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Andrij Melnyk ist ukrainischer Botschafter in Deutschland.

© IMAGO/Christian Spicker

„Brauchen dieses Waffensystem am dringlichsten“: Melnyk fordert mehr Klarheit zu Waffenlieferungen

Technisch-logistische Probleme und vage Termine: Kurz nach der Ankündigung der Ukraine-Hilfen von Kanzler Scholz fällt die Bilanz ernüchternd aus.

Es war eine Abkühlung in der heiß gelaufenen Debatte. Nachdem Bundeskanzler Olaf Scholz am 1. Juni das Rednerpult im Deutschen Bundestag verließ, war klar: Deutschland wird die Ukraine doch mit schwerem Kriegsgerät beliefern. Detailliert und ungewohnt forsch beschrieb Scholz das Waffenpaket.

Sogar der oftmals bärbeißig auftretende ukrainische Botschafter Andrij Melnyk frohlockte ob der Ankündigung. „Endlich können wir dem Bundeskanzler Scholz von Herzen sagen: Danke!“, sagte er kurz darauf. Dann fügte er an, dass man nun „wirklich von einer Zeitenwende für die Ukraine sprechen“ könne. Nur: Bislang hat die Ukraine noch keine schwere Waffe unmittelbar aus Deutschland erhalten.

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Also alles zurück auf Anfang? Zumindest ist das Thema bei weitem doch noch nicht so heruntergekühlt, wie es sich noch vor knapp einer Woche andeutete. Zwar steht Deutschland der aktuellen Datenlage zufolge mit Blick auf militärische Hilfe international passabel da.

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Doch je länger der Ukraine-Krieg dauert, umso mehr wankt diese Statistik: Ein Update des sogenannten Ukraine Support Trackers des Instituts für Weltwirtschaft (IfW) ist für kommenden Donnerstag geplant – und darin werden wahrscheinlich abermals keine schweren Waffen aus Deutschland aufgeführt sein.

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Denn obgleich der Kriegsverlauf nicht allein vom Zutun der Bundesrepublik abhängt: Während im dynamischen Stellungskrieg nach Angaben aus Kiew täglich bis zu hundert ukrainische Soldaten fallen, hapert es bei der Einlösung der deutschen Versprechen. Zu allen Bestandteilen des angekündigten Waffenpakets gibt es entweder Berichte über technische oder logistische Probleme oder zumindest unklare Liefertermine. Ein Überblick.

Panzerhaubitzen 2000

Vor bereits knapp zwei Monaten stellte Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) der Ukraine den Erhalt von sieben Panzerhaubitzen 2000 - dem Standard-Artilleriegeschütz der Bundeswehr - in Aussicht. Doch der Lieferzeitraum bleibt vage. Von Ende Juni bis Juli ist die Rede. Eine entsprechende Tagesspiegel-Anfrage beim Bundesverteidigungsministerium ist bislang unbeantwortet.

„Sie werden dringend benötigt, weil die Russen zwanzig Mal mehr Artilleriesysteme haben und einsetzten“, sagte Botschafter Melnyk dem Tagesspiegel am Donnerstag.

[Alles Wichtige zum Krieg in der Ukraine lesen Sie hier in unserem Newsblog.]

Zusätzlich hofft Melnyk auf die Lieferung weiterer Panzerhaubitzen aus dem Bestand der Bundeswehr: Nach seinen Informationen wäre die Bundeswehr durchaus in der Lage, viel mehr Panzerhaubitzen 2000 schnell zu liefern. „Außerdem fordern wir die Ampel auf, den Ankauf von 100 neuen Panzerhaubitzen zu ermöglichen, die im Laufe der nächsten Jahre lieferbar wären. Das entsprechende Angebot der Rüstungsindustrie liegt der Ampel seit Wochen vor.“

Gesichert ist, dass das Septett aus dem Bundeswehrbestand und aus einer laufenden Instandsetzung durch deutsche und niederländische Soldaten kommen soll. Für den Einsatz werden seit Anfang Mai mehrere ukrainische Soldaten an der Artillerieschule der Bundeswehr in Idar-Oberstein ausgebildet.

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Dem Generalinspekteur der Bundeswehr, Eberhard Zorn, zufolge ist der Theorieteil abgeschlossen – wie lange die Praxis dauert, ist offen. Immerhin: „Wir gehen davon aus, dass nach Abschluss der Ausbildung, sowohl die niederländischen wie die deutschen Panzerhaubitzen auch umgehend ausgeliefert werden können“, sagte Zorn jüngst im Bundeswehr-Interview.

Flugabwehrsystem „Iris-T SLM“

Weitaus komplizierter verhält es sich offenbar mit den Flugabwehrraketen vom Typ „Iris-T SLM“. Denn einem Bericht des „Business Insider“ (BI) zufolge soll das Prunkstück des geplanten deutschen Waffenpakets erst im November oder gar Dezember einsatzbereit sein. In Kiew hofft man jedoch, „dass das erste System bereits Ende Oktober der ukrainischen Armee zur Verfügung gestellt wird“, sagte Botschafter Melnyk dem Tagesspiegel. „Wir sind da echt zuversichtlich.“

Ein Raketenwerfer vom Typ „Mars II“ steht in der Alb-Kaserne (Symbolbild).
Ein Raketenwerfer vom Typ „Mars II“ steht in der Alb-Kaserne (Symbolbild).

