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Eine Demonstrantin gegen die Sicherheitskonferenz in München.

© Sebastian Gabriel/dpa

Bilanz der Münchner Sicherheitskonferenz: Vom Verschwinden der Berechenbarkeit

Die Bilanz der Sicherheitskonferenz ist niederdrückend. Die Weltlage ist bedrohlich, Europa schwach. Nur einer beeindruckt - in Teilen. Ein Kommentar.

Sie streiten sich nicht mehr offen. Ist das ein gutes Zeichen für den Umgang der Europäer und Amerikaner nach einem Jahr Trump? Oder ist es eher ein beunruhigender Ausdruck, wie groß die Ratlosigkeit angesichts wachsender transatlantischer Distanz inzwischen ist?

Die Bilanz der diesjährigen Sicherheitskonferenz ist niederdrückend. Vielerorts wächst die Kriegsgefahr. Auf die vom Westen dominierte Ordnung, die dem Globus über Jahrzehnte Stabilität gab, ist nicht mehr recht Verlass. Wer ist das überhaupt noch: „der Westen“? Donald Trump hält wenig von Strukturen und Verträgen, die das Verhalten berechenbar machen. Er schließt lieber situationsbedingte „Deals“, ohne Rücksicht auf Prinzipien und Werte zu nehmen: Ihr gebt mir dies, ich gebe euch das. Wo bleibt da die langfristige Verlässlichkeit?

In manchen Regionen ist die Lage bedrohlicher als im Kalten Krieg. Damals kannte man Stellvertreterkriege zwischen amerikanischen und sowjetischen Verbündeten, aber doch nicht im eigenen Lager. In Syrien beschießen sich heute Truppen von Nato-Alliierten: Die türkische Armee kämpft gegen die mit den USA verbündeten Kurdenmilizen. Auch in den innermuslimischen Stellvertreterkriegen zwischen Verbündeten der Sunni-Großmacht Saudi Arabien und der Schiiten-Großmacht Iran werden die Frontlinien verworrener.

Sobald die Winterspiele enden, wird der Konflikt um Nordkoreas Atomprogramm wieder aufflammen. Ist wenigstens Verlass auf die von Demokraten und Republikanern unisono bekräftigte Versicherung, dass die USA keinen präventiven „Bloody-Nose“-Schlag gegen Nordkorea planen? Oder widerspricht Trump bald in einem Tweet?

Den schillerndsten Auftritt bot Sigmar Gabriel

Die Europäer können die Berechenbarkeit jedenfalls auch nicht liefern, wenn die USA ein Ordnungsvakuum hinterlassen. Das haben die Auftritte ihrer Regierungschefs, Außen- und Verteidigungsminister in München gnadenlos offenbart. Sie denken mehr an ihre jeweilige Innenpolitik als das Ziel, mit einer gemeinsamen europäischen Politik Einfluss auf das Weltgeschehen zu nehmen.

Den schillerndsten Auftritt bot Noch-Außenminister Sigmar Gabriel. Seine Rede war in Teilen beeindruckend. Wenn Europa sich nicht zusammenschließe, wenn Amerika und Europa keine gemeinsame Strategie entwickeln, werde China die Zukunft bestimmen: keine Demokratie, kein Rechtsstaat, keine freie Wirtschaft. Er wolle das nicht, betonte Gabriel. Kein Land habe mehr vom Bündnis mit den USA profitiert als Deutschland. Er forderte Realismus. In einer Welt von Fleischfressern hätten es Vegetarier schwer.

Es schien, als wolle er die populistischen Töne aus dem Wahlkampf vergessen machen: das Schüren antiamerikanischer Ressentiments, das Polemisieren gegen überfällige Investitionen in die Bundeswehr. Wie soll denn Pesco, die europäische Verteidigungsunion, funktionieren, wenn deutsche Flugzeuge, U-Boote, Panzer nicht einsatzfähig sind?

Der Außenminister kämpft um sein Amt - auch in München

In seiner Rede ließ Gabriel nicht erkennen, was er zu tun bereit ist, um die Gemeinsamkeit in der EU sowie zwischen Europa und Trumps USA zu befördern. Die wird ja nicht so aussehen, dass alle die deutschen Positionen übernehmen. Kaum hatte er die Bühne verlassen, betrieb er Nebenaußenpolitik, forderte den Abbau der Russlandsanktionen, sprach gegen die Zusage, das Verteidigungsbudget bis 2024 auf zwei Prozent des BIP zu erhöhen. Klar, das richtet sich an die SPD-Basis. Gabriel kämpft um sein Amt.

Nur: Wer auch immer Außenminister(in) wird, sie oder er wird sich auf die Verbündeten zu bewegen müssen. Der Exportweltmeister, der von sicheren Handelswegen lebt, kann kein Vegetarier unter Fleischfressern bleiben. Zur größten Militärmacht Europas wird Deutschland schon nicht, diese Sorge treibt keinen der Partner um. Sie fürchten, dass Deutschland zu wenig tut. Dass es emotionaler als andere auf Unsympathen wie Trump reagiert. Und dass es vor lauter Idealen, Prinzipien und Werten vergisst: Ganz ohne Realpolitik geht es nicht.

Christoph von Marschall ist erster Helmut-Schmidt-Fellow der ZEIT-Stiftung und des German Marshall Fund of the United States (GMFUS) und arbeitet derzeit in Washington an einer Studie über die Zukunft der Transatlantischen Beziehungen.

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