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Karl Lauterbach hat viel vor.

© picture alliance/dpa

„Bevor es zu spät ist“: Ein Gesundheitsminister will die Welt retten

In seinem neuen Buch ist Karl Lauterbach wieder der ewige Mahner mit erhobenem Zeigefinger. Doch dieses Mal geht es nicht um Corona, sondern um den Klimawandel.

In den vergangenen Jahren war er omnipräsent: Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach schaffte es an einem Abend sowohl bei Sandra Maischberger als auch bei Markus Lanz vor der Corona-Pandemie zu warnen.

Durch die deutlich mildere Omicron-Variante hatte Corona jüngst für viele Menschen hierzulande den großen Schrecken verloren. Nun, seit Russland die Ukraine angegriffen hat und sich die Ereignisse überschlagen, scheint es fast, als sei das Virus völlig von der Bildfläche verschwunden - und mit ihm auch Karl Lauterbach, der ewige Mahner.

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Doch jetzt meldet er zurück: Just ist sein neues Buch „Bevor es zu spät ist“ erschienen. In dem Sachbuch, dass seinen Töchtern Luzie und Rosa-Lena gewidmet ist, beschäftigt sich der Sozialdemokrat mit dem Klimawandel und der Frage, warum die Politik es nicht schafft, die wissenschaftlichen Erkenntnisse in Handeln umzusetzen.

In der Bundespressekonferenz informierte Karl Lauterbach gemeinsam mit Lothar Wieler über die aktuellen Entwicklungen in der Corona-Krise.
In der Bundespressekonferenz informierte Karl Lauterbach gemeinsam mit Lothar Wieler über die aktuellen Entwicklungen in der Corona-Krise.

© imago images/photothek

`Jetzt kann er auch noch Klima` mögen manche stöhnen, und die Augen verdrehen. Doch die Situation stellt sich ganz anders dar: Klima konnte er schon immer, es wollte nur niemand hören.

Weil es weniger greifbar ist als eine Pandemie, die das Leben für uns alle unmittelbar verändert hat. Das Thema Nachhaltigkeit und das Ansinnen, die drohende globale Erwärmung aufzuhalten und es loszulösen von taktischer Parteipolitik, das waren seine großen Themen, als er sich 2019 mit seiner Parteikollegin Nina Scheer vergeblich um den Parteivorsitz bewarb.

„Gegenseitige Schuldzuweisungen brächten uns nicht weiter“

Parteipolitik soll übrigens in dem Buch keine Rolle spielen. „Gegenseitige Schuldzuweisungen brächten uns nicht weiter“, schreibt Lauterbach, der sich Lob für die Ampel und ein paar Seitenhiebe in Richtung GroKo und Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel dennoch nicht verkneifen kann.

So vergisst er nicht zu erwähnen, „dass die neue Ampelkoalition weitaus ehrgeizigere Ziele in der Klimapolitik hat als jede Regierung in Deutschland zuvor“.

Mit Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel ist im vergangenen Jahr eine der wenigen Wissenschaftlerinnen aus dem Bundestag ausgeschieden, eine die weiß, worum es geht. Auch das kritisiert Lauterbach in seinem Buch: Die wenigen Wissenschaftlerinnen im Bundestag.

Zu wenige Wissenschaftler*innen im Bundestag

Juristinnen, Wirtschafts- und Politikwissenschaftler hätten zuletzt die Rangliste der häufigsten Studienfächer angeführt, schreibt er, Ingenieure gab es immerhin noch 38, „Naturwissenschaftler aus Chemie, Biologie, Physik und verwandten Fächern viel weniger – und auch als Mediziner war ich nur einer von 14 Kollegen im Bundestag.“

„Bevor es zu spät ist“ gibt einiges persönliches über den Privatmenschen Lauterbach preis, der in einfachen Verhältnissen aufwuchs und dem es als Kind verwehrt wurde, das Gymnasium zu besuchen, wie er schreibt. „Das Gymnasium war für die Ingenieurskinder reserviert. Sie blockierten, anders ausgedrückt, alle Zulassungsplätze für die anderen Dorfkinder – egal, wie begabt man war.“

Die Geschichte von Karl Lauterbach ist die eines Aufsteigers, wie es sich gehört für einen Sozialdemokraten: Der Vater arbeitet in einer Molkerei, die Mutter ist Hausfrau.

Von der Hauptschule schafft er es auf die Realschule, von dort aufs Gymnasium, studiert Medizin, promoviert, habilitiert. Es aufs Gymnasium zu schaffen, sei die größte Hürde in seinem Leben gewesen, sagt er und spricht damit ein Thema an, dass leider auch Jahrzehnte später noch aktuell ist: Den ungleichen Zugang zu Bildung.

Lauterbach warnt vor neuen Pandemien

Doch zurück zum Klima: Was Karl Lauterbach seinen Leserinnen mitteilt, mutet manchmal fast dystopisch an. Lauterbach, der ja inzwischen als Kassandra vom Dienst gilt, bezweifelt, dass wir die anstehenden Herausforderungen überhaupt noch in der uns zur Verfügung stehenden Zeit bewältigen können.

