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Manchmal hermdsärmelig: Sigmar Gabriel gilt als Instinktpolitiker. Auch als Deutschlands Chefdiplomat redet der ehemalige SPD-Parteichef mit Partnern in aller Welt gerne Tacheles.

© Florian Gärtner/imago/photothek

Bilanz eines Außenministers: Sigmar Gabriels diplomatisches Erbe

Wenn es um das neue Kabinett geht, werden Gabriel kaum Chancen eingeräumt. Was hat er geschafft? Eine Bewertung und vier Expertenmeinungen.

Von Hans Monath

Nun nimmt der deutsche Außenminister doch teil an der Münchner Sicherheitskonferenz. Sigmar Gabriel hatte die Reise abgesagt, als Martin Schulz sein prestigeträchtiges Amt für sich selbst beanspruchte. Als der auf den Kabinettsposten verzichten musste, entschied sich der geschäftsführende Außenminister um. Doch jeder seiner Gesprächspartner in München wird wissen: Auf das, was mir Gabriel zusagt, kann ich mich kaum verlassen. Weit bessere Chancen auf einen Posten im neuen Kabinett hat Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU), die die Konferenz zusammen mit ihrer französischen Kollegin Florence Parly eröffnen wird.

Zwar dürfte es der neuen SPD-Führung schwer fallen den populärsten Politiker als Außenminister zu ersetzen. Aber weder die künftige Parteichefin Andrea Nahles noch der kommissarische Vorsitzende Olaf Scholz haben ein Interesse daran, in einer künftigen Regierung mit Gabriel einen Gegenpol zu installieren, der unkontrollierbar ist. Alle Beliebtheitswerte scheinen den Außenminister nicht mehr zu schützen, nachdem er seine Tochter vorgeschickt hatte, um Martin Schulz zu kritisieren ("Der Mann mit den Haaren im Gesicht"). Gabriel selbst habe mit dieser Grenzüberschreitung die Tür endgültig zugeschlagen, heißt es fast unisono in der SPD – daran ändere auch die Tatsache nichts, dass er sich mittlerweile entschuldigt hat.

Aber wie ist jenseits aller parteipolitischen Interessen Gabriels Bilanz als Chefdiplomat? Spricht sie dafür, dass seine Amtszeit verlängert wird? Hat der Mann aus Goslar Deutschlands Außenpolitik vorangebracht? Und was würde von seinem einen Jahr als Minister am Werderschen Markt bleiben, wenn er aus der Regierung ausscheidet?

Es waren zunächst vor allem ein völlig neuer Ton und Stil, die der Instinktpolitiker in die Chefetage des Auswärtigen Amtes (AA) brachte: Er agierte, sprach direkter als sein Vorgänger Frank-Walter Steinmeier, situativer, auch ruppiger und ungeschützter. Das gefiel vielen, hatte aber seinen Preis. Bei einem Israel-Besuch provozierte er mit seinem Beharren auf ein Treffen mit regierungskritischen Organisationen einen Eklat, Premier Benjamin Netanjahu lud den deutschen Gast aus. Auf einer Reise in den Libanon warf Gabriel Saudi-Arabien "Abenteurertum" vor, wonach das Königreich seinen Botschafter aus Berlin abzog. Sowohl die Regierung in Jerusalem als auch die in Riad vor den Kopf zu stoßen – dies hatte noch kein deutscher Außenminister zuvor fertiggebracht.

Bald nach Amtsantritt mischte sich der neue Außenminister mit Macht in den anlaufenden Bundestagswahlkampf ein. Vor allem weil der in Deutschland unpopuläre US-Präsident Donald Trump das Zwei-Prozent-Ausgabenziel der Nato einforderte, polemisierte Gabriel dagegen. Bei seiner Antrittsrede im Auswärtigen Amt hatte er noch versichert, er werde die neue Aufgabe nicht für parteipolitische Profilierung missbrauchen. Das galt bald nicht mehr.

Tatsächlich diskreditierte der Ex-Parteichef mit seinem Kampf gegen das Zwei-Prozent-Ziel die Anstrengungen von Vorgänger Steinmeier und Bundespräsident Joachim Gauck, die Deutschen zu einem stärkeren Engagement in der Welt zu ermutigen. Auch das Kanzleramt war wenig erbaut darüber, dass aus dem AA Sonderbotschaften kamen. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Norbert Röttgen (CDU), brachte die Kritik an Gabriel im Januar auf die Formel, dessen "willkürliches und widersprüchliches außenpolitische Hin- und Herflattern" sei "in Wahrheit eine rein innerparteiliche Aktivität".

