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Gesund oder nicht? Ernährungsexperten streiten über die Milch. Der Absatz sinkt.

© dpa

Boom für Bio- und Pflanzenmilch: Deutsche Milchbauern machen auf vegan

Die Bundesbürger trinken immer weniger Milch. Dafür werden Alternativen aus Hafer oder Mandeln immer begehrter. Hoffnung macht zudem der chinesische Markt.

Für Deutschlands größte Molkerei ist eines gewiss: „Kuhmilch war, ist und bleibt unser Rohstoff Nummer eins“, sagt Oliver Bartelt vom Deutschen Milchkontor. Und glaubt man einer repräsentativen Umfrage im Auftrag des Milch-Industrieverbands, trinkt zumindest jeder zweite Bundesbürger gern pure Milch, im Osten Deutschlands sind es sogar 60 Prozent. Das sind gute Nachrichten für die 61.000 deutschen Milchbauern, ihre 4,1 Millionen vierbeinigen Mitarbeiterinnen und die 158 Unternehmen, die deren Milch weiterverarbeiten.

Die Milch hat ein Imageproblem

Doch die harten Zahlen sprechen eine andere Sprache. Die Bundesbürger trinken immer weniger Milch. Seit 2014 geht der Pro-Kopf-Verbrauch von Jahr zu Jahr zurück. Gerechnet wird in Kilogramm. Hatte vor fünf Jahren noch jeder Verbraucher im Schnitt 56,3 Kilogramm Milch getrunken, ins Müsli gekippt oder in den Kuchenteig gerührt, so waren es 2018 nur noch 50,6 Kilogramm. Auch in diesem Jahr setzt sich der Abwärtstrend bislang ungebrochen fort. Zum Verständnis: Ein Liter Milch entspricht 1,02 Kilogramm.

Woran liegt es, dass der Milchdurst sinkt? Sind es die Warnungen von Ernährungsexperten, dass Erwachsene besser die Finger vom weißen Saft lassen sollen? Nein, sagt Björn Börgermann vom Milchindustrie-Verband. Die sinkende Nachfrage nach Milch erklärt der Verbandssprecher damit, dass die Bevölkerung in Deutschland stagniert und der Anteil der älteren Menschen wächst. „Junge Menschen trinken mehr Milch“, sagt Börgermann.

Doch nicht alle Milchbauern haben gleichermaßen Grund zur Klage. Denn es gibt auch im Milchregal Gewinner. Etwa die Biomilch. Die Nachfrage wächst, der Marktanteil liegt inzwischen bei über zehn Prozent. Und auch die Weidemilch kann sich behaupten, obwohl es so recht keine Kriterien gibt, welche Milch sich überhaupt so nennen darf. Denn anders als bei der Heumilch (kein Silofutter, dafür frisches Gras, Heu und Getreide) ist der Begriff nicht geschützt.

Nach einigen Gerichtsverfahren kristallisiert sich nun heraus, dass die Weidemilch gebenden Kühe an mindestens 120 Tagen mindestens sechs Stunden auf der Weide stehen müssen. Viele Käufer hätten wahrscheinlich deutlich mehr erwartet. Immerhin wollen sie den Tieren ein gutes Leben an der frischen Luft erkaufen.

Tierwohl: Die Bundesbürger trinken mehr Biomilch.
Tierwohl: Die Bundesbürger trinken mehr Biomilch.

© picture alliance / Peter Gercke/

Neben dem Tierschutz spielt auch Qualität eine wachsende Rolle. Beispiel Joghurt. Während sich Wald- und Wiesenprodukte schlechter verkaufen, tauchen immer neue Sorten auf, die entweder besonders lecker oder besonders gesund sein sollen. Aus Island hat es etwa der Skyr nach Deutschland geschafft.

Skyr enthält viel Protein, wenig Fett. Oder der „Nur“-Jogurt von Arla, der ohne zugesetzten Zucker auskommt. „Zu den Produkten, die immer beliebter werden, gehören Skyr, Proteinjogurts und Jogurts nach griechischer Art“, sagt Börgermann vom Milchindustrie-Verband. Auch Käse geht gut. Dagegen scheint die große Zeit der Light-Produkte vorbei zu sein.

Veganerverband sieht internationalen Trend

Die ganz großen Gewinner – allerdings auf niedrigem Niveau – sind aber Drinks aus Soja, Hafer, Lupinen, Mandel, Reis oder anderen Pflanzen. Verglichen mit dem Vorjahreszeitraum ist der Absatz dieser Milchimitate in diesem Jahr um 30 Prozent gestiegen. Beim Veganerverband Proveg sieht man einen internationalen Trend und verweist auf eine Marktforschungsstudie, nach der der „Pflanzenmilchmarkt“ zwischen 2019 und 2026 jährlich um durchschnittlich 9,1 Prozent auf 28,3 Milliarden Dollar wachsen wird.

Weidemilch liegt auch im Trend. Geschützt ist der Begriff allerdings nicht.
Weidemilch liegt auch im Trend. Geschützt ist der Begriff allerdings nicht.

© Kaufland/obs

Deutsche Traditionshersteller wollen sich von diesem Trend eine Scheibe abschneiden. Die Allgäuer Käserei Hochland produziert seit 2015 veganen „Käse“ in Scheiben, als geriebene oder Streichvariante. Die „SimplyV“-Produkte werden von der Tochter E.V.A. hergestellt, deren Produktion von Hochland getrennt ist. Man habe den Verbraucherwunsch nach veganem Essen erfüllen wollen, heißt es bei „SimplyV“. Mit knapp 80 Prozent sei man Marktführer in dem Segment, der Absatz wachse „überproportional“.

China kauft deutsche Milch

Auch das Familienunternehmen Karwendel („Exquisa“) setzt auf Pflanzenkost. Seit 2016 ist die Marke „NOA“, die pflanzliche Brotaufstriche herstellt, das zweite Standbein der Firma. Karwendel-Eigentümer Wilfried Huber hatte die Idee von seinen USA-Reisen mitgebracht, wo er Brotaufstriche wie Humus probiert hatte.

Die „NOA“-Produkte, die wie bei Hochland getrennt von den Milcherzeugnissen produziert werden, stehen inzwischen in über 70 Prozent der Supermärkte. In Berlin sei man nahezu flächendeckend vertreten, heißt es bei NOA. Der Absatz steigt, man gewinnt Marktanteile. In diesem Jahr kamen mit Kichererbse-Avocado und Paprika-Chili neue Sorten hinzu.

Einen Trost gibt es doch für die deutsche Milchwirtschaft: Wenn die Bundesbürger die Milch stehen lassen, springen andere in die Bresche. Die Chinesen etwa. 50 Prozent der deutschen Milchproduktion landet im Export. „Ein wachsender Markt ist China. Das gilt für Joghurt und Käse, aber auch für H-Milch“, heißt es beim Milchindustrie-Verband.

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