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Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock als Wahlkämpferin in Magdeburg.

© Klaus-Dietmar Gabbert/dpa

Bündnis von CDU, SPD und FDP: Die grüne Angst vor der Deutschland-Koalition

In Sachsen-Anhalt könnten die Grünen an Stimmen gewinnen und trotzdem aus der Regierung fliegen. Ein Szenario mit Strahlkraft für den Bund?

Für die Grünen in Sachsen-Anhalt könnte der Sonntagabend ein bittersüßer werden. Bei den Landtagswahlen können sie mit einem starken Ergebnis rechnen, vielleicht sogar einem historischen. Noch nie ist die Ökopartei hier auf mehr als 7,1 Prozent der Stimmen gekommen. Nun prognostizieren alle Umfrageinstitute der Partei wenige Tage vor dem Gang zur Urne konstant neun bis elf Prozent.

Selbst das historisch beste Ergebnis für die Grünen in Ostdeutschland (10,8 Prozent in Brandenburg 2019) ist möglich für die Partei, die bei der letzten Wahl gerade so in den Landtag in Magdeburg gekommen war. "Es wird kein Ergebnis wie in Berlin-Mitte geben, aber es wird ein sehr starkes Ergebnis für die Grünen in Sachsen-Anhalt geben", kündigte Parteichef Robert Habeck bereits unter der Woche bei einem Wahlkampfauftritt in Halle an. Soweit die süße Seite.

Doch der Wahlabend könnte für die Grünen auch bitter werden. Denn selbst mit einem historischen Erfolg könnten sie aus der bestehenden "Kenia-Koalition" mit der Union und der SPD fliegen. Die Grünen könnten durch die FDP ersetzt werden, die nach zehn Jahren Abstinenz erstmals wieder in den Landtag in Magdeburg ziehen könnte.

Rechnerisch scheint diese "Deutschland-Koalition" möglich. Im ZDF-Politbarometer vor der Landtagswahl am Sonntag kommt die CDU auf 30 Prozent, die SPD auf 10 Prozent, die FDP auf 6,5 Prozent. Die AfD rangiert bei 23 Prozent, die Linke bei 11,5 Prozent und die Grünen bei 9 Prozent.

Damit wären "Kenia" und "Deutschland" möglich. Ein Wechsel ist nicht ausgeschlossen. Die CDU von Ministerpräsident Reiner Haseloff lässt eine klare Präferenz für den Austausch der Grünen durch die FDP erkennen. Und es wäre zweifelsohne ein Signal für den Bund.

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In der CDU in Sachsen-Anhalt setzt man genau auf dieses Signal, mehrfach stand die Kenia-Koalition mit SPD und Grünen vor dem Scheitern, zuletzt im Streit um die von der CDU abgelehnte Erhöhung des Rundfunkbeitrags um 86 Cent im Monat. Wer die Koalitionäre im Magdeburger Landtag erlebt hat, merkt, dass es auch nach fünf Jahren tiefe Gräben gibt.

Mehrere CDU-Politiker in Sachsen-Anhalt für "Deutschland-Koalition"

Der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Landtagsfraktion, Markus Kurze, macht aus seinem Wunsch nach einer Koalition ohne die Grünen keinen Hehl: „Eine Deutschland-Koalition mit CDU, SPD und der FDP wäre sicherlich eine gute Option für Sachsen-Anhalt“, sagt er auf Tagesspiegel-Anfrage. Die Grünen hält er für "linksideologisch".

Auch der dienstälteste CDU-Abgeordnete im Landtag, Detlef Gürth, sagt im Gespräch mit dem Tagesspiegel: „Ganz klar, mir wäre eine Deutschland-Koalition lieber.“

Gürth ist seit 1990 Mitglied des Landtags, er betonte gerade auf dem Land gäbe es eine starke Polarisierung gegen die Grünen, was sich die AfD zunutze mache. „Die Landwirte und die Forstwirte, die werden wütend, wenn sie Grün hören.“

Die Grünen kennen die Umfragen und die Aussagen aus der Union. Dort hofft man jedoch auf Ministerpräsident Haseloff, der als Landesvorsitzender noch die letzte Koalition mit den Liberalen von 2006 bis 2010 in Erinnerung hat. Auch damals habe es immer wieder Streit gegeben, die "Kenia-Koalition" dagegen sei eingespielt. Zudem setzt man auf die SPD, deren linke Basis ein solches Bündnis vermutlich ungern sehen würde. Wobei auch die Grünen wissen, dass das nur den Preis in Koalitionsverhandlungen hochtreiben könnte.

