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Kehrtwende beim Brexit: die britische Regierungschefin Theresa May am Dienstagabend.

© AFP

Brexit-Gespräche mit der Opposition: Mays Wende kommt gerade noch rechtzeitig

Die britische Regierungschefin Theresa May geht beim Brexit auf die Labour-Partei zu. Damit zeigt sie Vernunft – spät, aber nicht zu spät. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Albrecht Meier

Endlich wird Theresa May vernünftig. Viel zu lange hat die britische Regierungschefin damit gewartet, beim Brexit-Gewürge die Opposition einzubinden. Zehn Tage vor dem drohenden No-Deal-Brexit am 12. April hat sie aber nun doch die Reißleine gezogen. Ihre Zusage, mit Labour-Chef Jeremy Corbyn über eine parteiübergreifende Lösung zu reden, könnte noch in letzter Minute einen Ausweg aus der Sackgasse aufzeigen. Mays Kehrtwende kommt spät, aber vielleicht nicht zu spät.

Lange Zeit blieb die Regierungschefin stur

Ein Mal ums andere hat May vergeblich versucht, den im vergangenen November ausgehandelten EU-Austrittsvertrag durchs Parlament zu bringen. Die Ratifizierung dieses Scheidungsvertrages bleibt nach wie vor die Vorbedingung für einen geregelten Austritt Großbritanniens. Auf den geregelten Austritt, wann immer er passiert, folgt dann eine längere Übergangsperiode, in der sich für Großbritannien und die verbleibenden 27 EU-Staaten nicht viel ändert. Allerdings hat May mit größtmöglicher Sturheit in den zurückliegenden drei Monaten versucht, den Vertrag nur mithilfe der eigenen Tory-Truppen und der nordirischen DUP durchzubringen. Doch alle Zusicherungen zur umstrittenen Nordirland-Regelung, alle Warnungen der Premierministerin vor einem No Deal oder auch vor einer Verlängerung der Brexit-Frist bis ins Jahr 2020 hinein halfen nichts: Die Brexiteers zeigten sich mindestens genauso stur wie die Premierministerin. Sie ließen den Deal bislang dreimal im Unterhaus durchfallen.

Schon viel früher hätte es der Regierungschefin dämmern müssen, dass der Austrittsvertrag ohne die Hilfe der Labour-Opposition keine Chance im Parlament hat. Immerhin scheint May jetzt willens, sich von den Brexiteers politisch zu lösen und eine Vereinbarung mit Corbyn anzustreben. Den Preis, den sie zu zahlen hat, ist ein „weicher Brexit“ mit einer Anbindung an eine EU-Zollunion, der auch das Nordirland-Problem weitgehend verschwinden lassen würde.

Für Brexit-Ultras wie den ehemaligen Außenminister Boris Johnson ist ein solcher „soft Brexit“ natürlich Teufelszeug, weil Großbritannien dann kaum eigenständig Handelsvereinbarungen mit Drittstaaten abschließen könnte. Doch May sollte sich vom Maulheldentum der Brexiteers nicht kirre machen lassen. Ihre Chance liegt jetzt darin, die Politische Erklärung, die wie der Austrittsvertrag mit der EU ausgehandelt wurde, im Sinne der Labour-Partei mit Blick auf eine enge Anbindung Großbritanniens an die EU nachzuschärfen. Mit einem solchen Deal könnte dann auch die Opposition helfen, den Trennungsvertrag in London über die Ziellinie zu bringen. May müsste sozusagen mit Labour einen Deal für den EU-Deal machen.

Die EU sollte einer kurzen Verlängerung zustimmen

Was dafür aus der Sicht der Premierministerin benötigt wird, ist eine weitere kurze Verlängerungsfrist über den 12. April hinaus bis zum 22. Mai – dem Tag vor den Europawahlen. Wenn alles gut liefe, würde das Vereinigte Königreich auf eine Teilnahme an den Europawahlen verzichten und wäre am 22. Mai aus der EU ausgeschieden. Vorgesehen war es eigentlich anders: Die EU hat eine Verlängerung über den 12. April hinaus nur zusichern wollen, wenn Großbritannien dann auch definitiv an der Europawahl teilnimmt. Allerdings sollten sich die verbleibenden 27 EU-Staaten jetzt nicht päpstlicher zeigen als der Papst. Wenn die neu gewonnene kurze Verlängerung May tatsächlich helfen sollte, gemeinsam mit der Labour-Partei einen geregelten Austritt zu bewerkstelligen, dann sollte die EU Entgegenkommen zeigen.

Corbyn muss sich von seinem Neuwahl-Traum verabschieden

Allerdings hat die bisherige Erfahrung beim Brexit gezeigt, dass bisher noch selten in London tatsächlich etwas nach Plan gelaufen ist. Damit es zu einem geregelten Ausstieg der Briten am 22. Mai kommen kann, muss May zunächst tatsächlich ihre rote Linie aufgeben, der zufolge Großbritannien künftig auch die EU-Zollunion verlassen wird. Corbyn muss sich wiederum verabschieden von seinem Traum, die Regierung möglichst schnell in eine Neuwahl zu zwingen. Und in der nächsten Verhandlungsphase mit der EU, in der es um die künftigen Beziehungen ginge, würde die europapolitische Zerreißprobe bei den Konservativen weitergehen. Aber immerhin: Seit May gegenüber der Labour-Opposition die Hand ausgestreckt hat, sind die Dinge in Bewegung geraten.

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