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Dietmar Woidke (SPD), Ministerpräsident von Brandenburg

© Carsten Koall/dpa

Brandenburgs Ministerpräsident Woidke: „In der AfD sind nicht nur Rechtsradikale und Neonazis“

Dietmar Woidke im Gespräch über die Wahlen im Osten und ihre Folgen, die schlechte Stimmung trotz guter Daten – und den Wunsch nach einem wehrhaften Staat.

Herr Woidke, muss Deutschland Angst vor der Wahl in Brandenburg haben?
Nein, aber ich bin um Brandenburgs Zukunft besorgt. Wir sind das erfolgreichste ostdeutsche Bundesland. Es ist keine Selbstverständlichkeit, dass das so bleibt. Das geht nur mit Weltoffenheit und Menschlichkeit. Ich hoffe sehr, dass die Wahl gut ausgeht und nicht eine Partei dominiert, die für Ausgrenzung, Hass und Hetze steht.

Viele fürchten, dass nach den Wahlen im Osten die große Koalition im Bund platzt.
Ich hoffe sehr, dass diese große Koalition nicht zerbricht, unabhängig vom Ausgang der Wahl. Deutschland kann sich keinen Stillstand leisten, Deutschland darf nicht instabil werden. Die große Koalition in Berlin arbeitet gut, insgesamt jedenfalls, ich nenne nur den Digitalpakt für die Schulen, die Entlastung von Pflege-Angehörigen oder das Gute-Kita-Gesetz.

Gilt das auch für die Kohle-Politik?
Ich hoffe, dass das Struktur-Stärkungs-Gesetz für den Strukturwandel der Kohleregionen nächste Woche beschlossen wird. Dafür habe ich mich immer eingesetzt. Da geht es um viele Milliarden. Eine starke Lausitz bedeutet ein starkes Brandenburg. Platzt die große Koalition, wäre das alles vom Tisch, dann müsste der Kohle-Ausstieg de facto neu verhandelt werden.

Wir brauchen aber das Gegenteil, nämlich Sicherheit, für die Beschäftigten, für die Ansiedlung der Forschungsinstitute, den Aufbau der Medizinerausbildung und besonders auch den Ausbau der Infrastruktur. Und es muss endlich eine Grundrente in Deutschland geben. Allein davon würden in Brandenburg 240.000 Menschen profitieren, ein Zehntel der Bevölkerung, in Ostdeutschland sogar über 700.000 Menschen.

Liegt es an der Krise der Bundespartei, dass die SPD in der Mark von 32 Prozent bei der Wahl 2014 auf nunmehr 21/22-Prozent in den Umfragen abgestürzt ist?
In den letzten Tagen haben wir uns in Brandenburg um rund vier Prozentpunkte verbessert. Und das ist erheblich. Aber ich will keine Umfragen, sondern Wahlen gewinnen. Natürlich ist der Zustand auf Bundesebene eine große Bürde für uns.

Ich denke, das hat gar nicht so viel mit der großen Koalition selbst zu tun, sondern dass das Erreichte in der Bevölkerung nicht ausreichend wahrgenommen wird. Das liegt auch daran, dass oft der Streit in der SPD über einen Verbleib in der großen Koalition die Schlagzeilen dominiert. Aber wir müssen Inhalte kommunizieren.

Welche Verantwortung tragen Sie selbst für den großen Vertrauensverlust in die Brandenburger SPD?
Es gibt einen Vertrauensverlust für die Volksparteien. Auch die Union liegt in den Umfragen deutlich unter ihrem Wahlergebnis von 2014. Wir müssen uns im demokratischen System in Deutschland fragen, wie wir besser mit den Menschen kommunizieren, sie besser einbeziehen und zeigen, dass die behauptete Barriere nicht da ist. Ich tue das.

Ich rede mit den Menschen, höre zu, versuche, die Erwartungen zu erfüllen. Ich habe in kurzer Zeit achtzehn Bürgerdialoge vor Ort gemacht, das Format ist gut angekommen. Ich werde, sofern ich Ministerpräsident bleibe, diese Dialoge fortsetzen. Auch einzelne Minister werden das in den Regionen künftig tun. Menschen müssen die Möglichkeit haben, auch mit Spitzenpolitikern direkt in Kontakt zu kommen, um ihre Themen direkt zu besprechen.

Noch einmal: Was haben Sie falsch gemacht?
Ich habe eher das Gefühl, dass Dinge, die gut gemacht wurden, bei den Menschen nicht angekommen sind. Wir haben Lehrer eingestellt wie nie zuvor, haben die Beiträge für das letzte Kita-Jahr abgeschafft, in Infrastruktur investiert, Verbesserungen im Bahnverkehr erreicht. Wenn man draußen unterwegs ist, merkt man, dass Kommunikationskanäle nicht mehr in früherem Maße da sind.

Anders als vor zehn oder zwanzig Jahren lesen heute nur noch wenige Menschen jeden Tag die Zeitung. Umso wichtiger ist es, rauszugehen, auch mit denen zu reden, die nicht zufrieden sind. Aber sicherlich ist nicht alles gut gelaufen. So hätte ich die Verwaltungsreform früher stoppen müssen.

