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Andreas Bovenschulte (SPD) ist seit 2019 Bürgermeister von Bremen.

© dpa

Bremer Bürgermeister im Interview: „Mir gehen die ganzen Einschränkungen auch auf die Nerven“

Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte über den fragwürdigen Nutzen von Ausgangssperren, eine Testpflicht für Unternehmen und die Sehnsucht nach Normalität.

Herr Bovenschulte, haben Sie während der Ministerpräsidentenkonferenz auch schon nebenbei auf dem Smartphone gedaddelt wie ihr Thüringer Kollege Bodo Ramelow?

Na klar habe ich da auch mein Smartphone griffbereit, suche nach Informationen oder schreibe mal eine Nachricht. Aber spielen auf dem Handy – das mache ich allenfalls in meiner Freizeit. Da übe ich gerade ab und zu mit der Skat-App, weil ich beim letzten Skatturnier so jammervoll untergegangen bin.

Die Bund-Länder-Runde ist in Verruf: die Länder halten sich nicht an die Beschlüsse, mitten in der Nacht werden Dinge beschlossen, die nicht umsetzbar sind – siehe Osterruhe. Das Treffen am Montag wurde abgesagt. Ist es überhaupt noch sinnvoll, sich in dieser Runde zu treffen?

Natürlich, zumal wir das meiste, was wir gemeinsam beschlossen, ja auch gemeinsam umgesetzt haben: Quarantänevorschriften, Kontaktbeschränkungen, geschlossene Gastronomie, keine privaten Feiern. Die Unterschiede fallen in der Realität viel geringer aus, als es den Anschein hat. Reformbedarf sehe ich aber trotzdem: Die Sitzungen müssen so vorbereitet sein, dass handwerkliche Fehler wie mit der verlängerten Osterruhe nicht passieren. Bei einer intensiven fachlichen Prüfung wäre ja aufgefallen, dass das so nicht geht.

Sie haben mal gesagt, viele würden sich diese Bund-Länder-Runden ganz falsch vorstellen. Geben Sie uns einen Einblick?

Es wird in aller Regel sehr sachlich und ausdauernd miteinander verhandelt. Natürlich gibt es das Übliche wie in jeder Videoschalte: Manch einer lässt einen zum Beispiel an seinen eher privaten Gedanken teilhaben, weil er vergisst sein Mikro auszuschalten. Und leider landet vieles, was gesagt wird, sofort in den Medien. Was ich angenehm finde: Die Parteizugehörigkeit spielt keine so große Rolle, es hängt viel von den regionalen Besonderheiten ab. Die Nordländer haben häufig untereinander mehr Gemeinsamkeiten als mit den Südländern und umgekehrt – egal ob der Ministerpräsident von der SPD, der CDU oder den Grünen ist.

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Vor zwei Jahren waren Sie Bürgermeister der 30.000 Einwohner-Stadt Weyhe. Jetzt sind Sie alle paar Wochen beim Treffen mit der Kanzlerin und den anderen Länderchefs. Hatten Sie anfangs manchmal das Gefühl: Das ist jetzt eine Nummer zu groß?

Es ist natürlich ein Unterschied, ob man Bürgermeister einer 30000-Einwohner- Stadt ist oder Ministerpräsident eines Bundeslandes. Aber ich hatte in diesen Runden ehrlich gesagt nie den Eindruck: Das ist jetzt eine ganz andere Liga. Da wird – wie überall – auch nur mit Wasser gekocht.

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Die Lage ist ernst. Die Zahl der belegten Intensivbetten steigt, Mediziner schlagen Alarm und sagen: Handelt endlich. Muss es denen nicht wie Hohn vorkommen, dass es trotzdem Lockerungen gibt und auch in Bremen darüber diskutiert wird?

Zunächst einmal: Wir haben in Bremen wie vereinbart die Notbremse gezogen und zum Beispiel das Terminshopping wieder eingestellt. Wir haben unsere Galerien und Museen geschlossen. Auch, wenn uns das nicht leichtgefallen ist. Und wenn wir über Modellprojekte für Öffnungen diskutieren, dann nur, weil wir auf den Tag X gut vorbereitet sein wollen – nichts davon wird aktuell umgesetzt. Schwierig wird es doch vor allem, wenn der Eindruck entsteht, dass Wasser gepredigt und Wein getrunken wird. Wenn zum Beispiel bei einer Sieben-Tage-Inzidenz von bis zu 200 „Click&Meet“ im Einzelhandel zugelassen und gleichzeitig ein harter Lockdown gefordert wird.

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Sie spielen auf den bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder an. Neben ihm und Armin Laschet fordert auch die Kanzlerin jetzt nochmal einen schnellen, harten, einheitlichen Lockdown und verschärfte Regeln. Wird Bremen sich dem verschließen?