Vor dieser Aufgabe verblasse sogar die Corona-Krise und die nimmt der Bundesgesundheitsminister bekanntermaßen sehr ernst. Die Klimakatastrophe, wie er sie nennt, werde sogar noch eine Vielzahl solcher Pandemien hervorbringen, unkt Lauterbach.

Dass wir das 1,5 Grad-Ziel noch erreichen werden, hält er für ausgeschlossen - und fährt damit einen anderen Kurs als die Bundesregierung, deren Teil er selbst ist.

Aber was ist das für eine Botschaft, was sollen wir nun tun, Augen zu und durch, toter Mann spielen? Keinesfalls, ein Karl Lauterbach zieht durch.

„Selbst wenn es unmöglich scheint, sollten wir alles dafür tun, das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen oder zumindest in die Nähe zu gelangen.“ Keine noch so pessimistische Einschätzung dürfe als Begründung dafür durchgehen, alle Bemühungen aufzugeben.

Doch damit geht vor allem eines einher: Verzicht. Das Einzige, was uns helfe, sei die konsequente und schnellstmögliche Umstellung unserer gesamten Produktionsweise und unseres Konsums.

Karl Lauterbach ist schon mittendrin: Er verzichtet, auf Wunsch seiner Tochter, nicht nur seit geraumer Zeit auf seine Fliege, sondern auch auf Salz. Mehr als 30 Jahre ist es her, dass er das letzte Mal Fleisch gegessen hat.

Anfangs nicht wegen des Klimas, sondern weil er es für unethisch hielt, bei all dem Hunger in der Welt. Was er schon lange lebt, fordert er nun auch von anderen: 

Langfristig könnten wir den Fleischkonsum um 80 Prozent reduzieren, ist er sich sicher. „Aber nicht nur in Deutschland, sondern weltweit.“ Die Realität ist eine andere: In den vergangenen zwanzig Jahren hat sich der Fleischkonsum weltweit mehr als verdoppelt. Karl Lauterbach liebt Studien, das weiß jeder Talkshow-Zuschauer und jeder Twitter-User. Und so wirft er auch in seinem Buch mit Studien um sich.

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Interessant liest das Buch trotz der vielen Zahlen, auch weil es immer wieder mit Anekdoten gespickt ist. Er berichtet von Shitstorms gegen sich, Wissenschaftsfeindlichkeit, seinem Weg in die Politik. Und er erklärt wissenschaftliche Zusammenhänge in verständlicher Weise.

Das alles funktioniert auch gut, weil Karl Lauterbach viel Humor hat. Kaum zu glauben, bei einem Mann, der kein Salz isst.

Aber wie macht der Mann es, dass ihm das Lachen nicht vergeht? Karl Lauterbach scheint die vergangenen Jahre Pandemie mit wenig Schlaf, täglichen Fernsehauftritten und Morddrohungen nicht nur scheinbar schadlos überstanden zu haben scheint, sondern kommt in der ersten ruhigen Minute gleich mit einem neuen Buch um die Ecke.

Lauterbachs Tochter ist Friday´s for Future Aktivistin

Er brauche nicht viel Schlaf sagt er von sich, sieben Stunden pro Nacht erreiche er bei weitem nicht, und das ein oder andere Glas Rotwein trinkt er auch ganz gerne.

Schon im vergangenen Jahr hatte Lauterbach wissen lassen, dass er sich gerade nicht auf dem High seines gesunden Lebens befindet:

„Ich esse sehr einseitig, ernähre mich nicht vegan. Trinke jeden Tag Wein. Trinke keinen grünen Tee, sondern schwarzen Kaffee. Ich hab' viel mehr Stress, als ich empfehlen würde. Ich mache kein Yoga.“

Seiner Produktivität scheint sein Lebenswandel keinen Abbruch zu tun. Unterstützt hat ihn bei dem Buch übrigens der Journalist und Biologe Lothar Frenz, der schon ein Buch über das Artensterben geschrieben hat und für Naturdokumentationen in die hintersten Winkel der Erde gereist ist.

Karl Lauterbachs14-jährige Tochter Luzie ist Friday´s for Future-Aktivistin. Sie habe ihm das Buch eingebrockt, sagte er dem Tagesspiegel einst. Immer und immer wieder habe er mit ihr über die richtige Klimapolitik diskutiert. „Und dann habe ich irgendwann den Entschluss gefasst, ein Buch darüber zu schreiben, weshalb es in der Politik nicht weitergeht, also in der Bewältigung der Herausforderungen.

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Mit seiner älteren Tochter Rosa-Lena lebt Lauterbach in Berlin in einer WG. Er weiß, was junge Menschen bewegt – und nimmt sie ernst. Davon könnte sich manch anderer Altersgenosse eine Scheibe abschneiden – aber bitte eine vegetarische.

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