Olaf Scholz uund Clara Geywitz
Olaf Scholz uund Clara Geywitz

© PNN

Der SPD-Landtagswahlkampf wurde auch von der quälenden Kandidatensuche der Bundes-SPD beeinträchtigt. Jetzt treten Olaf Scholz und Ihre frühere Generalsekretärin Klara Geywitz an. Hilft oder schadet das?
Es hilft! Die Diskussion, dass es keiner machen will, ist damit weg. Jetzt sind Schwergewichte im Ring. In der SPD, nicht nur in Brandenburg, sind viele erleichtert. Olaf Scholz und Klara Geywitz verfügen über die notwendige Erfahrung und das notwendige Handwerk. Das sollte man nicht unterschätzen. Für die Führung einer Partei wie der SPD braucht man nicht nur viel Kraft, Zeit und guten Willen, sondern…

...auch Dompteurqualitäten..?
...sondern Führungsstärke mit sozialer Kompetenz. Es wird im Dezember eine gute Entscheidung geben. Wenn eine Brandenburgerin Parteivorsitzende wird, ist das für uns eine riesengroße Ehre. Klara Geywitz ist eine gestandene Politikerin, mit gutem Humor und Durchsetzungskraft, strategisch sehr gut aufgestellt. Sie handelt nicht spontan, überlegt sich den dritten und vierten Schritt vorher. Alles zusammengenommen wäre es ein hervorragendes Team.

Sie waren aber nicht immer so begeistert von Klara Geywitz. Wegen der abgesagten Kreisreform kam es zum Zerwürfnis zwischen Ihnen beiden, in der Folge trat sie als Generalin zurück…
Wir haben schon lange kein Problem mehr damit. Wir hatten damals unterschiedliche Meinungen. Das passiert nun einmal in der Politik. Da ist nichts zurückgeblieben.

Sie warnen vor einem Wahlsieg der AfD in Brandenburg. Wie konnte die AfD in Ihrem Bundesland überhaupt so stark werden?
Ein Grund ist entscheidend: Die Menschen wollen Sicherheit. Und die haben 240.000 Menschen im Land, die ohne eine Grundrente von Altersarmut betroffen wären, eben nicht. Auch in der Debatte um Klimaschutz geht es darum. Mit dem Kohleausstieg 2038, den ich für richtig halte, werden Menschen ihren angestammten Arbeitsplatz verlieren.

Auch sie brauchen verlässliche Perspektiven. Pauschale Forderungen, schon 2030 auszusteigen, sind das Gegenteil, wenn damit die Energiesicherheit gefährdet wird, die Strompreise durch die Decke gehen und keine neuen Arbeitsplätze zur Verfügung stehen. Klimaschutz ohne soziale Verlässlichkeit ist zum Scheitern verurteilt.

Brandenburg steht in den Wirtschafts- und Sozialdaten gut da. Trotzdem ist die Stimmung im Lande schlechter als in den 90er Jahren, wo jeder vierte arbeitslos war. Woran liegt das?
Wir haben es heute mit anderen Erwartungen zu tun. Die Menschen erwarten, dass die Dynamik, die dieses Land in seiner Entwicklung hat, sich auch in der Lösung der aktuellen Herausforderungen abbildet, etwa in der Infrastruktur, beim Ausbau der Bahnverbindungen. In Brandenburg sind wir da in den letzten Jahren gut vorangekommen, auch wenn anderes behauptet wird.

Ihre Regierung hat das Problem schlechter Zugverbindungen doch viel zu spät angepackt.
Falsch! Damit es schneller geht, haben wir Planungen mit vielen Landesmillionen sogar vorfinanziert. Bei Zugverbindungen, bei Bahninfrastruktur redet man nicht über ein, zwei Jahre. Da geht es um Konzepte, die über Jahrzehnte umgesetzt werden müssen. Das geschieht. In unserer Region werden wir bis 2022 etwa 15 Prozent mehr Züge auf der Schiene haben, bis 2028 sogar ein Drittel mehr als heute.

Doch das Problem ist vom Bund, von der Deutschen Bahn zu langsam angepackt worden. Wir hatten zu lange mehr Rückbau als Aufbau bei der Bahn, nicht nur in Brandenburg. Die ostdeutschen Länder betrifft das besonders. Wenn wir bei Bahnverbindungen von der Planung bis zur Realisierung zehn, zwölf Jahre brauchen, dann dauert das eindeutig zu lange. Es ist notwendig, Genehmigungsverfahren zu straffen, auch um die ländlichen Regionen besser mitzunehmen.

Geht es beim Zulauf für die AfD nicht eher um Kränkungen, um Angst vor Kontrollverlust als um Bahngleise?
Klar, auch das fällt für mich unter Sicherheit. Die Menschen erwarten, dass der Staat gut funktioniert, dass Polizei, Justiz oder Verwaltung alle gut ausgestattet sind. In Brandenburg haben wir da den Schalter umgelegt, Polizei und Justiz aufgestockt. Auch das gilt generell: Deutschland braucht einen starken und wehrhaften Staat.

