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Ingo Senftleben (CDU) geht davon aus, dass nach der Landtagswahl in Brandenburg die CDU regiert.

© Annette Riedl/dpa

Brandenburgs CDU-Chef Senftleben: „Die Wahlen im Osten werden den Groko-Zerfall beschleunigen“

CDU-Spitzenkandidat Ingo Senftleben spricht über die Stimmung vor der Landtagswahl in Brandenburg – und Schnittmengen mit den Grünen. Ein Interview.

Herr Senftleben, wie deprimiert sind Sie zurzeit?

Überhaupt nicht. Ich bin jetzt vier Wochen durch Brandenburg gewandert, mit dem Fahrrad gefahren und gepaddelt. Wir haben locker 500 Kilometer in den Beinen und in den Armen. Dabei habe ich mein Gefühl bestätigt bekommen, was den Leuten unter den Nägeln brennt und welches Potenzial unser Land hat, das wir gar nicht abrufen. Wir verlieren in Brandenburg vor lauter Frust auch manchmal das Gefühl dafür, was uns auszeichnet.

Dennoch dümpelt Ihre Partei in Umfragen zur Landtagswahl noch hinter AfD und SPD vor sich hin. Machen Sie sich noch Hoffnungen auf eine von Ihnen als CDU-Ministerpräsident geführte Koalition nach der Wahl?

Natürlich! Ich habe immer gesagt, dass die CDU in Brandenburg über lange Jahre hinweg mit ihrer Selbstbeschäftigung Vertrauen verloren hat. Dies wieder zu kitten, geht am besten, wenn man in einer Regierung Taten sprechen lassen kann. Viel wird für uns davon abhängen, wie wir in den letzten Wochen vor der Wahl die Leute erreichen werden. Die, die unsicher sind, können am Ende den Ausschlag geben.

Wer derzeit in Brandenburg unterwegs ist, trifft Leute, die sich 30 Jahre nach der Wende immer noch benachteiligt fühlen. Warum ist die Stimmung heute schlechter als etwa in den 90er Jahren, obwohl damals die Arbeitslosenzahlen viel höher waren?

Als ich anfing in meinem Wahlkreis gab es eine Arbeitslosenquote von 30, 40 Prozent. Ich kann mich an Gespräche auf Marktplätzen erinnern, die waren kaum anders als heute. Es haben sich aber die Kommunikationsmöglichkeiten geändert: Sprache, die früher privat war, ist heute öffentlich. Das trägt zum Eindruck einer Verrohung bei. Der zweite Punkt ist: Es kommen eine Menge Veränderungen auf die Leute zu. Wo geht die Energiewende hin, die Strukturentwicklung in der Lausitz? Was bedeuten die Klimapolitik oder die Digitalisierung für die Arbeitsplätze? Die Veränderungen sind gewaltig. Wir tun als Politik so, als könnten wir die Menschen davor beschützen und ihnen jedes Problem abnehmen. Die Bürger wissen aber: Das wird so nicht funktionieren.

Und das macht Angst?

Ja. Veränderung ereignet sich immer schneller. Da können wir nicht so tun, als beträfe das nur die Politik und habe keine Auswirkungen auf die Bürger. Dazu kommt: Der Staat macht momentan seinen Job nicht. Lehrer, Richter, Polizei, Straßen, Funklöcher... Wie sollen die Leute glauben, dass dieser Staat sie dann vor den kommenden Veränderungen beschützen kann?

Ein Beispiel aus dem Wahlkampf. Bei einer Veranstaltung in Königs-Wusterhausen ruft eine Frau: „Nennen Sie mir doch mal einen Punkt, der im Osten gut ist! Nur einen!“ Erleben auch Sie so etwas öfter?

Ja, leider. Ich verstehe jeden, der mit seiner persönlichen Lebenssituation unzufrieden ist. Trotzdem ärgern mich solche Aussagen. Haben diese Menschen vergessen, wie es hier vor 30 Jahren aussah? Wenn jemand gar nichts Positives erkennen kann, passt das nicht zur Lebensrealität. Wir Politiker müssen darauf aufmerksam machen, dass Stolz auf das Erreichte dazu gehört, wenn man die nächsten Aufgaben anpacken will. Wir können doch nicht unseren Kindern abends am Küchentisch sagen, im Osten sei nichts los und uns dann ärgern, wenn sie mit 20 in den Westen gehen.

Immer mehr Menschen scheinen sich aber generell vom politischen System zu verabschieden. Die sagen: Politik regiert eh am Volk vorbei.

