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Die als „Judensau“ bezeichnete Schmähplastik an der Stadtkirche in Wittenberg

© dpa/Hendrik Schmidt

Update

BGH-Urteil zur „Judensau“ in Wittenberg: Judenfeindliche Schmähplastik muss nicht entfernt werden

Eine Sau säugt zwei Juden, ein anderer guckt ihr in den Hintern: Der Bundesgerichtshof hat sein Urteil zu dem Sandsteinrelief in Wittenberg bekanntgegeben.

Die als Wittenberger „Judensau“ bekannte Schmähplastik darf weiter an der Stadtkirche der Lutherstadt in Sachsen-Anhalt bleiben. Der Bundesgerichtshof wies am Dienstag die Klage gegen das vorinstanzliche Urteil des Oberlandesgerichtes Naumburg ab. Der Kläger, Mitglied einer jüdischen Gemeinde, hatte die Abnahme des Sandsteinreliefs aus dem 13. Jahrhundert verlangt, weil er dadurch das Judentum und sich selbst diffamiert sieht.

Zur Begründung sagte der Vorsitzende Richter Stephan Seiters des VI. Zivilsenats, der Kläger könne nicht die Entfernung verlangen, weil es an einer „gegenwärtigen Rechtsverletzung“ fehle. Durch eine Bodenplatte und einen Aufsteller mit erläuterndem Text habe die Kirchengemeinde das „Schandmal“ in ein „Mahnmal“ umgewandelt, befanden die obersten Zivilrichterinnen und -richter Deutschlands in ihrem Urteil am Dienstag in Karlsruhe. (Az. VI ZR 172/20)

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Bis Bodenplatte und Aufsteller in den 1980er Jahren ergänzt wurden, habe die Abbildung aus dem 13. Jahrhundert „einen das jüdische Volk und seine Religion massiv diffamierenden Aussagegehalt“ gehabt und Judenfeindlichkeit und Hass zum Ausdruck gebracht, hieß es weiter. Bei Gesamtbetrachtung habe die beklagte Kirche sich erfolgreich vom Inhalt des Reliefs distanziert.

Bei dem Schmähplastik handle es sich zwar letztlich um „in Stein gemeißelten Antisemitismus“, betonte der BGH. Dieser beleidigende und „rechtsverletzende Zustand“ könne jedoch nicht nur durch Entfernung des Reliefs, sondern auch durch eine „Distanzierung und Kontextualisierung“ behoben werden, erklärte das Gericht in seiner Urteilsbegründung weiter. Durch eine solche Umwandlung könne „eine Aufklärung und eine inhaltliche Auseinandersetzung ermöglicht werden, um Ausgrenzung, Hass und Diffamierung entgegenzutreten“.

Das Relief aus dem Jahr 1290 zeigt in vier Metern Höhe eine Sau, an deren Zitzen zwei Menschen trinken, die Juden darstellen sollen. Ein Rabbiner blickt dem Tier unter den Schwanz und in den After. Im Judentum gilt ein Schwein als unrein. Die „Judensau“ gehört deshalb nach Ansicht des Klägers, einem Mitglied der jüdischen Gemeinde, in ein Museum.

Zuvor hatte das Oberlandesgericht Naumburg (OLG) bereits entschieden, dass das Relief nicht beseitigt werden muss, weil es seit 1988 in ein Gedenkensemble eingebunden sei. Auf einem Mahnmal befindet sich unter anderem ein Erklär-Text, in dem sich die Gemeinde von der Skulptur distanziert. Bei der mündlichen Verhandlung in Karlsruhe vor zwei Wochen hatten die Richterinnen und Richter noch nicht durchblicken lassen, in welche Richtung sie tendieren.

Die Stadtkirchengemeinde verweist auf dieses Mahnmal und bezeichnet die „Wittenberger Sau“ als „ein schwieriges Erbe, aber ebenso Dokument der Zeitgeschichte“. Der Fall hat Brisanz, weil die Wittenberger Stadtkirche als Mutterkirche der Reformation gilt. Hier predigte einst Martin Luther (1483-1546). (dpa, epd, AFP)

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