte nicht erst den Fall Khashoggi, um zu wissen, wie Saudi-Arabien es mit Menschenrechten hält. Sie gelten auch in „anderen Kulturen“, denn bekanntlich haben die Menschen dort nicht auch andere Nerven. Die Linke Sevim Dagdelen sagte dem Deutschlandfunk, hier wolle man „unter dem Radar“ die Beziehungen normalisieren. Das sei „völlig verantwortungslos“, da die Lage noch dieselbe sei.

Das Kalkül der Doppelstandards in solchen Fällen folgt einer Binnenlogik: Menschenrechte werden angemahnt, hier und da kleine Handelsschrauben angezogen. Ansonsten sind dem Westen Staaten, die Terror gegen Oppositionelle anwenden, gut genug als Verbündete etwa gegen nichtstaatlichen Terror. Allerdings sendet solches Kalkül dauerhaft falsche Signale, psychologisch wie politisch. Denn in den Augen der anderen billigt man implizit, worüber man ihnen gegenüber zwei Augen zudrückt.

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