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Kartoffelernte in Heichelheim: Ramelow punktet bei der Landbevölkerung.

© dpa/Michael Reichel

Thüringens Ministerpräsident Ramelow: Der Linke, der selbst bei der CDU ankommt

In Thüringen könnte es ein Bündnis aus Linken und CDU geben – eigentlich undenkbar. Doch selbst im konservativsten Zipfel des Landes schwinden die Vorbehalte.

Von Matthias Meisner

Als Bodo Ramelows Dienstwagen auf den Hof der Tectron GmbH in Worbis einfährt, eines mittelständischen Unternehmens an einem der ehemaligen Standorte des VEB-Kombinats Robotron, sagt der Ministerpräsident: „Nicht, dass Sie sich wundern, der Bürgermeister ist ein Freund von mir.“ Dann nimmt Ramelow Platz am Konferenztisch der Firma, grauer Anzug, rote Krawatte, das Landeswappen am Revers. Rechts von ihm sitzt der Bürgermeister der Stadt Leinefelde-Worbis, Marko Grosa, CDU. Die beiden kennen sich seit vielen Jahren.

Es ist eine bemerkenswerte Begegnung in Thüringens katholischer Enklave. Wenn es so gut funktioniert zwischen einem Regierungschef der Linken und einem Eichsfelder Christdemokraten, kann das Bedeutung bekommen nach der Wahl am Sonntag? Dann, wenn Rot-Rot-Grün die Regierungsmehrheit verfehlt?

Befragt danach, weicht Ramelow der Frage nach einem Bündnis Schwarz-Dunkelrot aus. Aber er erzählt, wie er vor ein paar Tagen beim Gottesdienst zum Landeserntedankfest in Schkölen im Saale-Holzland-Kreis seinem zu spät gekommenen CDU-Herausforderer Mike Mohring das Liedblatt reichte. „Wir haben zusammen das Brot gebrochen.“ Und, dass ihm die NSU-Ombudsfrau Barbara John kürzlich am Rande der Sondersitzung des Thüringer Landtags zum Thema ihr Buch geschenkt habe. „Mit tiefempfundenen Dank im Namen der Opfer und Hinterbliebenen-Familien des NSU-Terrors“, schrieb sie als Widmung. John, CDU, einstige Ausländerbeauftragte des Berliner Senats.

Im Eichsfeld macht der evangelische Christ Ramelow, geboren 1956 im niedersächsischen Osterholz-Scharmbeck, vor, dass er auch mit Konservativen kann. Er findet es nicht einmal schlimm, wenn er selbst so genannt wird. Das Eichsfeld ist CDU-Hochburg seit Jahrzehnten, eine sehr ländlich strukturierte Region im Dreiländereck mit Niedersachsen und Hessen. Ein schwierigeres Terrain für die Linkspartei dürfte es in Ostdeutschland nicht geben.

Der CDU-Landrat lobt an Ramelow „Korrektheit, Ehrlichkeit, Ausgleich“

Trotzdem will auch Thüringens mit einer Amtszeit von 29 Jahren dienstältester Landrat beim Unternehmensbesuch mit Ramelow nicht fehlen: Werner Henning, auch er CDU. Er ist in seinem thüringischen Landesverband eine Nummer, saß von März 1990 an in der ersten frei gewählten DDR-Volkskammer, knüpfte Kontakte sogar zu Helmut Kohl.

Betriebsrundgang bei Tectron in Worbis: Bodo Ramelow und Eichsfeld-Landrat Werner Henning (CDU. links).
Betriebsrundgang bei Tectron in Worbis: Bodo Ramelow und Eichsfeld-Landrat Werner Henning (CDU. links).

© Matthias Meisner

CDU-Politiker Henning – 2018 mit 82,2 Prozent der Stimmen in seinem Amt bestätigt – setzt sich links von Ramelow an den Konferenztisch. Wenn man ihn nun, mitten im Landtagswahlkampf, nach dem Linken-Politiker fragt, kommt eine Lobeshymne. Ramelow stehe, sagt Henning, in seiner „recht unideologischen Herangehensweise“ den früheren CDU-Ministerpräsidenten nicht nach. Er schätze an ihm sein „Bemühen um Korrektheit, Ehrlichkeit, Ausgleich und seine vergleichsweise unprätentiöse Art“.

Ohnehin realisiere sich das „Ankommen“ einer Person im Eichsfeld nicht zuvorderst über ihr Parteibuch. „Es sei denn, dass dem Parteibuch schon von vornherein etwas Unehrenhaftes oder dem Gesamtcharakter nach Suspektes anhängt.“

Ramelow, der frühere Gewerkschaftsfunktionär, tritt auf als Interessenvertreter der thüringischen Wirtschaft – und ihr vielleicht bester PR-Mann. „Was hier an Zukunftstechnik produziert wird, ist wirklich unglaublich“, schwärmt er nach dem Betriebsrundgang bei Tectron.

