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Theresa May bei ihrem Abschlussstatement nach dem Scheitern des EU-Austrittsabkommens. Während der Debatte thematisierten Abgeordnete auch die Sorgen ihrer Bürger.

© Mark Duffy/AFP

Brexit-Abstimmung: Der Held des Unterhauses

Der Labour-Abgeordnete Kevan Jones weist mitten im Brexit-Chaos auf die Probleme seiner Wähler hin. Ein Porträt.

Von Anna Sauerbrey

Der einzige Held, den die Brexit-Abstimmung am Dienstag im Unterhaus hervorgebracht hat, ist der Labour-Abgeordnete Kevan Jones. Die Abstimmung war – wieder einmal – ein bitterer Moment in dieser an bitteren Momenten reichen Brexit-Geschichte. Unter wiederholten "Order"-Rufen von Parlamentspräsident John Bercow brachten die Abgeordneten die "meaningful vote" zügig hinter sich. Die anschließende Debatte war nichts weiter als das wütende Vortragen der bekannten, verhärteten Standpunkte. Fast alle anderen Tagesordnungspunkte wurden verschoben, die Abgeordneten verließen schon den Saal. Fast alle Tagesordnungspunkte, fast alle Abgeordneten. Nur Kevan Jones bestand darauf, vorzutragen, was er zu sagen hatte. Vor so gut wie leeren Sitzreihen.

Jones ist Abgeordneter für Northern Durham, einer ländlichen Gegend im Nordwesten der britischen Halbinsel. Viele Bewohner seines Wahlkreises, trägt Jones stoisch vor, pendeln zur Arbeit nach Newcastle oder Middlesbrough. Der örtliche Bahnanbieter aber lasse sie immer häufiger im Stich. Es handelt sich um die "Northern", eine Tochtergesellschaft des großen privaten Bahnanbieters Arriva. Die North Durhamer, so berichtet Jones, klagen über zahlreiche Zugausfälle und Verspätungen. Jones erzählt von einem Mann, der einen Job abgelehnt habe, weil er sich nicht in der Lage sah, zuzusagen, stets pünktlich zur Arbeit zu kommen. Er berichtet von einer Frau, die ihre Mutter pflegt und stets Angst haben muss, nicht rechtzeitig von der Arbeit nach Hause zu kommen.

Es sind die ganz normalen, alltäglichen und dramatischen Sorgen ganz normaler Briten, die plötzlich – wenn auch weitgehend ungehört – Thema im Parlament sind. Der Kontrast zur vorangegangenen Brexit-Debatte könnte größer nicht sein: Erst die überhitzte, festgefahrene, von Ideologie, Eitelkeit und Eifer getriebene Pseudopolitik, weltweit minutiös aufgezeichnet. Dann die ganz praktischen Probleme der Menschen vor leeren Rängen, wieder einmal ungehört.

Seit über zwei Jahren ist die britische Politik fast ausschließlich mit dem Brexit befasst – und mit den damit verbundenen Machtkämpfen. Viele der echten Probleme des Landes erhalten nicht die notwendige Aufmerksamkeit. Wenn es noch ein weiteres Symbol für die traurige Absurdität des Brexits und für die Bürgerverachtung des populistischen Zeitalters brauchte, so hat Kevan Jones es gestern geliefert.

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