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Finanzminister Olaf Scholz und Wirtschaftsminister Peter Altmaier.

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Update

Bundeshaushalt 2022: Mit Ach und Krach

Die schwarz-rote Bundesregierung verabschiedet sich mit dem Etatentwurf für 2022 in den Wahlkampf. Was hinterlässt sie haushaltspolitisch ihrer Nachfolgerin?

Sie begann als Hüterin der schwarzen Null. Und mauserte sich zur Koalition mit Wumms und Bazooka. Das Virus bewirkte den Umschwung. Binnen weniger Wochen im Frühjahr 2020 mutierte das schwarz-rote Bündnis unter Führung von Angela Merkel. Die moderate Haushaltspolitik wurde aufgegeben. Als Finanzminister Olaf Scholz (SPD) und Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) am 13. März 2020 die Schleusen öffneten, begann die Phase der hochspendablen Groko. Das hatte drei Gründe.

Zum einen war natürlich die Pandemie zu bewältigen. Wie groß die Herausforderung sein würde, wusste damals niemand. Es war also kein Wunder, dass die Regierung mit Wirtschaftstabilisierungsfonds und Überbrückungshilfen gegenhielt nach dem Motto: nach oben unbegrenzt. Die Politik der Nullverschuldung in den Jahren zuvor nutzte nun als Argument, warum Deutschland sich eine sehr großzügige, kreditfinanzierte Stützungspolitik in der Krise leisten könne.

Aber die Regierungspolitiker wussten damals schon, dass die Beschlüsse im Koalitionsvertrag nicht billig waren. Die Pandemie machte es möglich, mit dem Übergang in den Krisenmodus zu verbergen, dass eine Abkehr von der schwarzen Null ohnehin geboten schien. Drittens kam mit der Zeit ein „Wenn schon, denn schon“ hinzu: In der Corona-Zeit ließ sich eine längerfristige Neuorientierung der Verschuldungspolitik des Bundes einleiten. Nicht unbedingt weg von der Schuldenbremse, die ja grundsätzlich als probates haushaltspolitisches Mittel betrachtet wird, immerhin eingeführt von der bis 2009 regierenden „Groko“.

Gebremste Schuldenbremse

Aber eine weniger gebremste Schuldenpolitik ist in beiden Parteien durchaus zum Ziel geworden – in der Union noch mit Vorbehalten, in der SPD schon nicht mehr. Da ist die Abkehr praktisch beschlossene Sache. In der Union ist umstritten, wie man aus dem bisherigen Schuldenbremsenregime aussteigen könnte. Kanzleramtsminister Helge Braun hat dazu schon vor Monaten einen Anstoß gegeben, auch Kanzlerkandidat Armin Laschet lässt sich Hintertürchen offen.

Hundert Milliarden mehr?

Wenn Scholz am Mittwoch seinen Haushaltsentwurf für 2022 im Kabinett zur Beschlussfassung vorlegt, lässt sich diese Neuorientierung im Zahlenwerk erkennen. Dass die Regierung noch einmal die Ausnahmeklausel der Schuldenbremse nutzt, ist nicht das Problem. Es ist der Umfang, der überrascht. Von 60 Milliarden Euro an neuen Krediten war zu Jahresbeginn die Rede. In seinen Eckwerten Ende März hatte Scholz schon auf 81,5 Milliarden Euro aufgestockt. Nun sollen exakt 99,7 Milliarden werden, wie das Finanzministerium am Montag mitteilte.

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Erst 2023 soll dann wieder die Schuldenbremse komplett greifen. Wobei zu erwarten ist, dass in den Koalitionsverhandlungen im Herbst - je nach Konstellation - das Ergebnis eine veränderte Schuldenpolitik sein wird: entweder mit Änderungen an der Grundgesetzregel oder (die wahrscheinlichere Variante) mittels Instrumenten, um an ihr vorbeizukommen, etwa durch Investitionsfonds.

Aufgestockte Neuverschuldung

Doch warum muss Scholz die Planverschuldung im Etat 2022 nochmals aufstocken? Einerseits hat das natürlich weiter mit der Pandemie zu tun. Denn der Einbruch der Wirtschaft hat die Steuereinnahmen dezimiert, mit Wirkung über das laufende Jahr hinaus. Bei 329 Milliarden Euro lagen sie 2019 für den Bund. Das soll nach der Finanzplanung erst 2024 überschritten werden. Und es gibt noch Corona-Folgekosten, die bisher bei etwa zehn Milliarden Euro veranschlagt sind. Die Gesamtausgaben sollen 2022 bei etwa 420 Milliarden Euro liegen, das sind 63 Milliarden mehr als 2019.

Andererseits aber hat sich die Koalition früh vorgenommen, ihre Vorhaben nicht in Frage zu stellen. Die Corona-Krise sollte immer rein schuldenfinanziert überstanden werden. Doch die Finanzplanung war schon angespannt durch Beschlüsse aus der Zeit vor der Pandemie. Und durch weitere Ausgabenpläne für Klimaschutz, Gesundheitspolitik und Arbeitsmarkt ist dieses Volumen noch gestiegen. Da müssen nun die zusätzlichen Schulden helfen, auch wenn die Ausnahmeklausel nochmals allein wegen der Pandemie in Anspruch genommen wird.

