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Den Vertrag mit der EU bewusst brechen: Premier Boris Johnson am Mittwoch im britischen Parlament.

© AFP

Boris Johnsons Brexit-Volte: Wer Verträge bricht, hat ausgespielt

Ein ungeregelter Brexit wird hart: für Großbritannien, weniger für die EU. Warum sollen EU und USA noch Handelsabkommen mit Johnson schließen? Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Eine weitere Brexit-Verhandlungsrunde endet ergebnislos, die achte. Das ist kein Wunder nach den ungeheuerlichen Ereignissen dieser Woche. Mit verständnisheischendem Augenzwinkern über einen Gambler und Provokateur, der spielerisch die Grenzen testet, lässt sich der Eklat nicht aus der Welt schaffen. Regierungschef Boris Johnson, so bekennt erst ein Regierungsmitglied und dann er selbst im britischen Parlament, beabsichtige, das geltende Abkommen mit der EU über den Austritt des Königreichs zu brechen, „in a specific and limited way“.

Wie ungeheuerlich diese Aussage ist, konnte man an den Reaktionen aus der Regierungspartei ablesen: vom Augenrollen gestandener Tories wie Bob Neill bis zum expliziten Protest der vorigen Regierungschefin Theresa May.

„Rule of Law“, die Verbindlichkeit von Gesetzen und Verträgen, gehört zu den zentralen historischen Errungenschaften, die die Briten einst bei sich durchsetzten - und der Welt schenkten. Es ist ein Grundprinzip der EU, nach innen wie nach außen, etwa in den Auseinandersetzungen mit autoritären Regimen.

"Rule of law" - Johnson bricht ein Prinzip westlicher Staaten

Peking breche den Vertrag über die Autonomie Hongkongs, werfen die Briten China vor – auch Johnson tut das. Doch nun greift er in den Brexit-Verhandlungen selbst zum Vertragsbruch. Die Zeit läuft ihm davon. Der Showdown naht und wird zur Offenbarung, dass Johnson den Wählern mehr versprochen hat, als er halten kann. Die EU muss sich darauf einstellen, dass Boris Johnson lieber einen harten Brexit riskiert, als die Pose des standhaften Verteidigers unabweisbarer britischer Interessen aufzugeben. Der harte Brexit würde zu wirtschaftlichen Verwerfungen führen, aber für die hat Johnson eine Ausrede: Das seien Folgen der Coronakrise.

Europa kann ohne Freihandelsabkommen reüssieren. London nicht

Auch für Festland-Europa würde ein ungeregelter Brexit hart. Freilich nicht so hart, wie er 2018 oder 2019 gewesen wäre. Damals verhinderte der Übergangsvertrag, den Johnson jetzt brechen will, die harte Landung. Die Zeit seither haben Firmen und Verwaltungen genutzt, um sich auf die Scheidung einzustellen.

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Mit Vertrag wäre natürlich besser, doch wenn er nicht zustande kommt, droht zumindest inzwischen keine Katastrophe mehr. Jedenfalls nicht für die EU. Für Großbritannien schon noch. Denn Johnsons Zukunftsmodell beruht auf Freihandelsabkommen mit der EU und den USA. Aber warum sollten die Europäer sich nach dieser Erfahrung noch mühen, ein Freihandelsabkommen mit London zu schließen, wenn Johnson Verträge offensichtlich gar nicht für bindend erachtet?

Das gleiche Echo kommt aus den USA. Ein Handelsabkommen mit Präsident Trump, auf das Johnson ersatzweise setzt, habe "absolutely no chance", im US-Kongress ratifiziert zu werden, wenn Johnson Verträge breche. Das betont die Mehrheitsführerin im Repräsentantenhaus, die Demokratin Nancy Pelosi.

Und wie will Großbritannien ohne Freihandelsabkommen mit seinen wichtigsten Partnern, der EU und den USA, reüssieren? Selbst wenn Johnson, der Spieler, noch einlenkt, bleibt der Vertrauensverlust.

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