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Bolivien: Klimawandel: See auf dem Rückzug

Im bolivianischen Hochland ist der Klimawandel schon deutlich zu sehen – mit katastrophalen Folgen für die Bauern.

Traurig schaut Amalia Quispe auf ihr brachliegendes Feld. Normalerweise hätte die Bolivianerin um diese Jahreszeit längst Schweinebohnen und Klee ausgesät. Doch es fehlt der Regen. Und ohne Wasser gibt es auf 3800 Metern Höhe kein Leben. Auch der Titicacasee, an dessen Ufer die Gemeinde Barco de Belem liegt, ist kein Trost: Der See hat sich in den vergangenen Jahrzehnten um mehr als einen Kilometer zurückgezogen und unfruchtbares, versalzenes Land zurückgelassen. „Fische gibt es kaum noch“, seufzt die 48-jährige Bäuerin. „Und dieses Jahr haben wir wegen der Dürre noch nichts ernten können.“ Immer weiter müssen die Bauern ihre Kühe forttreiben, damit sie etwas Gras finden. Immer länger müssen sie mit ihren Segelbooten auf dem See kreuzen, um nahrhafte Algen und Schilf für die Kühe zu finden. Immer kürzer ist die Regenzeit – wenn sie denn einsetzt. Auf eine Milliarde Dollar beziffert die Regierung die Schäden durch Wetterkatastrophen in den vergangenen zwei Jahren.

Bolivien gehört zu den zehn Ländern, die weltweit am stärksten von solchen Katastrophen betroffen sind. Dabei ist das Land nur für 0,35 Prozent der weltweiten Kohlendioxidemissionen verantwortlich; die EU für zwölf Prozent. Im Hochland, wo knapp die Hälfte der zehn Millionen Einwohner lebt, sind die Folgen des Klimawandels bereits heute dramatisch. Das Volumen der Andengletscher hat sich nach Angaben der Nichtregierungsorganisation Oxfam in den vergangenen 30 Jahren um 40 Prozent verringert und gefährdet die Wasser- und Energieversorgung der Metropole La Paz. Die Bauern kämpfen mit Dürreperioden, abgelöst von sintflutartigen Überschwemmungen. „Ohne finanzielle Hilfe der Regierung würden wir dieses Jahr verhungern“, sagt Quispe, eine Aymara-Indianerin.

Der Titicaca-See war einst Quell der jahrtausendealten Zivilisation ihrer Urahnen, die sowohl die Invasion der Inka als auch der spanischen Eroberer überlebt hat, und von der noch heute die Ruinen von Tiwanaku zeugen. Doch der See ist auf dem Rückzug. Allein in diesem Jahr ist sein Pegel um 4,5 Meter gesunken. „Das ist so viel wie seit Jahrzehnten nicht mehr und nahe am historischen Tiefststand von 1943“, sorgt sich Carlos Andrade von der binationalen Seekommission. Mit dem See wird auch die Kultur der Aymara-Indigenas verschwinden, den stolzen Nachfahren von Tiwanaku. Zehntausende sind schon abgewandert.

Auch Quispe sieht im Hochland immer weniger Zukunft für ihre fünf Kinder. Viele Aymaras sind in die Städte gegangen und lassen dort die Armutsgürtel an der Peripherie anschwellen. Andere versuchen ihr Glück im Tiefland. Doch dort sieht es kaum besser aus. Die tropischen Böden sind wenig fruchtbar, durch Brandrodung erschließen sich die dort lebenden Bauern immer neue Anbauflächen. „Je mehr Menschen dort leben, desto schneller wird die Versteppung voranschreiten“, warnt der Klimaforscher David Cruz Choque von der Universität Umsa. Während die Niederschläge im Hochland fehlen, nehmen sie im Tiefland zu. Im Jahr 2006 erlebten die Tieflandprovinzen die schlimmsten Überschwemmungen seit Jahrzehnten. Die Amazonaszuflüsse traten massenweise über die Ufer und rissen ganze Dörfer mit sich.