Kredite müssen getilgt werden

Dass die Groko ihren Nachfolgern – wer immer regiert – eine hohe Bürde auflädt, zeigt sich nicht zuletzt in der Finanzplanung über 2022 hinaus. Denn dann muss binnen zwei Jahren die gesamte Rücklage, die sich in den Überschussjahren seit 2014 angesammelt hat – immerhin fast 50 Milliarden Euro – aufgelöst werden. 2023 sollen aus der Rücklage 32 Milliarden Euro entnommen werden, im Jahr darauf 16 Milliarden. Selbst dann aber ist es nötig, die im Rahmen der Schuldenbremse mögliche Nettokreditaufnahme auszuschöpfen mit durchschnittlich zehn Milliarden Euro im Jahr.

Die Pläne und Wünsche, die nun im Wahlkampf eine Rolle spielen, sind da gar nicht eingerechnet. Dazu kommt, dass die immense Kreditlast, die in der Pandemie aufgelaufen ist, nach den Regeln der Schuldenbremse zu einem großen Teil getilgt werden muss. Nicht zuletzt die nun zusätzliche Schuldenlast im Etat 2022 wird hier stark zu Buche schlagen. Laut Finanzministerium sind von den knapp 100 Milliarden Euro an neuen Krediten 98,4 Milliarden zu tilgen. Diese Tilgung – insgesamt mutmaßlich deutlich mehr als zehn Milliarden Euro im Jahr auf 20 Jahre hinaus – soll zwar erst 2026 beginnen. Aber darauf muss die nächste Koalition ihre Finanzplanung ausrichten.

Die Schuldenbremse im Grundgesetz verlangt das Abstottern bei Krediten, die trotz besserer Konjunktur mit der Ausnahmeklausel begründet werden, die in Krisensituationen gilt. Bleibt es bei knapp 100 Milliarden Euro an neuen Schulden im kommenden Jahr, wären laut Finanzministerium 98,4 Milliarden zu tilgen. Üblicherweise zahlt der Staat Kredite nicht zurück, sondern schuldet immer wieder um - er muss nur schauen, dass die Gesamthöhe ausstehender Kredite nicht zu lange über der in Normalzeiten geltenden Euro-Obergrenze von 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Das ist gemeint, wenn Politiker davon reden, aus den Schulden herauszuwachsen. Aktuell liegt der Schuldenstand Deutschlands wegen der Pandemiekosten bei 74,5 Prozent. Nach der Finanzkrise von 2008 war er auf mehr als 80 Prozent gestiegen.

Spahn und Heil brauchen Geld

Das Finanzministerium hat in den Etatverhandlungen wohl die Einzelressorts zu bremsen versucht, um eine nochmalige Aufstockung der Neuverschuldung zu vermeiden. Immerhin will Scholz im Wahlkampf nicht den Vorwurf auf sich ziehen, unter ihm seien die Dämme gebrochen. Aber vor allem zwei Minister, so wird berichtet, hätten sehr selbstbewusst ihre Linien gehalten: Jens Spahn und Hubertus Heil, offenbar ein wenig nach dem Motto: Wenn der andere nicht nachgibt, bleibe ich auch hart. Beide sind Politiker mit Zukunftsambitionen über 2022 hinaus. Beide wollen ihr Profil schärfen. Der Gesundheitsminister vor allem als Wahrer der Pflegeversicherung, Heil als Renten- und Arbeitsmarktpolitiker. Diese drei Felder vor allem sind Kostentreiber in künftigen Etats.

Nun werden im Etat 2022 jeweils zusätzlich eine Milliarde Euro für die Pflegekasse und die Bundesagentur für Arbeit eingestellt. Sieben Milliarden Euro mehr fließen in den Gesundheitsfonds. Weil die Überbrückungshilfen für Unternehmen verlängert werden, sieht das Finanzministerium vorsichtshalber auch noch drei Milliarden Euro dafür im kommenden Jahr vor. Mehr Geld als bisher geplant soll auch für Entwicklungspolitik und Verteidigung fließen.

"Harte Jahre nach 2022"

Mit Ach und Krach und deutlich mehr Schulden werden Merkel, Scholz & Co. einen ausgeglichenen Etat 2022 hinbekommen. Für die Zeit danach bleibt vor allem die Hoffnung auf höheres Wachstum, das die nächste Regierung wohl mit mehr staatlichen Investitionen ankurbeln wird. Was löchrig und wacklig wirkt, ist die weitere Finanzplanung, die immer Teil eines Etats und so auch Teil des Kabinettsbeschlusses vom Mittwoch ist. „Die große Koalition war nicht bereit, den Etat umzubauen und so zukunftsfester zu machen“, rügt zum Beispiel der FDP-Chefhaushälter Otto Fricke. „In der Öffentlichkeit ist noch gar nicht angekommen, dass die harten Jahr erst nach 2022 kommen werden.“

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