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Der aus der Tory-Fraktion ausgeschlossene Abgeordnete Oliver Letwin.

© AFP

Brexit-Debatte: Der Super-Samstag wird zum Zitter-Samstag

Boris Johnson will heute eine Entscheidung zum Austrittsvertrag. Aber ein Änderungsantrag des Abgeordneten Letwin könnte seinen Plan torpedieren.

Es ist eine historische Stunde, die das britische Parlament am Samstag erlebt. Zum ersten Mal seit dem Falkland-Krieg im Jahr 1982 hat sich das Unterhaus wieder an einem Samstag versammelt. Zwölf Tage vor dem Ablauf der Brexit-Frist am 31. Oktober eröffnet Parlamentssprecher John Bercow die Sitzung am Vormittag in bewährter Manier mit einem lauten „Order“-Ruf. Aber ob am Ende des Tages wie geplant eine Abstimmung über den von Premierminister Boris Johnson verhandelten neuen EU-Austrittsvertrag stehen wird, steht zu diesem Zeitpunkt noch nicht fest.

Auch zu Beginn des Zweiten Weltkriegs gab es eine Samstags-Sitzung

Samstags-Sitzungen sind für das Unterhaus eine große Rarität. Dass sich das Parlament nun wie zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs im Jahr 1939 oder während der Suez-Krise von 1956 versammelt, verdeutlicht die Bedeutung des Brexit-Themas für Großbritannien. Johnson bedauert zu Beginn seiner Rede, dass er das Viertelfinalspiel zwischen England und Australien bei der Rugby-Weltmeisterschaft in Japan verpasse. Dann versucht er aber, sich ganz staatstragend zu zeigen. Am vergangenen Donnerstag war es dem 55-Jährigen überraschend gelungen, mit der EU eine Neufassung jenes Austrittsvertrages auszuhandeln, der vom Parlament während der Amtszeit seiner Vorgängerin Theresa May dreimal abgelehnt worden war. Johnson beschwört die Abgeordneten, seinem Deal zuzustimmen: „Jetzt ist der Moment für dieses großartigen Unterhaus gekommen, zusammenzukommen und das Land zu einen.“

Johnson wirbt um Labour-Abgeordnete

Johnson bemüht sich vor allem, Abgeordnete von der Oppositionsbank zur Zustimmung zu seinem Deal zu bewegen. Die konservative Regierungspartei hat keine eigene Mehrheit, um den Austrittsvertrag durchzubringen. Nach dem Ausschluss von 21 Tory-Rebellen aus der Fraktion verfügen die Konservativen nur noch über 287 Mandate. Damit der Austrittsvertrag durchs Unterhaus kommt, werden aber 320 Stimmen benötigt. Daher bietet Johnson allen Abgeordneten an, das Mandat der Regierung für die künftigen Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit der EU festzulegen. Der Regierungschef verspricht, dass der Nationale Gesundheitsdienst Großbritanniens bei künftigen Handelsgesprächen nicht zur Disposition stehen werde. Die Verhandlungen über die künftigen Wirtschaftsbeziehungen zwischen beiden Seiten stellen die nächste Phase im Brexit-Drama dar, sobald der Austritt besiegelt ist.

Corbyn kritisiert Johnsons Deal

Trotz der versöhnlichen Signale Johnsons macht Oppositionschef Jeremy Corbyn aber klar, dass eine Zustimmung zum Austrittsvertrag für ihn nicht in Frage kommt. Mit dem neuen Deal müsse Großbritannien die EU-Zollunion verlassen, kritisiert Corbyn. Damit werde beispielsweise der Autoindustrie, die auf kontrollfreie Lieferketten angewiesen sei, großer Schaden zugefügt. Der Labour-Vorsitzende argumentiert, dass das von Johnson ausgehandelte Papier zu Jobverlusten im gesamten Land und einem Handelsvertrag mit US-Präsident Donald Trump führen werde, inklusive dem Import von amerikanischen Chlorhühnchen. Der Labour-Abgeordnete Pat McFadden legt den Finger in die Wunde, als er erklärt, dass Johnson im Rahmen der künftigen Handelsgespräche nicht gleichzeitig der Tory-Rechten eine komplette Deregulierung und der Labour-Partei einen Erhalt der bisher im Rahmen der EU bestehenden Arbeitnehmerrechte und Umweltstandards garantieren könne.

Letwins Antrag soll Chaos-Brexit verhindern

Derweil mehren sich zur Mittagsstunde die Anzeichen, dass Johnson die für heute geplante Abstimmung über seinen Deal wieder rückgängig machen könnte. Der Grund darin liegt in einem Änderungsantrag des früheren Tory-Abgeordneten Oliver Letwin. Der Antrag, den Parlamentssprecher Bercow zur Abstimmung zugelassen hat, sieht Folgendes vor: Die endgültige Zustimmung zum neuen Austrittsvertrag soll so lange zurückgehalten werden, bis in den kommenden Wochen auch das nötige Ratifizierungsgesetz das Unterhaus passiert hat. Mit seinem Antrag will Letwin verhindern, dass nach dem Beschluss über den Deal die anschließende Umsetzung im Unterhaus bis zum 31. Oktober nicht nach Plan verläuft und damit ein Chaos-Brexit in knapp zwei Wochen wieder auf der Tagesordnung steht.

Vor der Abstimmung über Letwins Antrag am Nachmittag sieht es danach aus, dass er eine Mehrheit mithilfe der Oppositionsabgeordneten, der nordirischen Unionisten-Partei DUP und der aus der Tory-Fraktion ausgeschlossenen Abgeordneten finden würde. Für diesen Fall wird in Johnsons Amtssitz damit gedroht, dass die Abstimmung über den Austrittsvertrag von Samstag auf einen späteren Zeitpunkt verlegt wird.

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