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Großbritanniens Premierministerin Theresa May.

© AFP/Matt Dunham

Update

Britische Premierministerin: May warnt vor Putsch im Brexit-Streit

Im Streit um das Brexit-Abkommen gerät Premierministerin May immer stärker unter Druck. Ex-Brexit-Minister Raab bringt sich als Nachfolger in Stellung.

Die britische Premierministerin Theresa May hat im Brexit-Streit vor einem Putsch in ihrer Konservativen Partei gewarnt. Ein Führungswechsel würde die Verhandlungen mit Brüssel nicht einfacher machen und auch die Mehrheitsverhältnisse im britischen Parlament nicht verändern. „Die nächsten sieben Tage sind entscheidend“, sagte May bei einem Interview mit dem Sender Sky News am Sonntag.

Seit Tagen wird über ein bevorstehendes Misstrauensvotum gegen May spekuliert. Unklar ist aber, ob genügend Anträge dafür eingegangen sind. Medien zufolge könnte bereits am Dienstag abgestimmt werden. Dem Vorsitzenden des einflussreichen 1922-Komitees, Graham Brady, zufolge, der die Anträge entgegennimmt, ist es allerdings „sehr wahrscheinlich“, dass May eine solche Abstimmung gewinnen würde.

Der zurückgetretene Brexit-Minister Dominic Raab warf May unterdessen schwache Verhandlungsführung vor. May habe der EU nicht glaubwürdig damit gedroht, notfalls ohne Abkommen auszuscheiden. „Wenn wir diesen Deal nicht zu vernünftigen Konditionen abschließen können, müssen wir sehr ehrlich sein mit dem Land, dass wir uns nicht bestechen und erpressen oder drangsalieren lassen und wir unserer Wege gehen werden“, sagte Raab in einem Interview mit der „Sunday Times“.

Großbritannien scheidet nach derzeitigem Stand der Dinge am 29. März 2019 aus der EU aus. Sollte bis dahin kein Abkommen unter Dach und Fach sein, drohen schwere wirtschaftliche Konsequenzen und Chaos in vielen Lebensbereichen vor allem in Großbritannien.

Raab: In Brüssel sind dunkle Mächte am Werk

Raab war im Streit um den Brexit-Entwurf zurückgetreten. Der ehemalige Brexit-Minister plädierte jetzt dafür, noch einmal an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Er brachte sich damit indirekt als Nachfolger für May ins Spiel.

In Brüssel sind aus Raabs Sicht „dunkle Mächte“ am Werk. So sei ihm von Diplomaten berichtet worden, innerhalb der EU-Kommission werde Nordirland als „Preis“ bezeichnet, den London für den Brexit bezahlen müsse. Das sei „total unverantwortlich und rücksichtslos“, sagte er. Dahinter stecke wohl der Deutsche Martin Selmayr, Generalsekretär der EU-Kommission, der in britischen Medien als „Monster von Brüssel“ bekannt ist. London dürfe sich von niemandem herumschubsen lassen, sagte Raab.

Gleichzeitig drohen Berichten zufolge weitere Kabinettsmitglieder indirekt mit Rücktritt, sollte May nicht nachverhandeln. Die sogenannte Pizza-Gruppe innerhalb des Kabinetts um Andrea Leadsom, die eine Art Fraktionschefin der Konservativen ist, fordert Nachbesserungen am Backstop.

Mit Backstop werden die Bestimmungen im Austrittsabkommen bezeichnet, die garantieren sollen, dass es nach dem Brexit keine Grenzkontrollen zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland gibt. Der Entwurf sieht vor, dass Großbritannien für diesen Fall als Ganzes in der EU-Zollunion bleibt, bis beide Seiten entscheiden, dass dies nicht mehr notwendig ist. Doch die Brexit-Hardliner fordern ein einseitiges Kündigungsrecht für den Backstop, damit London eigene Handelsabkommen etwa mit den USA schließen kann. Es könne nicht sein, dass das Land dauerhaft in der Zollvereinbarung gefangen bleibe, sagte Leadsom am Samstag in einem BBC-Interview.

Am kommenden Sonntag wollen die Staats- und Regierungschefs bei einem Sondergipfel in Brüssel über den Entwurf entscheiden. Vorher will sich May noch einmal mit EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker treffen. Es gilt jedoch als sehr unwahrscheinlich, dass sich die EU auf substanzielle Nachverhandlungen einlässt.

Auch Spanien hat noch Vorbehalte gegen den Vertrag

Von Seiten der EU gebe es kein Interesse, den Austrittsvertrag noch einmal aufzumachen, hieß es am Sonntagnachmittag nach dem Ende eines Treffens der Botschafter der verbleibenden 27 Mitgliedstaaten in Brüssel. Zwar habe Spanien noch immer Vorbehalte wegen der im Brexitvertrag vorgesehenen Regelungen zu dem britischen Überseegebiet Gibraltar, das an der Südspitze Spaniens liegt. Diese würden eine Einigung aber aller Voraussicht nach nicht verhindern.

Die anderen 27 EU-Staaten seien sich "einig, dass sie kein Öl ins britische Feuer gießen wollen", sagte ein Diplomat. Ein weiterer Diplomat sagte, die EU wolle britischen Kritikern durch eigene Änderungswünsche nicht die Möglichkeit geben, "das ganze Paket wieder aufzuschnüren".

Verhandlungsspielraum gibt es nach Angaben von Diplomaten lediglich bei der politischen Erklärung zu den zukünftigen Beziehungen zwischen der EU und Großbritannien. Sie soll ebenfalls am kommenden Sonntag beschlossen werden. „Es wird weitere Verhandlungen geben“, sagte May im TV-Interview. „Solange nicht alles vereinbart ist, ist nichts vereinbart.“

Vollkommen unklar ist, wie es nach der möglichen Einigung zwischen May und der EU weitergeht. May muss diese dann nämlich noch durchs Parlament bekommen. Die nordirische DUP, von der Mays Minderheitsregierung abhängig ist, will den Deal jedoch nicht mittragen. Auch der Chef der oppositionellen Labour-Partei Jeremy Corbyn bekräftigte am Sonntag, dass seine Partei gegen das Abkommen stimmen wird. Als Mays einzige Chance gilt daher, Abweichler aus der Labour-Fraktion hinter sich zu bringen. Sollte sie scheitern, gilt selbst ein zweites Brexit-Referendum für möglich. Das wollte auch Corbyn am Sonntag nicht ausschließen. (dpa)

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