zum Hauptinhalt
Ein Pub in London hat seinen Außenbereich wieder geöffnet.

© AFP/Niklas Halle

Biergärten und Geschäfte wieder offen: Großbritanniens strenge Coronapolitik wird nun belohnt

Dank knallharten Lockdowns und Turbo-Impfkampagne ist die Pandemie in Großbritannien unter Kontrolle. Was kann Deutschland daraus lernen?

In England ist am Montag die zweite Phase der Corona-Lockerungen in Kraft getreten, in der die Außenbereiche von Pubs und Restaurants wieder öffnen dürfen. Auch alle Geschäfte, Fitnessstudios und Friseure können nach mehr als drei Monaten Lockdown wieder aufmachen. Der britische Premierminister Boris Johnson hatte vor einer Woche erklärt, die Lockerungen seien durch die sinkenden Infektionszahlen „vollauf gerechtfertigt“.

So ist die Corona-Situation in Großbritannien:

  • Großbritannien hat mit mehr als 127.000 Corona-Toten die höchste Opferzahl der Pandemie in Europa zu beklagen.
  • Nach einem knallharten Lockdown und einer Turbo-Impfkampagne sank die Sieben-Tage-Inzidenz aber auf knapp 30 Fällen pro 100.000 Einwohner – in Deutschland stieg sie am Montag auf 141.
  • Weitere 7,47 Millionen Menschen haben bereits beide Impfspritzen bekommen.

Die niedrigen Infektionszahlen führen Experten vor allem auf den strengen Lockdown zurück. Als die Corona-Mutante B.1.1.7 das Gesundheitssystem Anfang Januar kurz vor den Kollaps brachte, beschloss die britische Regierung harte Einschränkungen. Die Menschen durften ihre Häuser nur in wenigen, begründeten Ausnahmefällen verlassen. Das konnte der „unbedingt notwendige“ Weg zur Arbeit sein, das Einkaufen von wichtigen Lebensmitteln, medizinische Termine oder der Weg in die Kirche. Einmal am Tag durften die Briten aus dem Haus, um Sport zu treiben.

Treffen mit Personen aus anderen Haushalten wurden ganz verboten. Bei Missachtung drohten Strafen von bis zu 10.000 Pfund (rund 11.500 Euro). Um sich aus dem eigenen Viertel wegzubewegen, brauchte man einen triftigen Grund, und private Reisen ins Ausland wurden strikt untersagt.

Die Briten lebten Monate lang unter Maßnahmen, die in Deutschland selbst in Zeiten des bis dato härtesten Lockdowns nicht galten. Auch als die Infektionslage zuletzt viel entspannter war, blieben alle Geschäfte, Restaurants, Fitnessstudios und Friseure geschlossen. In Deutschland gibt es hier je nach Bundesland immer noch Ausnahmen – obwohl die Sieben-Tage-Inzidenz über 100 liegt und die Impfkampagne längst nicht so weit fortgeschritten ist wie in Großbritannien.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Großbritannien hat aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt. Vergangenes Jahr war das Land durch chaotisches Corona-Management und dramatisch hohe Todeszahlen aufgefallen. Anfang Januar 2021 hatten sich täglich 60.000 Menschen neu mit dem Coronavirus infiziert. 40.000 Corona-Patienten lagen in britischen Krankenhäusern, davon wurden 4000 beatmet. Die Verbreitung der ansteckenderen Corona-Mutante B.1.1.7 machten den Kurswechsel notwendig.

Nicht nur die Effektivität der Maßnahmen, sondern auch der Fortschritt der Impfkampagne bestimmen die Länge des Lockdowns. In Großbritannien hat knapp die Hälfte der Bevölkerung mindestens eine erste Corona-Impfung hinter sich.

In Deutschland haben dem Robert-Koch-Institut zufolge erst 15,9 Prozent der Bevölkerung mindestens eine Impfung bekommen. Hierzulande ist die Mutation B.1.1.7 mittlerweile weit verbreitet. Seit Mitte März steigt die Zahl der Covid-19-Patienten auf den Intensivstationen an. Am Sonntag wurden dort 4585 Corona-Kranke behandelt, wie die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) mitteilte.

Das ist ein weiterer Höchststand seit Beginn des derzeitigen Anstiegs Mitte März. Zudem stünden aufgrund des Pflegekräftemangels weniger betriebsbereite Betten zur Verfügung als noch vor einem Jahr.

Maßnahmen in Deutschland viel weniger streng

Trotzdem kann sich Deutschland nicht zu vergleichbar strengen Maßnahmen durchringen. Die von der Bundesregierung geplante sogenannte Notbremse sieht zwar bundesweit einheitliche Regelungen wie nächtliche Ausgangssperren, geschlossene Geschäfte und strengere Kontaktbeschränkungen vor, wenn die Sieben-Tage-Inzidenz in einem Landkreis oder einer Stadt über 100 liegt. Im Vergleich zu Großbritannien sind diese allerdings immer noch milde.

Dort durften die Menschen ihre Wohnungen auch tagsüber nur noch aus triftigen Gründen verlassen. Und das Kontaktverbot galt für alle Personen außerhalb des eigenen Haushaltes. Es könnte also sein, dass die bundesweite „Notbremse“ die dritte Welle weniger effektiv bricht als der britische Lockdown.

Auch Zoos dürfen in England seit Montag wieder öffnen.
Auch Zoos dürfen in England seit Montag wieder öffnen.

© AFP/Oli Scarff

Ende Juni sollen alle Corona-Maßnahmen aufgehoben werden

Mit Blick auf die Impfstrategie hat SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach vorgeschlagen, Großbritannien als Vorbild zu nehmen und so vielen Menschen so schnell wie möglich die Erstimpfung zu geben. Dazu müsse die Impfstrategie geändert und der Abstand zwischen Erst- und Zweitimpfung auf zwölf Wochen deutlich ausgeweitet werden. Nach seiner Einschätzung könnten so bis Juli über 60 Millionen Menschen in Deutschland erstgeimpft und so gegen schwere Krankheitsverläufe geschützt sein.

Bis dahin bleibt Deutschland nur der Lockdown, um die Infektionszahlen zu senken. Nach Einschätzung des Kanzleramtes müsste dieser bis Ende Mai oder Mitte Juni aufrecht erhalten werden. Angesichts des schleppenden Impffortschritts und der bisher wenig effektiven Maßnahmen wirkt diese Einschätzung allerding sehr optimistisch.

Und schon jetzt regt sich heftige Kritik an strengeren Maßnahmen wie etwa der Ausgangssperre. Auch das unterscheidet Deutschland von Großbritannien. Denn dort gab es vergleichsweise wenig Widerstand gegen besonders harte Maßnahmen.

Die Disziplin wird nun belohnt. Offene Schulen seit März, Biergärten und Shoppen ab Mitte April, private Besuche und möglicherweise Reisen ab Mitte Mai, so sieht es der „vorsichtige, aber unwiderrufliche Weg“ vor, den der britische Premierminister Boris Johnson immer wieder betont. Der Lockerungsprozess endet am 21. Juni, an dem der Großteil aller Corona-Maßnahmen in England aufgehoben werden soll. (mit dpa, AFP)

Zur Startseite