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Bundes-Befugnisse in der Pandemie: Ein „Durchregieren“ ohne die Länder könnte schwierig werden

Kanzlerin und Unionspolitiker drohen mit neuen Gesetzen, sollten sich die Landesregierungen nicht zu härteren Maßnahmen entschließen. Aber welchen?

hr

Bundesinnenminister Horst Seehofer fordert, dass der Bund in der Pandemiebekämpfung die Kontrolle übernimmt. Bundesweit sollten einheitliche Regeln gelten. Der Bund habe „von jeher die Gesetzgebungskompetenz auf diesem Gebiet“, sagte Seehofer der „Süddeutschen Zeitung“, man müsse „nur Gebrauch davon machen“. Die Corona-Bekämpfung über Ministerpräsidentenkonferenzen zu betreiben, halte er für falsch, sagte der Innenminister.

Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte sich am Sonntag bei ihrem Besuch in der Talkshow Anne Will für zentrale Regeln ausgesprochen. Wenn die Länder nicht allesamt rigoros die Beschlüsse für eine Corona-Notbremse umsetzen und auch Optionen wie regionale Ausgangssperren ziehen, droht sie notfalls mit Maßnahmen des Bundes.

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Scharf ging die Kanzlerin mit der Pandemiepolitik in Berlin, Nordrhein-Westfalen und dem Saarland ins Gericht. Eigentlich habe man klare Grenzen eingezogen, das Testen könne nicht die Ausrede für Lockerungen sein.

Dass Merkel theoretisch alle Möglichkeiten zum Durchregieren habe, hatte kürzlich schon der Staatsrechtler Christoph Möllers von der Berliner Humboldt-Universität im „Spiegel“ betont.

Das Grundgesetz gebe dem Bund die Gesetzgebungskompetenz für alle „Maßnahmen gegen gemeingefährliche oder übertragbare Krankheiten bei Menschen und Tieren“. Die Länder dürften hier nur tätig werden, wenn und soweit der Bund noch nichts geregelt hat.

Über konkrete Schutzmaßnahmen wachen und entscheiden die Länder

Doch wie kann der Bund bei Corona-Maßnahmen „durchgreifen“? Auf Basis allein des geltenden Infektionsschutzgesetzes (IfSG) ist das schwierig. Das Gesetz regelt das Zusammenspiel von Bund und Ländern in der Pandemiebekämpfung und wurde zuletzt im vergangenen Herbst umfassend ergänzt.

Demnach kann der Bundestag, wie geschehen, eine „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ feststellen. Die Festlegung „besonderer Schutzmaßnahmen“, etwa Ausgangssperren oder dergleichen, in einer solchen Lage erfolgt dann aber grundsätzlich „regional bezogen auf die Ebene der Landkreise, Bezirke oder kreisfreien Städte“ anhand der Schwellenwerte – über Rechtsverordnungen der Landesregierungen.

Ein möglicher „Durchgriff“ liegt in der Option des Bundes, eigene Rechtsverordnungen zur Pandemiebekämpfung zu erlassen. Diese bedürfen jedoch regelmäßig der Zustimmung der Länder, also des Bundesrats.

Allerdings gibt das IfSG der Bundesregierung seit vergangenem Jahr auch neue Befugnisse für Verordnungen ohne Zustimmung der Länder. So kann der Bundesgesundheitsminister mit diesem Instrument unter anderem „Maßnahmen zur Sicherstellung der Versorgung mit Arzneimitteln einschließlich Impfstoffen“ treffen.

Diese Regelungen wurden als Eingriff in die bundesstaatliche Ordnung viel kritisiert, unter anderem deshalb, weil der Minister damit seinerseits von Gesetzen abweichen darf, die mit Zustimmung des Bundesrats erlassen wurden. Zudem bieten sie für die gegenwärtige Situation wenig Handhabe, weil sie auf die ausdrücklich benannten Anwendungsfälle beschränkt bleiben müssen.

