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Internet in Afrika - Datenschutz ist völlig unterentwickelt.

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Big-Tech-Unternehmen sammeln Daten in Afrika: Das ist digitaler Kolonialismus

Die Internet-Konzerne profitieren vom fehlenden Datenschutz auf dem Kontinent. Das bringt viel Geld und zementiert Ungleichheiten für die Zukunft. Ein Essay.

Die Autorin ist Expertin für Entwicklungszusammenarbeit und arbeitet bei einer NGO zur Armutsbekämpfung

Die EU beschloss im Mai 2022 den Digital Markets Act. Der Beschluss verpflichtet große Tech-Konzerne wie Meta und dessen Tochterunternehmen Facebook dazu, Nutzer*innen mehr Kontrolle über die eigenen Daten zu geben, und zielt darauf ab, die Dominanz einzelner Konzerne einzudämmen.

Wenig Aufmerksamkeit dagegen erhält das Gebaren des Konzerns auf dem afrikanischen Kontinent. Facebook profitiert massiv – vor allem durch die Extraktion von Daten aus Ländern mit begrenzten Datenschutzverordnungen und Kontrollmechanismen. Der afrikanische Kontinent selbst profitiert nur bedingt.

Free Basics ist eine von Facebook entwickelte App, die Nutzer*innen Zugriff auf eine kostenfreie Basisversion des Internets bieten soll. Ziel des Konzerns war beim Start 2013 nach eigener Aussage, Menschen in Ländern des Globalen Südens den Zugang zum Internet zu ermöglichen und den ersten Schritt zu digitaler Gleichberechtigung zu gehen.

Über die Free-Basics-App haben Nutzer*innen Zugriff auf eine kleine Auswahl von Websites, ohne für mobile Daten zahlen zu müssen. Die Auswahl bestimmt Facebook. So kontrolliert das Unternehmen die digitale Welt seiner App-Nutzer*innen. Unter anderem aufgrund des Mangels an Netzneutralität wurde die App in Indien bereits 2016 verboten.

Lokale Inhalte und Service werden nicht angezeigt

Eine breit angelegte Studie der Organisation Global Voices, eines vom Harvards Berkman Klein Center for Internet and Society gegründeten internationalen Netzwerks von Bürgerjournalist*innen und Blogger*innen, weist auf weitere Probleme hin: Statt der großen Vielfalt lokaler Dienste und Nachrichtenseiten, die auch zu juristischen und gesundheitsrelevanten Fragen informieren oder zu Belangen für Unternehmer*innen, werden primär englischsprachige Websites gezeigt. In Kenia kann zwar die App-Oberfläche auf Kiswahili genutzt werden, aber nur drei Dienste sind auf Kiswahili verfügbar. Dabei ist Kiswahili eine der offiziellen Sprachen Kenias und wird von der Mehrheit der Bevölkerung gesprochen.

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Ellery Biddle, die ehemalige Advocacy-Direktorin von Global Voices, betonte gegenüber dem „Guardian“, dass Facebook Menschen keinen Zugang zum unabhängigen Internet biete, wo Nutzer*innen selbst ausgewählte Inhalte lernen und langfristig eigene Strukturen bauen können. Stattdessen schaffe Facebook durch die Vorauswahl der Websites eine Welt, die Nutzer*innen zu weitgehend passiven Konsument*innen hauptsächlich westlicher Unternehmensinhalte mache. Facebook entscheidet, wie ganze Länder die Welt interpretieren – durch die eigene, westlich gefärbte Sicht. Die Idee von digitaler Gleichberechtigung, mit der Facebook seine App bewirbt, ist damit kaum vereinbar.

Die Tech-Unternehmen eigenen sich die Ressourcen einer anderen Gruppe an

Zusätzlich erfasst der Konzern umfänglich die Daten der Nutzer*innen. Eine Vielzahl von Wissenschaftler*innen und Expert*innen bezeichnet diese massenhafte Speicherung und Nutzung von Daten als Teil einer neuen – digitalen – Form des Kolonialismus. Renata Avila, Senior-Beraterin für Digitale Rechte bei der World Wide Web Stiftung, beschreibt digitalen Kolonialismus als „die neue Entfaltung einer quasi-imperialen Macht über eine große Anzahl von Menschen, ohne deren ausdrückliche Zustimmung“.

