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Currywurst essen und Wurstbude bewerten - das geht heute Hand in Hand.

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Bewertungsportale: Wie hat Ihnen dieser Text gefallen?

Waren Sie zufrieden? Bitte bewerten Sie zwischen 5 („hervorragend“) und 1 („miserabel“)... Dauernd soll man alles mögliche bewerten, und offenbar macht das auch noch vielen Spaß. Schrecklich! Eine Glosse

Eine Glosse von Arno Makowsky

Es gibt Tage, an denen man sich nach den Zeiten sehnt, in denen es das Internet noch nicht gab. Muss lange her sein, man kann sich kaum daran erinnern. Zeiten, in denen nicht sofort nach dem Aufstehen das Handy „pling“ machte und die erste Whatsapp den ganztägigen, nie endenden Kommunikationsterror eröffnete. Und in denen man nicht täglich genötigt wurde, dies und jenes und die ganze Welt zu „bewerten“.

„Arno, wie hat Ihnen Ihre Reise nach Mailand gefallen?“, fragt mich der Algorithmus von booking.com, mein alter Kumpel. Von der Fernseh-App Zattoo ergeht die höfliche Bitte, natürlich per Du: „Hilf uns mit einer Minute deiner Zeit, Zattoo besser zu machen.“ Und Amazon, wo ich erstens eine Tonerkartusche für den Drucker und außerdem Turnschuhe bestellt habe, will umgehend nach der Lieferung wissen: Waren Sie zufrieden? Bitte bewerten Sie zwischen 5 („hervorragend“) und 1 („miserabel“). Der Turnschuhhersteller fragt: „Wie hat Ihnen die Größe gepasst?“

Man möchte ihnen antworten: Geht euch nichts an. Vielleicht noch: Eine Größe kann nicht passen, Freunde. Und wenn die Schuhe nicht passen, schicke ich sie zurück, das merkt ihr dann schon. Aber es hat ja keinen Sinn, niemand würde es lesen, es handelt sich um automatisch generierte Fragen, die von den Portalen automatisch ausgewertet und zur ständigen Optimierung und damit besseren Vermarktung des Produkts verwendet werden. Die persönliche Anrede ist nur Fake, ein Trick, um dem Konsumenten vorzugaukeln, dass sich irgendjemand für seine Meinungen interessierte.

Es muss ein äußerst effizientes Verfahren sein, sonst würde man nicht täglich mehrere Aufforderungen bekommen, möglichst sein ganzes Leben zu bewerten. Aus Sicht der Unternehmen ist das schlüssig und sehr konsequent. Erst verpflichteten sie ihre Kunden dazu, alle möglichen Serviceleistungen selbst zu übernehmen: Wir machen fast alle Online-Banking, geben unsere Gepäckstücke am Flughafen längst selbst auf und ziehen die Einkäufe im Supermarkt ganz alleine über den Scanner. Verkauft wird das Ganze natürlich als tolle Innovation: „Gestalten Sie die Zukunft unseres Unternehmens aktiv mit!“ Ehrlicher wäre: „Helfen Sie mit, dass wir mit noch weniger Angestellten noch mehr verdienen!“

Alles hängt mit der Meinungsgier des Internets zusammen

Inzwischen übernehmen wir auch Marktforschung und Produktverbesserung selbst. „Co-Creation“ nennen Fachleute die Idee, Kunden an der Entwicklung (und Wertschöpfung) zu beteiligen, indem sie Ideen liefern und Produkte bewerten. Natürlich kostenlos, sie machen’s ja freiwillig und gerne. „Hilf uns mit einer Minute deiner Zeit…“ Man wüsste gerne, wie viele Minuten am Tag bei einem Unternehmen wie Amazon dabei so zusammenkommen. Vermutlich könnte man mit dem Gegenwert ein Heer von Marketingleuten bezahlen.

Das Beunruhigende ist, dass viele Konsumenten offenbar ganz versessen darauf sind, ihre Meinung zu allem und jedem zu äußern. Man lebt im ständigen Bewertungsmodus. Die Rezeptionistin im Hotel war unfreundlich, beim Frühstück gab es schon um halb elf keine Spiegeleier mehr? Na, denen werden wir’s zeigen. „Vorsicht, der Service in diesem Hotel ist unterirdisch. Nie wieder!“ Bewerten ist Macht.

Warum ist das so? Natürlich hängt es mit der Meinungsgier des Internets zusammen, mit einer Kultur, in der Differenzierung als schwächlich und langweilig empfunden wird. Wer hingegen hart urteilt, wer überhaupt seine Meinung sagt, gilt als dynamisch und erfolgsorientiert. Die Medien befeuern diese Sicht, weil Meinungsartikel (je krasser die Meinung, desto besser) auf den Onlineportalen besser laufen als fade Nachrichten. Dabei ist natürlich nichts gegen eine klare Haltung zu wichtigen Themen einzuwenden. Aber muss man sich wirklich zu jedem Quatsch äußern?

Es kann nicht mehr lange dauern, bis die Bewertungs-Manie auf sämtliche Lebensbereiche übergreift und auch das Privatleben nach den Maßstäben der Konsumwelt beurteilt. Wie hat Ihnen Ihre Ehefrau heute gefallen? Bitte wählen Sie zwischen 5 („ein Traum“) und 1 („die nervt“). Wie bewerten Sie die Gesprächsatmosphäre gestern in der Pizzeria nach dem Kino? Ich werde meinen Kindern jedenfalls demnächst auf einem Bewertungsportal mitteilen, wie sie ihre Hausaufgaben-Qualität optimieren können. Und das Ergebnis automatisch mit dem Taschengeld-Output rückkoppeln.

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