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Sicherheit geht inzwischen vor. Der britische Premier Johnson vor einem Desinfektionsmittel-Spender eines Kaufhauses in London.

© via REUTERS

Boris Johnson und die Post-Brexit-Verhandlungen: Schluss mit lustig

Der britische Premier Boris Johnson möchte neuen Schwung in die Handelsgespräche mit der EU bringen. Aber in seiner Heimat steht er wegen Corona unter Druck.

Eigentlich müsste sich Boris Johnson darauf konzentrieren, den Ansehensverlust seiner Regierung wieder wettzumachen. Das mangelnde Krisenmanagement des britischen Premierministers während der Corona-Pandemie hat dazu geführt, dass die Regierung einen Einbruch in den Meinungsumfragen verbuchen muss. In dieser heiklen Situation drängt nun verstärkt ein altbekanntes Thema auf die Agenda, bei dem es für Johnson ebenfalls kaum etwas zu gewinnen gibt: die Gespräche mit der EU über den Post-Brexit-Vertrag.

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Am Montag schaltete sich Johnson persönlich in die Gespräche mit der EU über den geplanten Handelsvertrag ein. Der Hausherr in der Londoner Downing Street ist politisch angeschlagen, weil er in seinem Land später als in anderen europäischen Staaten einen Shutdown anordnete. Mit gravierenden Folgen: In Großbritannien sind mehr als 40.000 Corona-Tote zu beklagen, so viel wie in keinem anderen Land in Europa. Das Misstrauen der britischen Bevölkerung gegenüber der Regierung spiegelt sich in den Meinungsumfragen: Inzwischen ist die oppositionelle Labour Party wieder auf drei Prozentpunkte an die regierenden Tories herangerückt..

Briten mehrheitlich für Verlängerung der Gespräche

Auch Johnsons Kurs gegenüber der EU bei den Gesprächen über einen Handelsvertrag stößt bei den Briten überwiegend auf Ablehnung. Laut einer vom „Guardian“ veröffentlichten Umfrage sprechen sich 54 Prozent der Befragten dafür aus, die Verhandlungen mit der EU über das Jahresende hinaus zu verlängern. Aber dem hat Johnson inzwischen einen Riegel vorgeschoben. Am vergangenen Freitag erklärte der für den Brexit zuständige Minister Michael Gove, dass eine Verlängerung der Frist nicht in Frage komme.

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Damit besteht ein hoher Zeitdruck bei den Verhandlungen. Aus Sicht der EU muss der Handelsvertrag bis spätestens Oktober stehen, um anschließend genügend Zeit für die Ratifizierung zu lassen. Nach der einstündigen Videokonferenz mit Johnson, an der von EU-Seite am Montag unter anderem Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratschef Charles Michel teilnahmen, hieß es in einer gemeinsamen Erklärung beider Seiten, dass die Verhandlungen „einen neuen Schwung" bekommen sollen. Brüssel und London kamen überein, sich möglichst schnell über die Prinzipien eines Abkommens zu verständigen.

Gespräche sollen im Juli intensiviert werden

Im Juli sollen die Gespräche im Wochenrhythmus abwechselnd in Brüssel und in London vorangetrieben werden. Zu den strittigsten Punkten gehört die Forderung der EU, dass Großbritannien auch nach dem endgültigen Ausscheiden aus dem Binnenmarkt und der Zollunion zu Beginn des kommenden Jahres kein Sozial- und Umweltdumping betreiben dürfe. Hinweisen aus London, dass etwa in den EU-Freihandelsverhandlungen mit Kanada keine vergleichbaren Forderungen aus Brüssel erhoben wurden, begegnet die Gemeinschaft mit der Feststellung, dass sich Großbritannien in unmittelbarer Nachbarschaft zur Gemeinschaft befinde und daher eher in Konkurrenz zur Wirtschaft des Kontinents treten könne.

Streit über Fanggründe vor der britischen Küste

Probleme bereiten auch die Verhandlungen über die Fanggründe vor der britischen Küste. Während die EU möglichst die bisherigen Fangquoten von Fischern aus Frankreich, Dänemark oder Belgien erhalten möchte, strebt London eine jährliche Neuverhandlung der Quoten an.

Trotz dieser Streitigkeiten könnte es in der zweiten Jahreshälfte zu einem Kompromiss zwischen beiden Seiten kommen, der beispielsweise eine teilweise Unterwerfung Großbritanniens unter EU-Regelungen und Abstriche der Gemeinschaft bei ihren Forderungen zur Fischerei beinhalten könnte.

Johnson könnte die Kosten eines "No Deal" hinter der Corona-Krise verschwinden lassen

Allerdings ist es keineswegs ausgemacht, dass sich Johnson bei den Verhandlungen derart rational verhält. Der Premierminister dürfte spätestens im Herbst weiter innenpolitisch unter Druck geraten, wenn die Rezession in Großbritannien voll greift. Bis zu fünf Millionen Arbeitslose könnte es demnächst auf der Insel geben. Da könnte die Versuchung für den Premierminister wachsen, den Handelsvertrag doch sausen zu lassen. Um die Fesseln der ungeliebten EU ganz los zu werden, könnte Johnson dann die wirtschaftlichen Kosten eines „No Deal“ ganz einfach hinter dem noch größeren Corona-Desaster verschwinden lassen.

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