Sie sprechen, als seien Sie ein Außenstehender. Dabei sind Sie doch selbst lange in Verantwortung, und in Brandenburg regiert ihre Partei seit 29 Jahren.
Und die Zeiten haben sich verändert. Vor fünfzehn Jahren lauteten alle Prognosen, dass bis 2019 – also bis jetzt – im Zehn-Milliarden-Haushalt zwei Milliarden Euro eingespart werden müssen, also runter auf acht Milliarden. Heute haben wir 12,4 Milliarden Euro zur Verfügung, was sehr viel mit dem Erfolg des Landes zu tun hat.

Doch damals mussten schwierige Entscheidungen getroffen werden. Als es anders kam, haben wir umgesteuert. Ich habe noch als Innenminister den Abbau bei der Polizei gestoppt, wir haben massiv in Bildung, Polizei und Justiz investiert.

Andreas Kalbitz, Landesvorsitzender der AfD in Brandenburg
Andreas Kalbitz, Landesvorsitzender der AfD in Brandenburg

© Patrick Pleul/zb/dpa

Wichtige AfD-Funktionäre wie Landeschef Andreas Kalbitz stammen aus dem Westen. Warum gelingt es ihnen, sich als Rächer der Wendeverlierer zu inszenieren?
Wie sich der Herr aus München inszeniert, ist schwer gewöhnungsbedürftig. Die AfD lügt, sie schürt Angst und Hass, ihre Fraktion im Landtag ist zerbrochen, ein Abgeordneter ist als Steuerhinterzieher verurteilt, einem anderen werden die Diäten gepfändet, und Herr Kalbitz ist der Wolf im Schafspelz. Tatsache ist aber, dass viele Menschen in Ostdeutschland nicht zufrieden sind.

Denn bei Rente und Löhnen steht die Mauer noch. Dass wir nach wie vor eine Rentenmauer haben, eine Tarifmauer, dass Ostdeutsche im Schnitt 20 Prozent weniger verdienen, und dafür häufig noch länger arbeiten müssen, ist ein Skandal Das alles muss schnellstmöglich korrigiert werden, weil es 30 Jahre nach dem Mauerfall nicht mehr akzeptabel ist. In dieses Horn stößt die AfD ohne selbst auch nur ansatzweise eine Lösung anzubieten. So oder so: Diese Mauern müssen fallen.

Viele in Ostdeutschland kennen die Diktatur aus eigener Erfahrung. Warum verfängt die Behauptung der AfD trotzdem, wonach sie in der Tradition der friedlichen Revolution gegen das SED-Regime stehe?
Dass die AfD jetzt mit dem Spruch „Vollende die Wende“ Werbung macht,ist kaum erträglich und perfide. Das verfälscht die deutsche Geschichte. Ich habe damals selbst vor dem Palast der Republik demonstriert, während andere drinnen mit Honecker auf 40 Jahre DDR angestoßen haben. Ich kenne die Diktatur aus persönlicher Erfahrung. Es ist absurd von der AfD, so zu tun, als gebe es heute eine Art DDR-Regime, das gestürzt werden müsse.

In Ihrer Heimatstadt Forst ist die AfD inzwischen stärkste Kraft. Wie erklären Sie sich das?
In Städten und Gemeinden kandidieren oft bürgerliche Personen für die AfD. In der AfD sind eben nicht nur Rechtsradikale und Neonazis. In Forst kenne ich manche der AfD-Lokalpolitiker persönlich.

Brandenburg steuert auf eine schwierige Regierungsbildung zu. Was passiert, wenn es nicht einmal für ein Dreierbündnis reicht?
Die größte Herausforderung nach der Wahl wird tatsächlich sein, so schnell wie möglich eine gute und vor allem eine stabile Regierung hinzubekommen.

Könnten Sie sich auch eine Vierer-Koalition vorstellen?
Darüber will ich jetzt nicht spekulieren.

An den Grünen wird wohl kein Weg vorbeiführen. Die wollen den Kohleausstieg schon 2030. Geht das überhaupt, Dietmar Woidke mit den Grünen gemeinsam in einem Kabinett?
Manches, was sich die Grünen vorstellen, ist völlig illusorisch. Die wollen den Kohleausstieg 2030, sagen aber nicht, woher Strom dann kommen soll. Für mich ist klar: Wunschdenken ist in einer Regierung fehl am Platz.

Wären Sie nach der Landtagswahl auch für eine Allparteienkoalition gegen die AfD zu haben?
Ich strebe keine Koalition gegen die AfD an, sondern eine Koalition für Brandenburg.

Herr Woidke, Sie wollen verhindern, dass die AfD stärkste Kraft wird. Wenn das nicht klappt, treten Sie dann zurück?
Ich kämpfe für einen SPD-Wahlsieg am 1.September. Wir sollten jetzt die Demut vor den Wählern haben, das Ergebnis erst einmal abzuwarten, bevor wir über irgendetwas spekulieren.

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