In der Koalition weitgehend unumstritten war dagegen die Neuausrichtung der deutschen Türkei-Politik, die Gabriel im Juli nach der Verhaftung des Berliner Menschenrechtlers Peter Steudtner verkündete. Nachdem die Regierung in Ankara ihren Ton gemäßigt hatte und sich um eine Wiederannäherung bemühte, schaltete auch der deutsche Außenminister auf einen pragmatischen, fast hemdsärmeligen Kurs. Tatsächlich kamen mehrere inhaftierte Deutsche frei, allerdings nicht der Journalist Deniz Yücel. Dass Gabriel im Januar dann aber in einem Interview die Freilassung von Yücel mit deutscher Hilfe zur Aufrüstung türkischer Panzer in Zusammenhang brachte, empörte sogar den Inhaftierten.

Seine stärksten strategischen Impulse setzte Gabriel im Dezember 2017. In einer Rede vor der Körber-Stiftung forderte er eine Emanzipation von den USA, verlangte von Deutschland und der EU, gemeinsame Interessen zu definieren, statt sich ausschließlich an Werten zu orientieren. Und er gab das Ziel aus, die EU zur "Gestaltungsmacht" umzubauen. Eine "erfrischende Freude an der Provokation" bescheinigt ihm auch deshalb Thorsten Benner. Der Chef des Thinktanks Global Public Policy Institute meint, Gabriel habe einen "ungeschminkten Blick auf die strategischen Realitäten" geworfen, in der Amerikas Schutzgarantie fraglicher und der Einfluss autoritärer Staaten wie China stärker werde. Freilich habe es der Außenminister versäumt, "die Schlussfolgerungen konsistent auszubuchstabieren".

Kritischer fällt die Bilanz des Außenpolitik-Experten Thomas Jäger von der Universität Köln aus. Zwar habe Gabriel die richtigen Fragen angesichts neuer weltpolitischen Herausforderungen gestellt und damit "brachiale Kritik" an seinen Vorgängern geübt, sei aber über die Forderung nach einer Strategie für Deutschland und die EU nicht hinausgekommen. "Es gibt keine Gabriel-Strategie", sagt der Professor für Internationale Politik und Außenpolitik. Überhaupt habe der Außenminister in seiner kurzen, vom Stillstand in der EU und Unsicherheit über den Kurs der USA geprägten Amtszeit keine eigenen Akzente gesetzt: "Einen Konflikt, in dem sich Gabriel profilieren konnte, gab es nicht."

Auch in seinem eigenen Ministerium herrscht nicht nur Freude über den Stil des Politikers, der mit intuitiver Intelligenz komplexe Situationen erfassen kann, jedoch Entscheidungen gerne aus dem Bauch und ohne Konsultation des Apparats trifft. Zwar loben erfahrene Diplomaten, dass Gabriel mit seiner Körber-Rede die deutsche Außenpolitik endlich ehrlicher mache, wenn er die Realität hinter den Werten anspreche. Doch es gibt auch Zweifel an der Seriosität seiner Amtsführung. "Flatterhaft, unzuverlässig, sachlich nicht fundiert", lautet ein Urteil über sein Wirken. Letztlich gehe es bei vielen Aktionen nur um das Bild des Ministers in der Presse.

Gabriels Luxemburger Kollege Jean Asselborn sieht das entschieden anders. "Er ist ein gescheiter Kopf. Es gibt nicht viele von dieser Art unter uns Außenministern", lobte er am Rand des EU-Außenminister-Treffens in Sofia. Gabriel habe auf dem Posten "eine wirklich hervorragende Arbeit gemacht", weshalb die SPD noch einmal in sich gehen solle. Doch es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass die SPD auf Asselborns Rat hören wird.

Professor Thomas Jäger, Lehrstuhl für für Internationale Politik und Außenpolitik an der Universität Köln:

Die kurze Amtszeit von Sigmar Gabriel als Außenminister war geprägt von Stillstand in der EU, weil zuerst in Frankreich und dann in Deutschland Wahlen anstanden und von den Unsicherheiten über die amerikanische Außenpolitik. Eigene Akzente konnte er angesichts dieser Umstände nicht setzen. Er hat dies in der Politik gegenüber der Türkei versucht, indem er Stärke demonstrieren wollte, doch hielten sich die Wirkungen in Grenzen. Einen Konflikt, in dem er sich profilieren konnte, gab es nicht.