Die Frage ist doch: Was ist damit gemeint? Schulen schließen? Da sage ich: Wir testen in Schulen so viel wie in keinem anderen Bereich, haben dort eine Maskenpflicht, viele Lehrerinnen und Lehrer sind bereits geimpft. Das Recht auf Bildung weiter in Mitleidenschaft zu ziehen, würde ich vor diesem Hintergrund äußerst kritisch sehen. Kontaktbeschränkungen weiter verschärfen? Ich bin skeptisch, dass man damit das Verhalten der Menschen wirklich verändern würde. Mit den Regeln ist es ja wie mit den Schrauben: nach fest kommt ab. Und nächtliche Ausgangssperren? Wie viel diese massiv in die persönliche Freiheit eingreifende Maßnahme wirklich bringt, ist fraglich.

Sie haben es in Bremerhaven selbst angewendet, als die Inzidenzen sehr hoch waren.

Ja, das stimmt, da lag die Inzidenz aber auch über 200. Bevor man Menschen flächendeckend in ihren Wohnungen einsperrt, muss man alle anderen milderen Mittel ausgeschöpft haben. Das haben uns auch die Verwaltungsgerichte ins Stammbuch geschrieben. Ich bin deshalb zum Beispiel sehr dafür, dass wir uns erst einmal bundesweit auf eine Testpflicht für Unternehmen verständigen – also die Pflicht für Firmen ihren Angestellten zweimal in der Woche einen Test anzubieten. Und überall dort, wo Homeoffice oder Einzelarbeitsplätze nicht möglich sind, sollten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dazu verpflichtet werden, dieses Angebot anzunehmen. Es ist doch widersinnig, das nur in den Schulen zu machen. Auch in der Wirtschaft wollen die Menschen möglichst gut geschützt werden.

Am Rand: Andreas Bovenschulte (r.) in der runde der Länderchefs.
Am Rand: Andreas Bovenschulte (r.) in der runde der Länderchefs.

© Sven Hoppe/dpa

Aber reicht das, um die dritte Welle zu brechen?

Das wäre jedenfalls ein wesentlicher Beitrag. Und die damit verbundenen Grundrechtseingriffe wären relativ gering, jedenfalls geringer als bei Ausgangsbeschränkungen.

Wenn das so sinnvoll ist, warum haben Sie die Pflicht in Bremen nicht längst?

Wir würden gern zu einer bundeseinheitlichen Lösung kommen. Gibt es die nicht, werden wir im Senat entscheiden, ob wir das alleine machen können.

Derzeit wird hitzig darüber diskutiert, ob der Bund mehr Kompetenzen in der Pandemiebekämpfung bekommt. Halten Sie das für sinnvoll?

Ich hätte zum Beispiel kein Problem damit, die verpflichtende Umsetzung der Corona-Notbremse ins Bundesinfektionsschutzgesetz zu schreiben. Auch die Testpflicht für Unternehmen sollte man aus meiner Sicht dort verankern. Ich bin grundsätzlich sehr für bundesweite Einheitlichkeit und eine enge Abstimmung zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Wogegen ich mich aber entschieden wehre, ist das Bild von den unverantwortlichen Ländern und dem Bund als strenger Gouvernante. Bevor der Bund den Ländern etwa die Schulpolitik diktiert sollte er sich erstmal um seine ureigensten Aufgaben kümmern, zum Beispiel um die Impfstoffbeschaffung. Die wurde ja eher versemmelt.

Werden Sie den geplanten Änderungen des Infektionsschutzgesetzes im Bundesrat denn zustimmen?

Auch das werden wir im Senat beraten. Der vorliegende Entwurf greift tief, meines Erachtens in manchen Bereichen unverhältnismäßig tief in die Privatsphäre ein und nimmt gleichzeitig die Infektionsgefahren in den Betrieben nicht ernst genug. Ich wäre wie gesagt für eine echte Testpflicht in Unternehmen gewesen, genauso wie wir sie schon an Schulen haben. Auch dass Sport im Freien verboten wird, bei dem es eine geringe Infektionsgefahr gibt, der aber für die Gesundheit der Menschen so wichtig ist, erschließt sich mir nicht. Und wenn dann gleichzeitig die Fußball-Bundesliga einfach weitermachen kann – dann befürchte ich schon, dass das die Akzeptanz der Menschen nicht gerade fördert.

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Sie regieren einen Zwei-Städte-Staat. Wenn Sie hier Corona-Maßnahmen ausprobieren, können Sie schnell die Wirkung sehen. Was haben Sie über Pandemiebekämpfung gelernt?

Demut. In der Pandemiebekämpfung ist die Politik darauf angewiesen, dass die Menschen mitmachen. Wenn die Zahlen unten sind, sollte man sich nicht zu sehr auf die Brust klopfen und erklären, was man für ein toller Hecht ist. Und wenn sie hoch sind, heißt es nicht in jedem Fall, dass man etwas grundlegend falsch gemacht hat. Was aber immer wichtig ist: Die Politik muss schnell und konsequent reagieren. Beim Verteilen kostenloser FFP2-Masken, beim Impfen und beim Testen in Schulen und Kitas sind wir recht fix aus den Startlöchern gekommen – und das hat sich ausgezahlt.