© dpa/Sebastian Gollnow

Grund für die mögliche Verspätung der Lieferung des Rüstungsguts aus dem Hause Diehl sollen laut BI mangelnde Absprachen der Bundesregierung mit Ägypten sein, das in den Deal involviert ist. Mittelfristig hofft man in Kiew auf „mindestens zehn weiterer solcher Systeme samt Munition, um die Verteidigungsfähigkeit der Ukraine zu stärken“, sagte Melnyk unserer Zeitung.

Mehrfachraketenwerfer „Mars II“

Auch die Details in dem BI-Bericht zu „Mars II“-Raketenwerfern dürften Melnyk und seine Landsleute irritieren, wenn nicht sogar erzürnen. So verzögere sich der bislang kolportierte Liefertermin von Ende Juni auf unbestimmte Zeit. Den Angaben zufolge sollen die Waffensysteme von Krauss-Maffei-Wegmann nicht nur marginal einsatzbereit sein, sondern auch Softwareprobleme aufweisen.

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Demnach müsse die Technik umprogrammiert werden, um überhaupt kompatibel mit Munition aus den USA oder aus Großbritannien zu sein. Grundsätzlich hatte Scholz der Ukraine vier „Mars II“-Raketenwerfer versprochen.

„Wir erwarten, dass die Ampel dieses Versprechen zügig erfüllt, weil unsere Truppen dieses Waffensystem am dringlichsten brauchen, um die ukrainische Zivilbevölkerung vor barbarischen Angriffen Russlands zu schützen und um die enorme militärische Überlegenheit zu brechen“, sagte Melnyk dem Tagesspiegel.

Flugabwehrpanzer „Gepard“

Das zuvor gepflegte Tabu schwerer Waffenlieferungen fiel Ende April – also vor bereits anderthalb Monaten. Damals genehmigte Verteidigungsministerin Lambrecht die Lieferung von 30 Flakpanzern des Typs „Gepard“. Doch auch hier tat sich bislang nichts, was der ukrainischen Armee an der Front nützt. Das liegt allerdings auch daran, dass die ebenfalls aus dem Hause Krauss-Maffei-Wegmann stammenden Fahrzeuge noch in Schuss gebracht werden müssen.

Mehr zum Ukraine-Krieg auf Tagesspiegel Plus:

Die bereits ausgemusterten Flugabwehrpanzer werden momentan noch instandgesetzt. Wie bei den Panzerhaubitzen „wird es so sein, dass wir im Juli und dann die zweite Serie im August komplett wieder hergerichtet (haben), diese Fahrzeuge dann anbieten und auch liefern werden“, verkündete Deutschlands ranghöchster Militär Zorn jüngst im Bundeswehr-Videokanal. Die Ukraine erhält also, wenn alles planmäßig läuft, demnächst „Gepard“-Pakete von jeweils 15 Fahrzeugen.

Einen Haken gibt es jedoch auch hier: Die bisher beschaffte Munition von 59.000 Schuss reicht bei weitem nicht aus. Deshalb befindet sich die Bundesregierung nun in Gesprächen mit Brasilien, Spanien und der Schweiz. Letztere allerdings hat das deutsche Ersuchen nach 12.400 Patronen schon das zweite Mal abgelehnt.

Melnyk wiederholt Dringlichkeitsappelle

Die Bilanz direkter schwerer Waffenlieferungen an die Ukraine zur Verteidigung im russischen Angriffskrieg fällt folglich ernüchternd aus, allem Anschein nach wird sich daran kurzfristig auch wenig ändern. Noch also lässt die von Melnyk und seinen Landsleuten erhoffte „Zeitenwende für die Ukraine“ mit Blick auf schweres Kriegsgerät aus Deutschland auf sich warten.

Eine Panzerhaubitze 2000 der Bundeswehr bei einer Übung in Niedersachsen im Mai.
Eine Panzerhaubitze 2000 der Bundeswehr bei einer Übung in Niedersachsen im Mai.

© picture alliance/dpa | Philipp Schulze

Das wird den Handlungsdruck auf die Bundesregierung wieder erhöhen. So schaltete auch Melnyk bereits einen Tag nach seinem Lob wieder in den altbewährten Modus. „Wenn wir ehrlich sind, 100 Tage Krieg, bis heute wurde noch kein einziges schweres Gerät in die Ukraine geliefert aus Deutschland“, sagte er im ZDF.

„Aus diesem Grund finde ich schon, dass es angemessen ist, wenn man die Menschen hier in Deutschland ein bisschen wachrüttelt, um das Gefühl der Dringlichkeit zu erzeugen. (…) Wir hoffen, dass Deutschland uns dabei hilft, diesen Krieg zu beenden“, sagte der Botschafter.

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