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Prinzip Hoffnung. Die britische Premierministerin May und EU-Kommissionschef Juncker am Mittwoch in Brüssel.

© Francois Lenoir/REUTERS

Brexit: Gipfel der Ratlosigkeit

Beim EU-Gipfel richten sich alle Augen auf Theresa May. Doch der Spielraum der britischen Regierungschefin wird immer geringer.

Seit dem jüngsten Rückschlag bei den Brexit-Verhandlungen wächst täglich das Risiko, dass es im kommenden März zum ungeordneten Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union kommt. Das Hauptproblem: Gut fünf Monate vor dem Brexit ist zwischen der EU und Großbritannien noch immer die Frage ungelöst, wie eine „harte Grenze“ zwischen der Republik Irland und Nordirland vermieden werden kann.

Was ist vom EU-Gipfel zu erwarten?

Beim EU-Gipfel, der am Mittwochabend in Brüssel begann, richten sich alle Augen auf die britische Regierungschefin Theresa May. Von ihr erwarteten die Staats- und Regierungschefs der verbleibenden 27 EU-Staaten einen konstruktiven Vorschlag, der einen Ausweg aus der Sackgasse zeigt.

Dass der Teufel bei den Brexit-Verhandlungen im Detail steckt, hatten die Gespräche in Brüssel am vergangenen Wochenende gezeigt. Die britische Regierung will nach wie vor nicht die von der EU vorgeschlagene Notfalllösung für das Nordirland-Problem akzeptieren. Wenn alle Stricke reißen, soll Nordirland im EU-Binnenmarkt verbleiben. So lautet zumindest die Position der Europäischen Union. Dies würde darauf hinauslaufen, dass eine Zollgrenze zwischen der EU und Großbritannien künftig quer durch das Gebiet des Vereinigten Königreichs in der Irischen See verlaufen würde.

May befürchtet, dass die Notfall-Lösung einer Zerstückelung des britischen Territoriums Vorschub leisten könnte. Die EU argumentiert wiederum, dass der so genannte „Backstop“ – also die Notfalllösung – höchstwahrscheinlich gar nicht zum Tragen käme: Wenn die langfristigen Verhandlungen über die künftigen Wirtschaftsbeziehungen positiv verlaufen, wird auch der „Backstop“ nicht mehr gebraucht, lautet die Begründung der EU-Verhandler.

Um dies zu untermauern, bot das Team des EU-Chefverhandlers Michel Barnier den Briten am vergangenen Wochenende eine Verlängerung der bis Ende 2020 laufenden Übergangsperiode an. Im Verlauf dieser Übergangsfrist soll der künftige EU-Handelsvertrag mit London verhandelt werden soll. Hinter dem EU-Angebot, die Frist zu verlängern, steckt das Kalkül: Je mehr Zeit für die Verhandlungen über das langfristige Verhältnis bleibt, desto größer sind auch die Chancen für ein positives Ergebnis – und einen Wegfall des „Backstop“.

Ob May aber beim EU-Gipfel auf das Brüsseler Angebot eingehen würde, blieb zunächst unklar. Die BBC berichtete, dass sie nicht auf die Offerte der EU zurückgreifen wolle. Dagegen hält nach einem Bericht der „Times“ der britische Handelsminister Liam Fox eine Verlängerung der 21-monatigen Übergangsfrist um einige Monate für notwendig, damit ein Freihandelsabkommen mit der EU zu Stande kommt.

Kann Regierungschefin May das Nordirland-Problem überhaupt noch lösen?

Seit dem vergangenen Wochenende bestehen erhebliche Zweifel, ob May in ihrer Heimat noch über das politische Kapital verfügt, um die Verhandlungen zu einem guten Ende zu führen. Denn die Regierungschefin musste bei den Brexit-Gesprächen in Brüssel den Stecker ziehen, nachdem ihr bewusst wurde, dass ein halbes Dutzend Kabinettsmitglieder gegen die geplante „Backstop“-Regelung der EU rebellieren würden.

In ihrer Not brachte May am Mittwoch im Unterhaus vor ihrer Abreise nach Brüssel wieder einen Plan ins Spiel, den sie und ihr Kabinett im Juli im Regierungslandsitz in Chequers ausgearbeitet hatten. Demnach zufolge soll eine „harte Grenze“ auf der irischen Insel vermieden werden, indem Großbritannien beim Export von landwirtschaftlichen Produkten und Industriegütern im EU-Binnenmarkt verbleibt. Die EU hat dies aber längst als „Rosinenpickerei“ abgelehnt. Dass May nun möglicherweise zu einem längst tot geglaubten Plan zurückkehren will, zeigt, dass ihr Bewegungsspielraum immer geringer wird.

Wie könnte es nach dem Gipfel weitergehen?

In der kommenden Woche sollen die Verhandlungen über das Austrittsabkommen in Brüssel fortgesetzt werden. Falls dabei noch eine Lösung des Nordirland-Problems gefunden wird, könnte ein Sondergipfel Mitte November die Vereinbarung absegnen. Zu Ende wäre das Brexit-Drama dann aber immer noch nicht: Von entscheidender Bedeutung wäre eine Abstimmung über den Austrittsvertrag im Unterhaus, die Ende November stattfinden könnte. Falls Mays innerparteiliche Gegner einen Deal durchfallen lassen sollten und auch die oppositionelle Labour-Partei nicht zu Hilfe käme, wäre ein No-Deal-Szenario höchst wahrscheinlich.

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