Mit dem Begriff lassen sich Kontinuitäten von der historischen Aneignung von territorialen und materiellen Ressourcen bis hin zur heutigen Aneignung von Daten nachzeichnen. Die Form, der Kontext und das Ausmaß der Aneignung mögen sich geändert haben, doch das Ziel bleibt dasselbe: Eine Gruppe – aktuell die größten US-Tech-Unternehmen – eignet sich die Ressourcen einer anderen Gruppe – aktuell vor allem der Bewohner des afrikanischen Kontinents – an, um für sich selbst wirtschaftlichen Wert zu schaffen.

Afrika verfügt über eine Bevölkerung von 1,3 Milliarden Menschen, von denen viele noch keinen Zugang zum Internet haben, gleichzeitig ist der Datenschutz begrenzt. Ideale Bedingungen für maximale Datenextraktion und -aneignung.

Daten sind die neue Währung. Hier ein Datenzentrum von Facebook.
Daten sind die neue Währung. Hier ein Datenzentrum von Facebook.

© picture alliance / dpa

Free Basics ist ein Paradebeispiel für den digitalen Kolonialismus. Meta-CEO Mark Zuckerberg vermarktet die App als humanitäres Projekt ohne Profitmotivation und verspricht sich laut eigener Aussage keine hohen Einnahmen von kostenlosem Internet. Big-Tech-Unternehmen beziehen ihre Gewinne allerdings ohnehin vor allem aus Werbeeinnahmen. Allein 2020 resultierten 98 Prozent von Facebooks Einnahmen aus Werbung und nur zwei Prozent aus dem direkten Verkauf von Dienstleistungen oder Kooperationen mit Regierungen, um Programme wie Free Basics zu ermöglichen.

In Afrika bekommt Facebook die Daten zu besonders günstigen Bedingungen

Grundlage dieser Werbeeinnahmen sind die Daten. Und Free Basics liefert Daten im Übermaß: Die App speichert Daten nicht nur, wenn Nutzer*innen Facebook selbst nutzen, sondern sobald sie irgendeine Website über die App aufrufen. Auf dem afrikanischen Kontinent bekommt Facebook diese Daten also zu besonders günstigen Bedingungen: In einigen Ländern kann Facebook Daten ohne Zustimmung der Nutzer*innen speichern und an Dritte weitergeben, ohne die Nutzer*innen auch nur zu informieren. In Afrika haben nur 61 und in Asien nur 57 Prozent der Länder solche Gesetze verabschiedet.

Die internationale Anwaltskanzlei DLA Piper verglich im Rahmen einer Studie die weltweiten Datenschutzgesetze: Der Datenschutz in der Mehrheit europäischer Länder und amerikanischer Staaten sei hoch – Vorreiter ist klar die EU mit der Datenschutzgrundverordnung. Die kenianische Politologin und Aktivistin Nanjala Nyabola erklärt, dass Strukturen, die es erlauben, stärkere Regulierungen einzufordern, in vielen Ländern nicht existieren. Facebooks Unternehmenssitz befindet sich auf einem anderen Kontinent ohne jegliche Rechenschaftspflicht gegenüber afrikanischen Nutzer*innen, die keine Möglichkeit haben, gerichtlich gegen den Konzern vorzugehen. In der EU ist das möglich. So wurde Facebooks Schwesterkonzern Whatsapp 2021 wegen Verstoßes gegen das EU-Datenschutzgesetz zu einer Geldstrafe von 225 Millionen Euro verurteilt. In afrikanischen Ländern dagegen hat Facebook weitestgehend freie Hand.

Der Datenkolonialismus erschwert es afrikanischen Ländern massiv, eigene nachhaltige digitale Strukturen auf der Grundlage eigener Datensätze zu entwickeln und auszubauen. Oftmals sind zu dem Zeitpunkt, wenn lokale Alternativen entwickelt wurden, die Regierungsverträge bereits mit den Unternehmen des Globalen Nordens geschlossen. Wer die besten Daten hat, kann zudem Produkte am besten weiterentwickeln und neue schaffen. So besteht nicht nur jetzt ein Machtungleichgewicht, sondern es wird die Grundlage dafür geschaffen, dass das auch so bleibt.

Es wäre leichtfertig, zu glauben, digitaler Kolonialismus betreffe uns nicht. Freiheit und Demokratie stehen auf dem Spiel, wenn nicht demokratisch legitimierte Unternehmen die digitale Welt ganzer Länder bestimmen und aus den Daten von Nutzer*innen ohne deren Zustimmung Profit schlagen. Nötig sind verschärfte Datenschutzverordnungen, die sich den im Digital Market Act gesicherten Rechten annähern, wie sie Rwanda und Kenia aktuell entwickeln. Fortschritt – wie ihn digitale Technologien begünstigen – muss mit dem Schutz von Nutzer*innen-Rechten einhergehen.

Antonia Baskakov

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