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Premierminister Boris Johnson spricht während seines Besuchs im Watford General Hospital mit medizinischem Personal.

© dpa/ Peter Summers

Britische Regierung ändert den Kurs: Johnson macht Kehrtwende in der Corona-Krise

Lange propagierte Boris Johnson lediglich eifriges Händewaschen und erntete Kritik. Täglich werden nun 4000 Menschen getestet, bald sollen in London schärfere Einschränkungen gelten.

Wo ist der strahlende Wahlsieger vom Dezember geblieben, der demnächst in der Downing Street Hochzeit feiern will und die Ankunft seines mindestens sechsten Kindes erwartet? Premierminister Boris Johnson hat tiefe Ringe unter den Augen. Er wirkt dieser Tage, als erdrücke ihn die Last des Amtes, auf das er viele Jahrzehnte lang zäh hingearbeitet hat.

Die Briten haben Johnson für seinen immerwährenden Optimismus und seine Art gewählt, die Dinge auf die leichte Schulter zu nehmen. In der Coronakrise sind plötzlich seriöse Politiker mit ständiger Medienpräsenz gefragt. Johnson reagierte darauf, indem er sich demonstrativ mit Wissenschaftlern und Ärzten umgab. Als wollte er die Verantwortung von sich abschieben oder wenigstens mit Berufeneren teilen.

Entscheidungen aber trifft die Regierung, und eine nach der anderen stellt sich als falsch heraus. Lange propagierte Johnson lediglich eifriges Händewaschen. Menschen mit Symptomen wie Fieber und trockenem Husten wurden zur Selbstisolierung aufgefordert, aber nicht getestet. Statt harte Maßnahmen gegen das Virus durchzusetzen, sprachen Johnsons Berater emotionslos über hohe Ansteckungsraten, die hoffentlich die sogenannte Herdenimmunität zur Folge haben würden.

Nach empörten Protesten von Wissenschaftlern und Öffentlichkeit – eine Studie sagte eine Viertelmillion Tote voraus – hat Johnson nun das Ruder herumgeworfen. Täglich werden nun 4000 Menschen getestet, großspurig ist von demnächst 25.000 die Rede. Vom Wochenende an sollen am Schwerpunktstandort London schärfere Einschränkungen gelten.

Hintergrund über das Coronavirus:

Auf seinen häufiger gewordenen Pressekonferenzen ringt der eigentlich mit Sprachgewalt und Mutterwitz gesegnete 55-Jährige plötzlich mit Worten. Billige Pointen bleiben ihm im Hals stecken, fürs ernste Fach hat er kein Skript. Zweimal nacheinander musste er sich in der allwöchentlichen Fragestunde des Premierministers dem keineswegs brillanten Oppositionsführer Jeremy Corbyn geschlagen geben.

Dem Unterhaus präsentiert sich ein überforderter oder inkompetenter Regierungsvertreter nach dem anderen. Der Haushalt des Finanzministers Rishi Sunak war nach zwei Tagen bereits obsolet; ein neues Hilfspaket für die abstürzende Wirtschaft enthielt diese Woche manche Versprechen an Firmen, aber keine klare Hilfe für Mieter und Niedrigverdiener, also ausgerechnet für jene Menschen, denen die Krise als Erstes die Existenz raubt. Landwirtschaftsminister George Eustice beteuert treuherzig, es gebe keinerlei Versorgungsengpässe bei Lebensmitteln. Gleichzeitig flimmern Bilder von leeren Supermarkt-Regalen und immer länger werdenden Kundenschlangen über die Bildschirme.

Erst nach langem Zögern verfügte Bildungsminister Gavin Williamson die Schließung von Schulen und Universitäten, viele Bildungseinrichtungen hatten diesen Schritt längst vorweggenommen. Die überhastete Absage der Prüfungen zu GCSE und A-Level (vergleichbar der Mittleren Reife und dem Abitur/Matura) im Sommer empörte selbst die eigenen Fraktionskolleginnen.

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