„Gute Arbeit, ohne Skandale“, sagt ein Unternehmer über den Linken

„Auferstanden aus Ruinen“, witzelt der Tectron-Aufsichtsratsvorsitzende und langjährige Geschäftsführer Erich Schulte über sein Unternehmen. Bei Nudelsalat und Erfrischungsgetränken aus örtlicher Produktion feiern sich alle gegenseitig. Und sind sich auch ziemlich einig über die unrühmliche Rolle der Treuhand nach der Wende. Schulte war vor der Wende als Technologe im Robotron-Betriebsteil Worbis mit der Fertigung von Rechnern und Radios befasst, hat auch viele seiner damaligen Kolleginnen und Kollegen in seine neue Firma geholt. Tectron ist heute tätig in den Sparten Sicherheitstechnik, Industrieelektronik und Kfz-Zubehör, 250 Mitarbeiter, Jahresumsatz 64 Millionen Euro. Eine Erfolgsgeschichte.

So wie die des Politikers Ramelow in Thüringen. Der Unternehmer Schulte sagt: „Ich kann Herrn Ramelow nur Hochachtung aussprechen. Gute Arbeit, ohne Skandale. Besser kann es nicht sein. Und das gilt auch menschlich.“ Ramelow erwidert: „So lange man so miteinander klarkommt, so lange ist man im Geschäft.“

Ramelow vergleicht sich mit dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann von den Grünen, der pragmatische Lösungen immer vor Ideologie stelle, „so gehe ich auch vor“. Ramelow klagt: „Immer wird über die Eichsfelder gesagt, die sind alle schwarz. Nein, das sind unheimlich erdverbundene Menschen. Und das kann ich sehr gut ab.“

In seinen fünf Jahren als Ministerpräsident ist es ihm gelungen, Vorbehalte gegen die Linke abzubauen – und erst recht gegen seine Person. Am Vorabend seiner Wahl von Ramelow zum Ministerpräsidenten 2014 hatten an die 2000 Menschen vor dem Erfurter Landtag mit Kerzen demonstriert. „Stasi raus“, stand auf Transparenten. Und: „SPD und Grüne – die neuen Blockflöten“.

Demoskopen nennen die Reputation von Ramelow „bemerkenswert“

In einer nun vor der Wahl veröffentlichten Befragung des Jenaer Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft zeigen sich CDU-Anhänger mit der Entwicklung des Landes auch unter Ramelow sehr zufrieden. Drei von vier sagen, künftigen Generationen in Thüringen werde es besser oder mindestens genauso gut gehen. Unter den Anhängern der Linkspartei sieht das nur gut die Hälfte so.

Laut Forschungsgruppe Wahlen ist die Reputation von Bodo Ramelow „bemerkenswert“. Der Ministerpräsident werde deutlich besser bewertet als seine CDU-Amtsvorgängerin Christine Lieberknecht, finde „höchste Anerkennung im eigenen Lager“. Er werde „selbst im CDU-Lager positiv gesehen“. Auch Ramelows rot-rot-grünes Kabinett schneidet demnach etwas besser ab als die schwarz-rote Vorgängerregierung.

Wie geht das, wo die Linke doch in weiten Teilen Ostdeutschlands im Abschwung ist und sich zuletzt im September bei den Wahlen in Brandenburg und Sachsen auf das PDS-Niveau von 1990 halbierte? Dass sie am Sonntag laut Umfragen hoffen darf, in Thüringen stärkste Partei zu werden, hat maßgeblich mit Ramelow zu tun – und seiner Masche. Die lässt sich auf einer Autofahrt mit ihm durch Thüringen gut beobachten: „Hier, Kölleda, das größte Motorenwerk von Daimler, aber die Steuern landen im Westen.“ Und „dort, der Stausee von Kelbra, das größte Kranichgebiet in Zentraldeutschland“. So geht das in einem fort, kurz vor Erfurt steht am Rande der Autobahn ein großes Transparent auf einem Strohballenwagen: „Gute Fahrt. Ihr Bodo Ramelow.“ Und Ramelow erzählt die Geschichte des Bauerns aus dem Wartburgkreis, der ihm mit dieser Aktion im Wahlkampf helfen will.

Legastheniker mit brillantem Gedächtnis

Ramelow kennt in Thüringen fast jeden Bürgermeister, haufenweise Unternehmenschefs. Er ist mit Daten und Zahlen vertraut, hat Fachwissen – und zeigt das auch. Ramelow hat eine Detailkenntnis seines Bundeslandes, wie sie vielleicht nur Johannes Rau in Nordrhein-Westfalen hatte. Ramelow hat ein brillantes Gedächtnis – und er ist Legastheniker, was erst im Alter von 19 Jahren festgestellt wurde. „Keiner hat es gemerkt. Ich hatte eine verheerende Schullaufbahn.“

Im Eichsfeld kennt Ramelow sich aus, spricht mit allen – und hat sich seit 1990 bestens vernetzt. Zunächst als Gewerkschaftsfunktionär, dann von Ende der 90er Jahre an als Parteipolitiker. Zum Beispiel 1993 beim Einsatz für die Kali-Kumpel in Bischofferode. Die Schließung der Grube habe ihn politisiert, sagt er, der Arbeitskampf damals habe zu „ersten Rissen im Ansehen Westdeutschlands geführt“. Zugleich habe sich das Verhältnis zur PDS über die dramatische Zeit der Bischofferode-Schließung verändert.

