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Kläger und Politik werden von einem Urteil überrascht, manche Journalisten nicht. Einige wenige werden vorab informiert.

© Uli Deck/dpa

Bevorzugung ausgewählter Medien: Parlamentarier kritisieren Verfassungsgericht für seine Öffentlichkeitsarbeit

Die Karlsruher Richter haben beschlossen, weiterhin bestimmte Medien zu bevorzugen - Linke und AfD finden das unhaltbar, auch die FDP ist skeptisch.

Das Bundesverfassungsgericht will trotz Kritik aus Oppositionsparteien an seiner Praxis festhalten, einen kleinen Kreis ausgewählter Medien vorab und nach Verpflichtung zum Stillschweigen über Inhalte seiner Urteile zu informieren. Nachdem der Tagesspiegel Anfang Juni über das bei deutschen Gerichten unübliche Vorgehen erstmals berichtet hat, ist das Plenum des Verfassungsgerichts zusammengetreten und hat sich mehrheitlich für die Beibehaltung ausgesprochen. Dies bestätigte ein Sprecher des Gerichts.

Die Praxis finde „seit Jahrzehnten“ Anwendung, hieß es. Sie beruhe auf Richtlinien zur Pressearbeit, die das aus den beiden Karlsruher Senaten bestehende Plenum 2013 verabschiedet habe. Nicht nur in der Öffentlichkeit war das Vorgehen unbekannt, auch in Parlament, Justiz und Bundesregierung zeigte man sich überrascht. Kenntnisse davon besaßen nur Korrespondenten vor Ort und teilweise einzelne Journalisten in Sendern und Redaktionen, die von ihnen eingeweiht wurden. Die Richtlinien des Gerichts zur Pressearbeit sind nicht veröffentlicht.

Zugang haben nur Vereinsmitglieder, meist von ARD und ZDF

Nach Gerichtsangaben dürfen sich nur Mitglieder der „Justizpressekonferenz“, eines Karlsruher Vereins von Justizkorrespondenten, am Vorabend die Presseerklärungen bei Gericht in Papierform abholen, um Sendungen und Artikel vorzubereiten. Rund die Hälfte der Vereinsmitglieder vertreten die öffentlich-rechtlichen Sender ARD und ZDF, die meisten anderen sind für andere reichweitenstarke Medien tätig. Tags darauf treffen die Korrespondenten dann für aktuelle Interviews auf Prozessbeteiligte, die von dem Urteil erst bei der Verkündung erfahren haben.

Die Linksfraktion fordert, diese Praxis zu stoppen. Sie sei „aus rechtsstaatlichen Gründen nicht akzeptabel“, sagte der rechtspolitische Sprecher Friedrich Straetmanns. „Eine Vorabverkündung würde die Rüge der Befangenheit mehr als rechtfertigen.“ Auch im Sinne der Pressefreiheit sei eine Vorabinformation ausgewählter Adressaten verboten. Verfassungsgerichtspräsident Stephan Harbarth solle mit einer „eindeutigen Erklärung“ die Abkehr von der Praxis einleiten.

Will sich das Gericht die Presse gewogen machen?

AfD-Parteivize Stephan Brandner nennt die Praxis „skandalös“. Er kritisiert, dass „ausgesuchte Journalisten wenige Sekunden nach Urteilsverkündungen schon bestens vorbereitet mit detaillierten Fragenkatalogen aufwarten können und Leitartikel druckfertig haben, während die Prozessbeteiligten völlig überrascht sind und sich zunächst einmal sammeln müssen“. Brandner zufolge müsse es ausgeschlossen werden, dass eine solche Vorgehensweise „weiter verfolgt wird oder sich sogar auf andere Gerichte überträgt“. Er frage sich, ob das Gericht sich damit die ausgesuchten Medienvertreter gewogen machen wolle.

Skeptisch zeigt sich auch die FDP. Es sei „sicherlich nachvollziehbar, dass das Gericht eine schnelle und umfassende Presseberichterstattung fördert“, so Fraktionsvize Stephan Thomae. Es solle jedoch „in der Lage sein, seine Praxis als solche und seine Auswahl der Pressevertreter nachvollziehbar zu erklären“. Dem Bundesverfassungsgericht komme hier aus seiner Stellung als höchstem nationalen Gericht eine „besondere Vorbildfunktion“ zu. Jeder Anschein, der seine Neutralität infrage stellen könne, solle unbedingt vermieden werden.

CDU-Rechtsexperte Hirte: "Man fühlt sich vorgeführt"

Die Regierungsfraktionen von SPD und Union sowie die Grünen halten sich bei dem Thema bedeckt. Offiziell hieß es, man habe keine ausreichenden Informationen. Kritik äußerte nur der CDU-Abgeordnete Heribert Hirte, selbst Jura-Professor und Mitglied im Rechtsausschuss, auf Twitter: Er warnte vor dem Eindruck, das Gerichte begreife sich als „eigenständige politische Gestaltungsmacht – und nicht vorrangig als Gericht“. Eine selektive Vorabinformation sei „nicht fair“ gegenüber Prozessparteien und nichtinformierten Medien. Außerdem beeinträchtige dies Parteien und Bundestag in ihren Reaktionsmöglichkeiten. „Man fühlt sich vorgeführt.“

Die AfD hat gegen die Praxis geklagt, bisher allerdings vergeblich. Das Karlsruher Verwaltungsgericht wies im Juni unmittelbar vor der Urteilsverkündung in einem Verfahren der AfD gegen Bundesinnenminister Horst Seehofer (CDU) einen Eilantrag der Partei zurück. Ein Nachteil im politischen Wettbewerb sei durch die Vorabinformation nicht erkennbar.

Gericht behält sich vor, die Praxis "ohne Vorankündigung" zu ändern

Das Bundesverfassungsgericht hatte seine Beschränkung auf Mitglieder der „Justizpressekonferenz“ in dem Rechtsstreit damit begründet, es handele sich um Journalisten mit „besonderer Expertise“ und einer „langjährig unter Beweis gestellten Zuverlässigkeit“. Dies biete die Gewähr dafür, dass bis zur Verkündung keine Informationen über das Urteil nach außen dringen könnten. Der Deutsche Journalisten-Verband hatte dagegen gefordert, Medienvertreter gleich zu behandeln und Vorabinformationen allen interessierten Medien bereitzustellen. Auch bei digitalen Informationen seien Journalisten im 21. Jahrhundert in der Lage, Sperrfristen einzuhalten, betonte der Bundesvorsitzende Frank Überall. Möglicherweise werden die Maßgaben des Gerichts auch gelockert. Das Verfassungsgericht erklärte auf Anfrage, den berechtigten Personenkreis „in begründeten Ausnahmefällen“ erweitern zu wollen. Möglich ist aber auch ein anderer Weg: Ein Auslaufen ohne Aufsehen in der Öffentlichkeit. „Das Bundesverfassungsgericht behält sich vor, die Praxis jederzeit auch ohne Vorankündigung einmalig oder dauerhaft zu ändern“.

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