Die Migration ist also keine echte Alternative. Hier setzt ein Projekt der deutschen Caritas an, das die Bauern unterstützt, sich aus eigener Kraft gegen die Folgen des Klimawandels zu stemmen. Die Chance der Bauern von Barco de Belem ist der Kake-Fluss, der einen halben Kilometer von ihren Feldern entfernt durch die wüstenartige Landschaft des bolivianischen Altiplano mäandert. Doch der Fluss ist launisch: 2007 überschwemmte er das komplette Dorf. Nun strömt er träge durch eine ockerfarbene, sehr trockene Landschaft.

Gemeinsam haben sich die 100 Einwohner des Dorfes voriges Jahr zusammengesetzt und darüber nachgedacht, wie sie den Fluss besser nutzen können. „Daraus ist die Idee entstanden, zwei mobile Pumpen zu kaufen, die in der Trockenzeit das Wasser aus dem Fluss in ein Rückhaltebecken pumpen, von wo aus es über Bewässerungsrohre auf die Felder verteilt wird“, berichtet Caritas-Projektleiter Roberto Castillo. „In der Regenzeit funktionieren die Pumpen umgekehrt und pumpen das Wasser ab in den Fluss.“ Stolz zeigen die Männer des Dorfes ein fünf Meter tiefes Erdloch, das sie mit Hacken und Schaufeln in den harten Boden gegraben haben – das künftige Rückhaltebecken. Jetzt fehlen noch Pumpen und Rohre. 13 000 Bolivianos (1200 Euro) kostet das Material – zu 30 Prozent finanziert von der Caritas, zu 70 Prozent von der Stadt Achacachi, zu der Barco de Belem gehört. Verlegt werden die Rohre von der Dorfgemeinde, die ihre Arbeitskraft einbringt.

Doch so ein Projekt erfordert viel Organisation: Es muss ein Komitee gebildet werden, das über die Nutzung der Pumpen entscheidet, Geld muss eingesammelt werden, um Geräte zu warten. Viele Entwicklungsprojekte scheitern an diesem Punkt und gehen kläglich ein, sobald die Entwicklungshelfer abziehen. Doch Castillo ist zuversichtlich, dass es in Barco de Belem anders sein wird. „Die Gemeinde hat sich zusammengesetzt und die Pumpen selbst zu ihrer Priorität erklärt. Dadurch ist der Zusammenhalt enorm gewachsen.“

So sehr, dass Quispe und die anderen Einwohner sich Gedanken machen, was sie noch tun können. „Wir wollen das Ufer des Flusses wieder aufforsten“, sagt Quispe. Und sie wünschen sich eine Kläranlage. Das flussaufwärts gelegene Achacachi lässt seine Abwässer ungeklärt in den Kake-Fluss laufen. „Neulich waren wir deshalb beim Bürgermeister“, erzählt Quispe. Der war beeindruckt von den Bäuerinnen und Bauern aus Barco de Belem, die über Gletscherschmelze, Klimawandel und Erosion referierten. „Aber“, sagt Bürgermeister Bernabé Paucara, „hier ist an allen Ecken und Enden Not.“ Er habe schon dutzende Brunnen in den 200 Gemeinden bohren lassen, die zu Achacachi gehören. „Pro Gemeinde habe ich aber gerade einmal 3000 Bolivianos zur Verfügung, das ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein angesichts der Schäden durch den Klimawandel“, klagt er. „Ob die Industrieländer das jemals wiedergutmachen können, was sie da angerichtet haben“, fragt Paucara, und gibt sich selbst die Antwort: „Wohl kaum.“ Am Himmel über Barco de Belem sind dunkle Wolken aufgezogen, es donnert. Quispe wirft einen Blick nach oben und winkt resigniert ab: „Ein leeres Versprechen. Der Wind bläst die Wolken immer wieder fort.“

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