Er hat im Verlauf aber die richtigen Fragen gestellt: welche außenpolitische Strategie müssen Deutschland und die EU verfolgen, um ihre Werte und Interessen in einer turbulenten internationalen Ordnung umzusetzen? Nur China, so sagte er, verfüge derzeit über eine langfristige Strategie. Deutschland brauche nun auch eine Strategie. Das war eine brachiale Kritik an seinen Vorgängern. Über diese Forderung ist Außenminister Gabriel aber noch nicht hinausgekommen. Es gibt keine Gabriel-Strategie.

Wie viele Außenminister zuvor nutzte er Außenpolitik auch zur Innenpolitik. Das 2-Prozent-Ziel der NATO kritisierte er heftig, weil das die SPD-Wähler hören wollten. Dass sich die EU-Staaten parallel zu kontinuierlich steigenden Verteidigungshaushalten verpflichtet haben, hielt er für einen Meilenstein und sprach nicht so laut darüber. Zur Frage, welche Mittel nötig sind, um Sicherheit herzustellen, ist die deutsche Außenpolitik noch nicht durchgedrungen. Erst dann wird man das Wort, dass Deutschland mehr Verantwortung übernehmen möchte, ernst nehmen können.

Thorsten Benner, Mitgründer und Direktor des Public Policy Institute in Berlin:

Gabriel hatte als Außenminister eine erfrischende Freude an der Provokation. Er setzte wichtige Akzente gegen die falschen Europa-Narrative der Deutschen und für einen ungeschminkten Blick auf die strategischen Realitäten, in der Amerikas Schutzgarantien fraglicher und der Einfluss autoritärer Staaten wie China stärker werden (Körber-Rede). Er versäumte es jedoch, die Schlussfolgerungen konsistent auszubuchstabieren. Mit Blick auf die Nukleardebatte grifft er schnell auf alte Argumentationsmuster zurück, statt die Lage nüchtern mit Blick auf die von ihm selbst benannten strategischen Realitäten zu betrachten. Und es gibt gute Argumente gegen eine starre Fixierung auf das Zwei-Prozent-Ziel, aber Gabriel verknüpfte seine Ablehnung nicht der eigenen Aufforderung dass wir  "viel mehr tun und wagen müssen als bisher".

Gabriel hat es erfreulicherweise vermocht,  den eigenen Apparat mit Ideen und Anstößen immer wieder herauszufordern –  bei deren Umsetzung hätte es dann geholfen, stärker und planbarer auf den Apparat zu setzen, als Gabriel dies getan zu haben scheint.

Professor Johannes Varwick, Lehrstuhl für Internationale Beziehungen und europäische Politik an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg:

Gabriel hat das schwierige Amt professionell ausgeführt und nicht alleine als Fortsetzung innenpolitischer Kalküle verstanden. Er hatte einen erfrischend unkonventionellen Blick auf außenpolitische Themen und ihm war bewusst, dass Deutschland eine aktive Außenpolitik betreiben muss und sich nicht hinter historisch bedingten Restriktionen oder gar hinter Europa verstecken darf. Er nannte das strategische Außenpolitik, orientierte sich an deutschen Interessen und pflegte einen nüchternen und realistischen Blick auf die Welt. Dabei muss man nicht jeder Einzelentscheidung, die er getroffen hat zustimmen, aber er war durchsetzungsstark und mit richtigem Grundkompass.

Jan Techau, Direktor des Europa-Programms beim German Marshall Fund of the United States (GMFUS) in Berlin:

Gabriel hat das Auswärtige Amt mit frischem Wind kräftig aufgewirbelt, aber das schnell Angelernte ist er in der kurzen Zeit nicht losgeworden. Und den immer präsenten Verdacht, zu sehr in Gerhard Schröders Russland-Kreis verstrickt zu sein, auch nicht. Im Wahlkampf hat er sich dazu hinreißen lassen, die Frage der Verteidigungsausgaben eng an die Abneigung gegen Trump zu knüpfen. Da schimmerte ein anti-amerikanischer Populismus durch, den sich kein deutscher Außenminister leisten kann. Sein größtes Verdienst ist es, der Politik, vor allem seiner eigenen Partei, ins Stammbuch geschrieben zu haben, dass es mit der deutschen Wegdrückerei in der Außenpolitik nicht weitergehen kann. Ob dieser Satz Wirkung haben wird, entscheidet darüber, ob er ein Vermächtnis hinterlässt

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