Das ist nicht selbstverständlich in einer Region, deren Bevölkerung von der SED mit einem so genannten „Eichsfeldplan“ ideologisch umerzogen werden sollte, wie der Politikwissenschaftler Christian Stöber in dem kürzlich im Ch. Links Verlag erschienenen Buch „Rosenkranzkommunismus“ beschreibt. Die Industrialisierung der bis dahin armen Gegend wurde zu DDR-Zeiten vorangetrieben. In Leinefelde, heute mit Worbis zu einer Stadt vereint, wurde 1961 mit einer Baumwollspinnerei begonnen, die 4500 Beschäftigte hatte – heute ist sie Geschichte. Doch katholischer Glauben und kirchliche Traditionen hätten sich nicht verdrängen lassen, sondern seien „erstaunlich lebendig“ geblieben, schreibt Stöber. Das prägt den Landstrich: Bei den Kreistagswahlen im Mai schnitt die AfD im Eichsfeld schlechter ab als im Landesdurchschnitt.

Vesper in der Brauerei Neunspringe in Worbis: "Nichts für Veganer", sagt Bodo Ramelow.
Vesper in der Brauerei Neunspringe in Worbis: "Nichts für Veganer", sagt Bodo Ramelow.

© Matthias Meisner

Dazu kann Ramelow auch noch volkstümlich sein. Am vergangenen Wochenende lauschte er den Jagdhornbläsern aus dem Eichsfeld, die in Hummelshain zum Marsch bliesen. Er wirkt, als habe er fast jede Anekdote seines Lebens im Gedächtnis. Auch die vom Schlachthof von Worbis, den er in den 90er Jahren als Gewerkschafter und gelernter Lebensmittelkaufmann gerettet haben will. „Die Eichsfelder brauchten eine Warmfleischverarbeitung“, berichtet er, für die traditionellen Wurstwaren wie Stracke und Feldkieker. Beim Firmenbesuch der traditionsreichen Brauerei Neunspringe in Worbis schmiert er sich dick Schweinemett aufs Brot. „Das hier ist nichts für Veganer.“

Ramelow weiß, wo er ansetzen muss, wie er sich Verbündete schafft: 2016 war er zur Audienz bei Papst Franziskus in Rom. Er brachte nicht nur Senf aus Altenburg mit. Sondern hatte auch Eichsfeld-Landrat Henning in der Delegation, „mein besonderer Wunsch aus Respekt für meine katholische Bevölkerung“. Henning hat das nicht vergessen.

Wahlplakate ohne Partei-Logo.
Wahlplakate ohne Partei-Logo.

© Christof Stache/AFP

26 mal ist Ramelow in diesem Wahlkampf zu abendlichen Auftritten unterwegs. „Politisch, persönlich, direkt“, heißt das Talkformat. Der Ministerpräsident steht dabei immer im Mittelpunkt. Seine Veranstaltung nach den Betriebsrundgängen in Leinefelde-Worbis findet im Stadtteil Kallmerode statt, auch das ist kein Zufall. Dort hatten die Bürger jahrzehntelang für eine Ortsumgehung gekämpft, dort war gegen die regierende CDU regelmäßig geschimpft worden. Wer kam Anfang Oktober zum ersten Spatenstich der lang ersehnten Straße? Ramelows Infrastruktur-Ministerin Birgit Keller, eine Linke. Und ins fast voll besetzte Dorfgemeinschaftshaus trauen sich auch viele Leute, die keine Anhänger der Linkspartei sind.

Auf Ramelows Wahlplakaten fehlt das Partei-Logo. „Ich bin Ministerpräsident des Freistaats Thüringen und nicht Außenstelle der Linken“, hat er einmal gesagt. Dem Wahlvolk in Kallmerode erklärt er: „Ich kämpfe für Rot-Rot-Grün. Sie haben den Luxus, für drei verschiedene Parteien stimmen zu können – und immer kommt Bodo Ramelow heraus.“ Seine Partei nimmt den Personenkult hin. Im Karl-Liebknecht-Haus in Berlin braucht es nach einer Serie von Wahlniederlagen endlich wieder Erfolge.

Ist Thüringen das Labor für eine ganz neue politische Konstellation? Am Tag nach dem Ramelow-Besuch sitzt Marko Grosa, der Bürgermeister von Leinefelde-Worbis, in seinem Amtszimmer. „Wir verstehen uns halt gut“, sagt er. „Bodo Ramelow ist besonders geradeaus, kommt mit seinen Botschaften beim Volk an. Ich habe keine Sorge, dass er den Sozialismus einführt.“ Dann sagt der CDU-Mann, was in der Landeshauptstadt Erfurt bisher keiner offen aussprechen mag: „Warum sollte hier nicht eine Koalition mit den Linken funktionieren? Ich könnte es mir vorstellen.“

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