Bei den Änderungen am Infektionsschutzgesetz hatte der Bundesrat zugestimmt

Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach davon, „das Infektionsschutzgesetz noch mal anzupacken und ganz spezifisch zu sagen, was muss in welchem Fall geschehen“. Bayerns Ministerpräsident Söder sagte, er sei offen dafür, dass ein geändertes Infektionsschutzgesetz die Länder zu Maßnahmen zwinge.

Wie das aussehen kann, ist offen, zumal es zeitlich eng dafür wird. Gegen den Willen der Länder wird das kaum funktionieren, denn die Länder reden bei der Gesetzgebung mit; bei den IfSG-Änderungen im vergangenen Jahr hat der Bundesrat zugestimmt.

Eine Möglichkeit, direkt in den Verordnungsvollzug der Länder einzugreifen, dürfte ebenfalls problematisch werden. Denkbar wären Regelungen im IfSG, mit denen die Länder zum Erlass von Rechtsverordnungen nicht nur ermächtigt, sondern verpflichtet würden.

Oder dass Handlungsweisen im IfSG verbindlich festgeschrieben werden, etwa wenn ein bestimmter Schwellenwert überschritten ist. Ein Nachteil wären die fehlende Flexibilität und der Mangel an Rücksichtnahme auf regionale Bedingungen.

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Auch ein eigenes Pandemiebekämpfungsgesetz mit gesonderten Bundesbefugnissen wäre mit Rückgriff auf Artikel 74 GG möglich. Doch auch ein solches Vorgehen wäre wohl mit politischen Konflikten verbunden und würde in das föderale Gefüge eingreifen, da der Gesetzesvollzug weiterhin in die Zuständigkeit der Länder fiele.

Merkel fasste die Lage wohl nicht zuletzt deshalb mit den Worten zusammen: „Wir können nichts ohne einander beschließen“.

Ein Verstoß gegen das Demokratieprinzip?

Auf der Fachwebsite verfassungsblog.de ging die Hannoveraner Juristin Anna-Lena Hollo hart mit der Pandemie-Gesetzgebung ins Gericht, die sie für undemokratisch hält. Das „Gesetz zur Fortgeltung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ (EpiLage-FortgeltungsG), das ab Donnerstag das bereits mehrfach veränderte IfSG ablösen soll, mache „exekutives Durchentscheiden“, wie es der Regensburger Gesundheitsjurist Thorsten Kingreen nennt, zum Dauerzustand, schreibt Hollo in ihrem am Montag veröffentlichten Beitrag.

Entfristet werde damit aber „auch der Verstoß gegen den Gewaltenteilungsgrundsatz, den Parlamentsvorbehalt“ und der gegen das Demokratieprinzip. Hollo lehrt und forscht an der Universität Hannover und ist Spezialistin für Sozialrecht. Die „Selbstentmächtigung“ des Parlaments zugunsten der Regierung sei aber nicht nur rechtlich bedenklich; sie habe auch nicht zu mehr Effizienz und Tempo geführt, „sondern zu viel Hin und Her“, schreibt Hollo.

Als Beispiele nennt sie die Coronavirus-Impfverordnung von Dezember und die Osterbeschlüsse der Bund-Länder-Runde vom 22. März, die die Kanzlerin schon tags drauf zurücknahm. In einem „geordneten Gesetzgebungsverfahren unter Beteiligung juristischer Sachverständiger“, schreibt Hollo, wäre etwa die Verfassungswidrigkeit der Corona-Impfverordnung „mit Sicherheit noch vor Erlass der Regelungen aufgefallen und – davon darf man wohl ausgehen – geändert worden“. Gleiches gelte für die Osterbeschlüsse.

Ein Instrument, das schnell und effizient wirken solle, aber das Gegenteil erreiche, sei offensichtlich nicht das richtige. „Zum dritten Mal nun hat der Parlamentsgesetzgeber die Gelegenheit ungenutzt gelassen, die Verfassungswidrigkeiten seiner Corona-Gesetzgebung aus der Welt zu schaffen und vor allem die Legislative gegenüber der Exekutive endlich wieder zu stärken. (Mit dpa)

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