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Wie viel Uhr hat's geschlagen? Der Brexit bekommt allmählich einen Zeitplan.

© AFP

Brexit - was die Briten wollen: Theresa May setzt auf Rosinenpickerei

Die Premierministerin will die enge Einbindung Großbritanniens in den EU-Binnenmarkt retten. Und sei es nur für eine Übergangszeit. Um die dann zum Dauerzustand zu machen? Eine Analyse.

Fast ein halbes Jahr ist es jetzt her, dass die Mehrheit der abstimmenden Briten sich entschlossen hat, den Austritt des eigenen Landes aus der Europäischen Union zu fordern. Das Ergebnis der Volksbefragung am 23. Juni war mit 52 zu 48 Prozent knapp. Und es kam für viele, selbst für viele Befürworter des Brexit, etwas unerwartet. Das mag erklären, weshalb die Regierung von Premierministerin Theresa May, die den schon vergessenen Referendumsunglücksraben David Cameron ablöste, lange Zeit den Eindruck erweckt hat, sie irre planlos auf den Tag hin, an dem der Austrittswunsch auch den EU-Partnern mitgeteilt werden muss. Ein unangenehmer Moment, fürwahr, wenn man das, was man tun soll, eigentlich gar nicht will.

In den kontinentalen Regierungszentralen, in Brüssel, in Berlin, selbst in Paris, ist bisher viel Geduld gezeigt worden. Aber es wurde London auch deutlich gemacht, dass man nicht ewig warten will. In der vergangenen Woche nun hat May, unterstützt vom Unterhaus, sich endgültig festgelegt, den Antrag nach Artikel 50 des EU-Vertrags bis Ende März kommenden Jahres zu stellen. Teil des Parlamentsbeschlusses war auch, dass die Premierministerin vorher eine Art Plan vorlegt, wie es danach weitergehen soll.

Es ist das Mindeste, was man von May erwarten darf. Denn das bisherige Auftreten der Briten ist, gelinde gesagt, irritierend gewesen. Nach außen war es lange Zeit nicht viel mehr als das etwas peinliche Herunterbeten von Slogans. May wiederholte monatelang ihr „Brexit heißt Brexit“. Neuerdings ist das abgelöst worden durch ihre Ankündigung, der Brexit werde „red, white and blue“ sein. Mit dem Verweis auf die Nationalfarben will sie die Debatte darüber verwischen, ob der Austritt „hard“ oder „soft“ sein soll, also auf eine stärkere Trennung von der EU zielt (wie es die konservativen Brexit-Hardliner wollen) oder doch auf weiterhin enge Bindungen, die vor allem die Oppositionsparteien anstreben. Mays farbiger Spruch deutet nicht eben darauf hin, dass der Plan im März allzu konkret ausfallen wird. Sie möchte sich vorbehalten, so flexibel wie möglich mit der EU verhandeln zu können. Das ist aus britischer Sicht verständlich.

Aus europäischer Sicht aber nicht. Denn die Briten wollen die EU verlassen – und bringen ihr damit jedenfalls keine Vorteile. Beim Austritt allein gibt es wenig zu verhandeln. Es geht um die Pensionen der britischen EU-Mitarbeiter, um die weitere britische Beteiligung an noch laufenden EU-Projekten, um die künftige Behandlung von Staatsangehörigen der EU-Staaten auf der Insel und von Briten auf dem Kontinent. Das lässt sich in der Tat in wenigen Monaten regeln, wie der EU-Chefunterhändler Michel Barnier unlängst sagte.

Für die WTO muss Großbritannien sich neu bewerben

Erst dann aber, und nicht parallel zu den Austrittsgesprächen, geht es um die künftigen Beziehungen zwischen dem Königreich und der EU. Was sich die Briten hier vorstellen, ist weitaus wichtiger. Dazu muss May in ihrem Plan etwas mitteilen. Darauf haben die EU-Partner einen Anspruch. Wie es aussieht, haben sich die Tories, die in der Frage gespalten sind (eben zwischen „hart“ und „weich“), möglicherweise auf eine Linie verständigt. Darauf deuten Aussagen des Austrittsministers David Davis hin, wonach Großbritannien auch nach dem Austritt Geld in die EU-Kasse zahlen könnte, um sich den Binnenmarktzugang für Waren und Dienstleistungen zu sichern. Auch Entscheidungen der EU-Gerichtsbarkeit, so ließ sich Davis verstehen, könnten weiter akzeptiert werden. Beides hat das Brexit-Lager im Stimmenkampf im Juni rundweg ausgeschlossen (Davis gehörte dazu). Und Handelsminister Liam Fox, ebenfalls ein tapferer Austrittsheld, ließ kürzlich durchblicken, dass Großbritannien sich als eigenständiges Mitglied der Welthandelsorganisation (der muss das Land jetzt neu beitreten) vorerst weitgehend an die Zollregeln der EU halten wird. Aber wollte man nicht die große Freihandelsnation spielen, frei von allen Vorgaben der Brüsseler EU-Diktatur?

Zusammengenommen kann das heißen: Die Briten wollen weiterhin eine enge Einbindung in den Binnenmarkt und die Europäische Zollunion. Das wäre die Ideallösung, besser als die Deals der EU mit Norwegen, der Schweiz, der Türkei. Sie wollen politisch austreten, aber wirtschaftlich weiterhin dabei sein. Nachteile abschütteln, Vorteile beibehalten? Das kann nicht gehen, und zwar nicht nur mit Blick auf die Freizügigkeit von Personen. Könnte das Szenario für eine Übergangsperiode akzeptabel sein? Und zwar für beide Seiten, schließlich ist man wirtschaftlich eng verflochten? Das ist der Knackpunkt. Denn genau das dürften May & Co. anstreben: ein sehr günstiges Übergangsarrangement. Das dann freilich irgendwann, weil man eine weitere Trennung doch nicht will, verewigt wird. Weil der halbe Austritt besser ist als der konsequente Exit, mit dem sich Großbritannien selbst am meisten schadet. Doch auch bei größter Sympathie mit den Briten – das kann es nicht sein. Barnier hat es richtig gesagt: Das Arrangement nach dem Austritt kann nicht günstiger sein als die Mitgliedschaft.

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