Rechnet mit einem starken Ergebnis für seine Partei: Grünen-Chef Robert Habeck
Rechnet mit einem starken Ergebnis für seine Partei: Grünen-Chef Robert Habeck

© Peter Endig/dpa

Längst geht auch in der Berliner Parteizentrale die Sorge um, welches Signal vom Wahlabend in Magdeburg ausgehen könnte. Die Wahl sei in allererster Linie wichtig für Sachsen-Anhalt, betont Grünen-Chef Habeck in Halle, sagt aber auch: "Es ist schon eine wichtige Zwischenstufe auf dem Weg zum 26. September."

Wie schnell die Stimmung im Bundestagswahlkampf wegen einer eigentlich kleinen Landtagswahl kippen kann, haben die Grünen 2017 bei der SPD beobachten können. Damals endete der Hype um Kanzlerkandidat Martin Schulz mit der Wahlniederlage im Saarland schlagartig.

Özdemir warnt vor "Stillstands-Koalition"

Bei den Grünen in der Bundestagsfraktion wächst dementsprechend die Nervosität. „Da würden einige in die Papiereimer kotzen“, sagt ein gut vernetzter Grüner. Denn angesichts der Umfragen und der 16 Jahre langen Oppositionszeit will man unbedingt regieren. Aber den ersten schwant, dass das zentrale Thema „mehr Klimaschutz wagen“ nicht ausreichend ziehen könnte, da in Zeiten von Inflationssorgen und wirtschaftlichen Problemen durch die Corona-Pandemie zunehmend die Kostenfragen durch den CO2-Preis in den Fokus rücken.

Der frühere Grünen-Chef Cem Özdemir wird noch deutlicher: "Wenn ich mir Union, SPD und FDP so anschaue, frage ich mich, ob die nicht schon heimlich an einer Art Stillstands-Koalition basteln, also Ex-GroKo ergänzt um den Auspuff-Liberalismus von Christian Lindner", sagte er dem Tagesspiegel. 

Ex-Parteichef Cem Özdemir warnt vor einer "Stillstands-Koalition".
Ex-Parteichef Cem Özdemir warnt vor einer "Stillstands-Koalition".

© Marijan Murat/dpa

Es bestätigt sich, dass diese Wahl ohne die nicht mehr antretende Kanzlerin Angela Merkel offen wie selten ist. In der jüngsten Forsa-Umfrage für den Bund kommt die Union auf 25 Prozent, SPD und FDP liegen im Bund demnach bei je 14 Prozent. Das würde auch hier für eine Deutschland-Koalition reichen, aber auch für Schwarz-Grün. Das ist die große Hoffnung der Grünen: Denn dann könnte die FDP nur regieren, wenn sie sich auf eine rechnerisch ebenso mögliche Ampel-Koalition mit einer Kanzlerin Annalena Baerbock einlassen würden.

Königsmacher könnte FDP-Chef Lindner werden

Das zeigt: Zum Königsmacher könnte erneut FDP-Chef Christian Lindner werden, 2017 wollte er Jamaika nicht („Lieber nicht regieren, als falsch regieren“), hätte er rechnerisch die Wahl zwischen einer Regierung unter Führung von Armin Laschet (CDU) oder Annalena Baerbock (Grüne) würde er sicher zu Laschet tendieren, zumal die CDU der FDP weitaus näher steht.

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Lindner betont – so wie auch Armin Laschet – gerne das gewachsene Vertrauensverhältnis aus Düsseldorfer Zeiten, und dort regiert die einzige schwarz-gelbe Koalition. SPD-Vizekanzler Olaf Scholz hätte mit so einer Koalition sicher auch kein Problem – aber ihm könnte die eigene Partei ein erneutes Regieren mit der Union verwehren, wo viele dann lieber ein Regenerieren in der Opposition sehen würden, Scholz ist da eher beim Spruch von Franz Müntefering: „Opposition ist Mist.“

Auf wenn es diese Variante so wie Schwarz-Grün und Jamaika auf Bundesebene nicht gab, ist die Deutschland-Koalition eine der ältesten demokratischen Varianten in Deutschland. Die 1919 gebildete Weimarer Koalition aus SPD, Zentrumspartei und der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) war eine schwarz-rot-gelbe Koalition. Bisher gab es sie in der Nachkriegszeit nur in Berlin, Bremen und zuletzt 1955 im Saarland

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