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Politik: Bis heute prägend in Frankreich - ein deutsch-französisches Kolloquium über die Frage, wie viel Erinnerung die Politik verträgt

Am heutigen Sonnabend wollen Bundeskanzler Gerhard Schröder und der französische Premierminister Lionel Jospin im brandenburgischen Genshagen demonstrieren, wie europäische Einigkeit aussieht. Die beiden Regierungschefs, die sich über Begriffe wie "Neue Mitte", "Dritter Weg" und überhaupt das richtige Rezept für die Sozialdemokratie noch nicht haben einigen können, wollen im Genshagener Institut für Deutsch-Französische Zusammenarbeit mit zwei Erklärungen den Schlusspunkt setzen zu einem Kolloqium unter dem Titel "Historische Erinnerung und Identität".

Am heutigen Sonnabend wollen Bundeskanzler Gerhard Schröder und der französische Premierminister Lionel Jospin im brandenburgischen Genshagen demonstrieren, wie europäische Einigkeit aussieht. Die beiden Regierungschefs, die sich über Begriffe wie "Neue Mitte", "Dritter Weg" und überhaupt das richtige Rezept für die Sozialdemokratie noch nicht haben einigen können, wollen im Genshagener Institut für Deutsch-Französische Zusammenarbeit mit zwei Erklärungen den Schlusspunkt setzen zu einem Kolloqium unter dem Titel "Historische Erinnerung und Identität". Einige Vorgaben an die beiden Spitzenpolitiker lieferte die Tagung bereits am gestrigen Freitag.

Wie intensiv auch in Frankreich die Suche nach Spuren des historischen Erinnerungsvermögens in Deutschland betrieben wird, bewies vor einiger Zeit die grimmige Winterreise des französischen Star-Philosophen Bernard-Henri Lévy, der den Streit um die Wehrmachtsausstellung zum Anlass genommen hatte, deutsche Funktionsträger nach der nationalsozialistischen Vergangenheit zu befragen. Lévy zeichnete in der Zeitung "Le Monde" das Bild eines Deutschland und seiner obersten Vertreter, die die Vergangenheit am liebsten verdrängen würden und obendrein unfähig sind, historische Schuld einzugestehen.

Wenn auch Lévys Deutschland-Essay hierzulande nur am Rande wahrgenommen worden ist, so gilt das kaum für die Bubis-Walser-Debatte, die seither auch den Rahmen für Fragen an das Geschichtsbewusstsein der Politik liefert. So ist auch schon der Vorwurf laut geworden, Schröder und seine an der Macht angekommene, nach "Normalität" strebende Generation verkörpere gewissermaßen den Walser in der Politik. Diesen Vorwurf wollte der ehemalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker am Freitag in Genshagen nicht stehen lassen. An einem Grundsatz wollte er aber dennoch nicht rütteln lassen: "Eine Politik ohne Erinnerung ist eine schlechte Politik."

Wieviel Erinnerungsvermögen und Geschichtsbewusstsein verträgt die Politik? Die Frage stellte sich erstmals nach Schröders Amtsantritt im vergangenen November, als der Kanzler "aus Termingründen" auf eine Teilnahme an den französischen Gedenkfeiern zum 80. Jahrestag des Endes des Ersten Weltkrieg verzichtete. Der Göttinger Historiker Rudolf von Thadden, Ko-Direktor des Genshagener Instituts, brach eine Lanze für seine Zunft: Ein politischer Pragmatismus "ohne eine in der Geschichte verankerte Vision" sei unmöglich, sagte der vom Kanzler zum Koordinator für die deutsch-französische Zusammenarbeit berufene Geschichtswissenschaftler.

Quälende Vergangenheits-Debatten sind allerdings auch auf der anderen Seite des Rheins alles andere als unbekannt: Sei es die weiterhin ausgeblendete Erinnerung an die dunklen Jahre der Kollaboration in Vichy-Frankreich, die Beziehungen zwischen Frankreich und Algerien oder das Schicksal der Algerien-Kämpfer, den so genannten Harkis: Das Potenzial für weitere geschichtliche "Aufarbeitung" ist auch in Frankreich groß. Die Pariser Soziologin Dominique Schnapper erinnerte schließlich an den "Grundmythos", der um den Resistance-Begründer Charles de Gaulle aufgebaut worden sei - ein Geschichtsbild, das Frankreich bis heute prägt.

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