[Als Abonnent von T+ lesen Sie auch: Wäre die Priorisierung nicht so starr, könnten wir auch schneller impfen]

Bremen hat in Deutschland die höchste Pro-Kopf-Verschuldung. Jetzt haben Sie iPads für alle Schüler angeschafft und ein, wie manche sagen, überdimensioniertes Impfzentrum gebaut. Haben Sie da Bauchschmerzen?

Bauchschmerzen hätte ich, wenn wir nicht allen unseren Schülern digitales Lernen ermöglichen könnten oder beim Impfen nicht mit vorne dabei wären. Unser gemeinsam mit der Wirtschaft betriebenes Impfzentrum funktioniert reibungslos, da ist jeder Euro gut angelegt. Insgesamt waren wir vor Corona finanzpolitisch auf einem guten Kurs, hatten den Haushalt eigentlich ohne Neuverschuldung aufgestellt. Dann kam uns die Pandemie dazwischen. Aber gegen die Krise anzusparen ergibt keinen Sinn, das würde alles nur noch schlimmer machen. Trotzdem werden wir auch zukünftig jeden Euro zweimal umdrehen müssen.

Als erstes Bundesland haben Sie die Schuldenbremse auch für 2023 ausgesetzt. Ist das nicht unsolidarisch gegenüber den nächsten Generationen?

Unsolidarisch wäre es, wenn wir jetzt die notwendigen Investitionen in die Zukunft unterlassen würden – die Sanierung von Gebäuden, die Förderung des Strukturwandels in der Wirtschaft, die Unterstützung technischer Innovationen. Dann nämlich würde die nächste Generation eine marode Infrastruktur übernehmen. Ich bin aber dafür, dass es nach der Pandemie bundesweit eine Art gesellschaftlichen Lastenausgleich gibt. Dabei muss ein Grundsatz gelten: Diejenigen, die gut durch die Pandemie gekommen sind oder sogar von ihr profitiert haben, müssen größere Lasten tragen als die, die die Krise hart getroffen hat.

Sie wirken gerade relativ entspannt. Bei vielen ihrer Ministerpräsidentenkollegen scheinen die Nerven blank zu liegen. Wie schwierig ist diese Zeit für Sie als Politiker?

Das mit der Entspannung täuscht. Ich habe in meinem ganzen Berufsleben noch nie eine so stressige Zeit erlebt. Und dann gibt es neben dem Politiker auch noch den Menschen Bovenschulte. Mir gehen die ganzen Einschränkungen natürlich auch auf die Nerven. Ich halte sie für notwendig, ich werbe dafür und halte mich daran. Aber sie belasten mich auch.

Was war ihr düsterster Moment?

Das war Ende November letzten Jahres. Die Inzidenz in Bremen stieg auf über 250 und ich wusste nicht, ob der Wert bald wieder zurückgehen würde. Da wird einem sehr klar: Am Ende trägst du die Verantwortung – das nimmt dir niemand ab.

Sie haben eine öffentliche Musik-Playlist namens „Bovis Beats“ angelegt. Der erste Song darauf ist „Between the Wars“ von Billy Bragg. Der Song dreht sich um die Sehnsucht nach Normalität, fernab von Kriegen und Existenzängsten. Beschreibt das ihr Gefühl derzeit?

Mit irgendetwas muss man sich ja zwischen den Ministerpräsidentenkonferenzen beschäftigen. Aber im Ernst: Musik spielt in meinem Leben eine große Rolle und eine Playlist wollte ich schon immer mal anlegen. Als ich „Between the Wars“ 1986 zum ersten Mal live gehört habe, hat’s mich emotional umgehauen. Mir gefällt die Perspektive des Songs auf die Menschen, die nichts Heroisches oder Großartiges wollen, sondern nur ein ganz normales Leben. Und die vom Staat die helfende Hand und nicht die eiserne Faust erwarten.

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Was sagen Sie den Leuten, wenn die fragen: Wann wird alles wieder so wie früher?

Die Pandemie endet erst dann, wenn 70 oder 80 Prozent der Bevölkerung geimpft sind. Ich gehe davon aus, dass das im Sommer der Fall sein wird.

Das heißt, Sie garantieren den Menschen zumindest einen Sommerurlaub innerhalb Deutschlands?

Leider hat meine Glaskugel gerade ihren Dienst aufgegeben. Garantieren kann ich nichts, aber es besteht zumindest die Aussicht, dass wir im Sommer wieder reisen können. Nach dem Hin und Her mit Astrazeneca wäre es aber unseriös, jetzt Versprechen für die Zukunft abzugeben.

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