Das zeigt eine wachsende Distanz zwischen Politik und Bürgern. Deswegen habe ich gesagt: Ich rede nach der Wahl mit jeder Partei, egal ob ich mit ihrem Politikstil etwas anfangen kann - weil das ein Respektsignal an die Wähler ist. Meine zweite Ansage ist: Jede Idee, die gut ist, sollte in einem Parlament zählen – unabhängig davon, wer sie zuerst ausgesprochen hat. Und der dritte Punkt: Bürger müssen bei wichtigen Entscheidungen mehr eingebunden werden. Wir werden uns deshalb für eine Stärkung der Volksbeteiligung einsetzen und die Hürden dafür absenken.

Die AfD zieht mit ihrem Slogan „Vollende die Wende“ die Ostkarte und versucht Parallelen zu 89 zu ziehen. Trifft sie damit einen Nerv?

Ich weiß gar nicht, wo die AfD die Wende hindrehen möchte. Ins völkische, nationale, radikale? Das wäre die falsche Richtung. Mich ärgert aber vor allem, dass die AfD versucht, sich auf eine friedliche Revolution draufzusetzen, für die viele hunderttausend Menschen Opfer gebracht haben. Und zwar nicht erst im Wendeherbst 89, sondern in den Jahrzehnten davor. Mich wundert, dass das so unwidersprochen bleibt.

Gerade erschüttert die grausame Tat eines Eritreers am Frankfurter Hauptbahnhof die Republik. Befürchten Sie, dass sich die Stimmung in Brandenburg dadurch noch mehr zuspitzt und die AfD profitiert?

Da reichen ein paar Blicke ins Internet. Diese Tat macht betroffen – so wie jede Tat, wo Kinder oder Unschuldige zu Opfern werden. Da muss der Rechtsstaat mit aller Deutlichkeit reagieren. Wir sollten aber immer daran denken, dass es Taten von einzelnen Personen sind und es verbietet sich, diese Taten zu übertragen auf eine Gemeinschaft von anderen Leuten. Das zu verallgemeinern ist der nächste Schritt zu einer Verrohrung der Gesellschaft, und davor kann ich nur dringend warnen.

Wie stark beeinflussen die Querelen in der großen Koalition die Stimmung in Brandenburg vor der Wahl?

Die Landtagswahl ist zu allererst in der Verantwortung der Landesparteien, da will ich die Schuld nicht abschieben. Aber es stimmt, dass es derzeit keinen Rückenwind aus Berlin gibt. Ich wäre ja schon über Windstille froh. Eine andere Bundespolitik, die zum Beispiel die Grundrente endlich umsetzt, würde helfen. Ich habe schon vor zwei Jahren gesagt: Jamaika wäre die bessere Regierung gewesen und ich werde jeden Tag in meiner Auffassung bestätigt.

Sie haben auch gesagt, die Groko wird dieses Jahr nicht überleben. Bleiben Sie dabei?

Davon gehe ich weiter aus. Die Sozialdemokraten sind in einer prekären Situation: An der Parteispitze gibt es einen freien Platz und es wird sich nicht darum gedrängelt, ihn zu besetzen. Am 1. September werden bei der SPD mit schlechten Wahlergebnissen weitere Diskussionen ausbrechen. Deswegen glaube ich, dass die Landtagswahlen im Osten den Zerfall der Groko beschleunigen werden.

Auch die rot-rote Regierung in Brandenburg ist sehr schwach. Warum ist die CDU hier nicht erfolgreicher?

Die Leute unterscheiden in ihrer Kritik nicht zwischen Bundes- und Landespolitik. Wenn sie etwas zu kritisieren haben, dann tun sie es. Wir als CDU sind aus Sicht der Bürger durch die lange Regierungszeit auf Bundesebene auch mit verantwortlich für bestimmte Probleme. Ich versuche den Leuten deutlich zu machen: Wer einen Politikwechsel will im Land, der muss CDU wählen. Wer den Wechsel möchte, aber aus Frust die AfD wählt, der bekommt Rot-Rot-Grün und ein Weiterso.

Bekommen Sie nicht vielleicht auch die Quittung dafür, dass Sie die Union weiter nach links gerückt und damit der AfD zusätzlichen Raum gegeben haben?

Das ist doch eine rein theoretische Frage. Wenn ich auf Wanderschaft bin, spricht mich keiner darauf an, wohin ich die CDU gerückt habe. Da werde ich nach den Polizisten gefragt, die nicht mehr da sind. Nach den Lehrern, die fehlen. Nach dem Busverkehr, der besser sein müsste. Diese Fragen kann ich nicht mit links oder rechts beantworten, sondern nur mit pragmatischen Entscheidungen.

Bei der Kür zum Spitzenkandidaten wurden Sie abgestraft und Ihr Listenvorschlag mit 50 Prozent Frauen auf den ersten zehn Plätzen zerpflückt. Muss Sie der Aufstand der Konservativen nicht alarmieren?

