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Sie wurde zum Gesicht der Menschlichkeit, er verließ die Regierung: Die deutsche Kapitänin Carola Rackete widersetzte sich im Sommer 2019 den Anweisungen von Italiens Innenminister Matteo Salvini (hier während einer Talkshow) und brachte mehr als 50 Schiffbrüchige im Hafen von Trapani in Sicherheit.

© Carlo Cozzoli/picture alliance-dpa

Bilanz des Malta-Abkommens: Nicht einmal tausend Menschen kamen

Zweieinhalb Jahre nach der Vereinbarung von Malta über die Verteilung geretteter Migrant:innen bleibt die deutsche Bilanz weit hinter den Versprechungen zurück.

Man wollte den Bildern von Schiffen ein Ende bereiten, die für verzweifelte Schiffbrüchige aus Afrika und Nahost einen sicheren Hafen in Südeuropa suchten: Im September 2019 September schloss der damalige Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) eine Vereinbarung mit seinen Kolleginnen und Kollegen aus Italien, Malta und Frankreich, dass man den Ankunftsländern Aufnahmegarantien für die Geretteten geben werde.

Zuvor hatte Italien - unter dem damaligen Innenminister Matteo Salvini von der rechtsextremen Lega - Italiens Häfen für Seenotrettungen dichtgemacht und sogar Schiffe der eigenen Küstenwache ausgesperrt. Auch das zweite wichtige Erstankunftsland Malta wollte niemanden mehr aufnehmen, solange deren "Relocation" ungeklärt war, das heißt die Frage, wer in Europa sich weiter um sie kümmern würde.

Auf Anfrage der Linksfraktion im Bundestag hat die Bundesregierung jetzt erneut eine Bilanz von Malta gezogen - und die ist dürftig: Nach ihren Angaben gab es seit 2018 - dem Jahr der ersten losen Vereinbarung der Malta-Partnerländer - für 1314 Menschen Zusagen aus Berlin, dass sie nach Deutschland kommen dürften. Versprochen hatte Berlin 2019 die Übernahme eines Viertels.

Auch Faesers Koalition der Willigen stockt

Allein im letzten Jahr kamen aber etwa 20.000, die in Seenot von Helfer:innen aus dem Meer gefischt werden mussten, nach Italien. Mehr als doppelt so viele, noch einmal 47.174, schafften es dorthin, ohne auf dem gefährlichsten Fluchtweg der Welt, dem Mittelmeer, in Seenot zu geraten. Zu Malta weiß die Bundesregierung von 838 "Seeankünften" im vergangenen Jahr, die allerdings nicht unterschieden nach Rettungsfällen und eigenständiger Ankunft. Im laufenden Jahr, meldet Malta, habe es gar niemanden gegeben.

Dass tatsächlich deutlich weniger dann auch nach Deutschland kamen, nämlich 932 der 1314, die eine Zusage hatten, scheint teils dadurch erklärlich, dass nicht alle nach Deutschland wollten und sich auf eigene Faust auf den Weg machten - was die höhere Zahl in Italien erklärt, dessen geografische Lage dies möglich macht. Vom Inselstaat Malta dagegen kamen nur 38 der 536 Menschen nicht nach Deutschland, für die es eine deutsche Aufnahmezusage gab.

Linke und Grüne monierten allerdings schon unter der letzten Regierung Merkel "Sicherheitsüberprüfungen" der Geretteten durch deutsche Behörden, die die Weiterreise nach Deutschland verzögerten oder verhindern und deren Rechtsgrundlage mindestens unklar ist.

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Von den 932, die seit 2018 kamen, stellten drei Viertel einen Asylantrag. In den Fällen, die das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bisher entschieden hat - 141 stehen noch aus - erhielt lediglich ein gutes Fünftel (22,5 Prozent) irgendeine Art von Schutz in Deutschland, vom Asyl bis hin zum Abschiebeverbot. Durch Gerichtsentscheidungen kletterte diese Schutzquote auf 28,4 Prozent.

Auf die Frage der Linksfraktion nach den Gründen - keine Rechtsberatung der Angekommenen oder gar Versuche, sie in Verhandlungen in Brüssel in diesem Stadium der Verteilung auszuhebeln - reagiert das Bundesinnenministerium patzig: Das Recht der Abgeordneten auf Information durch die Regierung "vermittelt keinen Anspruch auf Abgabe rechtlicher Bewertungen" heißt es dazu in der Antwort auf die Kleine Anfrage.

Es handle sich hier um "abstrakte Rechtsfragen, die "aus Sicht der Bundesregierung vom parlamentarischen Frage- und Informationsanspruch ausgenommen" sind.

Seehofers Nachfolgerin Nancy Faeser (SPD) hatte kaum nach ihrem Amtsantritt eine neue "Koalition der Willigen" angekündigt. Auch die scheint bisher auf der Stelle zu treten, glaubt man der Auskunft ihres Hauses, die sich sonst im wesentlichen auf die Zeit unter ihrem Vorgänger Seehofer bezieht.

der Antwort auf die Frage der Linken wird auf eine drei Wochen alte Auskunft an die Unionsfraktion verwiesen. Der teilte Faesers Haus bereits am 25. März nur den alten Stand der Absichten und Vorüberlegungen mit: "Die Bundesregierung unterstützt den Ansatz der derzeitigen französischen EU-Ratspräsidentschaft, die GEAS-Reform durch ein schrittweises Vorgehen voranzubringen. Auf dem Weg zu einem gemeinsamen, funktionierenden EU-Asylsystem könnte sich die Bundesregierung in diesem Rahmen vorstellen, mit einer möglichst großen Koalition von aufnahmebereiten Mitgliedstaaten voranzugehen."

Linke: Große Zahl abgelehnter Asylsuchender reinster Hohn

Clara Bünger, die flüchtlingspolitische Sprecherin der Linken im Bundestag, nennt es "reinsten Hohn", dass die Asylanträge der großen Mehrheit der Schiffbrüchigen abgelehnt werden: "Nach der Rettung vor dem Ertrinken werden sie zunächst monatelang in den Erstaufnahmeländern in menschenunwürdigen Lagern festgehalten, zigmal von unterschiedlichen Akteuren zu ihrer Fluchtgeschichte und ihren Fluchtgründen befragt und schließlich nach der Ankunft in Deutschland im Schnellverfahren abgelehnt. Diese Menschen haben in Europa Schutz gesucht, aber gefunden haben sie eine kaltherzige Bürokratie, in der ihre Interessen und Bedürfnisse rein gar nichts zählen.“ 

Für besonders kritikwürdig hält Bünger die die Undurchschaubarkeit des Verfahrens. Es sei keinerlei Beschwerdemöglichkeit vorgesehen, wenn Geflüchtete trotz einer Zusage doch nicht nach Deutschland kämen, "weil die Bundespolizei und der Inlandsgeheimdienst auf Basis dubioser Sicherheitsüberprüfungen Bedenken anmelden".

Die Betroffenen würden auch nicht über die Ablehnung und mögliche weitere Schritte informiert. "Ein solcher Umgang, der auch noch in erster Linie Menschen betrifft, die auf der Flucht Schreckliches durchgemacht haben, ist eines Rechtsstaats absolut unwürdig!"

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