Widerspruch! Das war kein Aufstand der Konservativen. An manchen Stellen ist der Parteitag meinen Vorschlägen nicht gefolgt. Das habe ich zu akzeptieren. Es ging vor allem um aussichtsreiche Listenplätze, da waren die Motivationen hoch. Aber ich werde meinen Prinzipien treu bleiben. Dazu zählt, dass mehr Frauen in vordere Reihen gehören.

Warum schließen Sie trotz des Gegenwinds in der CDU eine Koalition mit der Linkspartei nicht aus?

In der Politik hat man zu oft und zu leichtfertig Dinge ausgeschlossen und musste das hinterher revidieren. Ich möchte einen Regierungswechsel in Brandenburg nach 30 Jahren SPD. Wir werden nach der Landtagswahl vor einer sehr schwierigen Regierungsbildung stehen, es kann um ein, zwei Prozent gehen. Wir haben als CDU-Opposition uns fünf Jahre darauf vorbereitet. Wir wollen regieren und Brandenburg besser machen. Ich hielte es für den größten Fehler, wenn wir den Regierungsauftrag bekommen und ihn dann wie bereits 2014 nicht annehmen. Die CDU muss bereit sein, über ihren Schatten zu springen. Es ist besser, aufeinander zuzugehen als Feindbilder aufrechtzuerhalten. Es versteht sich, dass dafür die Linke auch stärker ihre Mitverantwortung und Schuld zu den Verbrechen vor 1989 erklären muss.

Ihr Konkurrent, SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke, hat selbst bei CDU-Anhängern bessere Zustimmungswerte als Sie. Tut das weh?

Glauben Sie mir: Ich sitze nicht frustriert zu Hause. Dass ein Regierungschef anders wahrgenommen wird, ist normal. Das Entscheidende jenseits aller Beliebtheitswerte ist doch: Rot-Rot ist in Brandenburg seit zwei Jahren de facto abgewählt. Und wird auch nicht wiedergewählt.

Sie wollen als Wahlsieger, als Ministerpräsident auch mit der AfD sprechen – aber nicht mit ihr koalieren. Wie darf man sich das konkret vorstellen?

Es gibt einen Termin. Und wir reden. Ehrlich gesagt, ich weiß nicht, wo das Problem ist, wenn ein Regierungschef sagt: Ich rede mit allen Parteien, die von Brandenburgern in den Landtag gewählt worden sind. In diesen Gesprächen gibt es Klartext, was die Regierung unter Ingo Senftleben vorhat.

In Brandenburg muss drei Monate nach Konstituierung des Landtages der Ministerpräsident gewählt sein, sonst gibt es Neuwahlen. Königsmacher werden nach Lage der Dinge die Grünen sein. Wie bewerben Sie sich?

Gar nicht. Mit den Grünen zusammen haben die letzten fünf Jahre in der Opposition Spaß gemacht. Wer unser Regierungsprogramm liest, der wird Schnittmengen erkennen, aber auch große Differenzen. Ich plädiere dafür, eine Regierung nicht mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner zu bilden. Stattdessen muss jede Partei in der Lage sein, Wahlversprechen Eins zu Eins umzusetzen. Man sieht bei Jamaika in Schleswig-Holstein oder Schwarz-Grün in Hessen: Es kann gelingen, dass man in einer Koalition Projekte der Partner mitträgt, obwohl sie nicht Parteilinie sind.

Wie der Klimaschutz?

Ja. Da müssen wir uns als Union ohnehin fragen, ob all unsere Positionen noch zeitgemäß sind. Ich bin bereit, in der Verkehrspolitik dem Ausbau von Zugtrassen und Radwegen Vorrang vor dem Straßenbau zu geben. Wenn wir mehr in Züge investieren, wäre das ein gemeinsames Projekt.

Was ist mit dem beschlossenen Kohleausstieg? Die Grünen wollen ihn früher, 2030 statt 2038.

Die CDU steht zum beschlossenen Kohleausstieg. Ich habe aber auch gesagt: Es wird kein Dorf in Brandenburg mehr für Braunkohlebergbau von der Landkarte verschwinden. Mein Vorschlag wäre, beim Kohleausstieg noch eine Art Prämie in das System hinein zu verhandeln. Das heißt: Für jedes Jahr, das wir früher schaffen, weil der Strukturwandel erfolgreich läuft, gibt es nochmal zusätzlich Geld für das Land. Dann kann man den Kohleausstieg vorziehen.

Sie setzen alles auf eine Karte, wollen die CDU zur stärksten Kraft machen, und selbst Ministerpräsident werden. Treten Sie zurück, wenn das schiefgeht?

Ich gehe davon aus, dass die CDU nach der Landtagswahl regiert und ich Ministerpräsident werde. Aber egal was passiert: Ich drücke mich nicht vor schwierigen Situationen.

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