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Menschenleer kann ja auch sehr schön sein: der Nationalpark Unteres Odertal bei Schwedt.

© Stephanie Pilick/dpa

Bevölkerungsentwicklung: Brandenburgs Zukunft liegt auf dem Land

Brandenburg schrumpft. Die Bertelsmann-Stiftung prognostiziert für einige Gemeinden sogar einen Bevölkerungsrückgang von fast 50 Prozent. Wo weniger Menschen leben, ist die Politik besonders gefordert. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerd Appenzeller

Die Zahlen sind begeisternd. Die Zahlen sind bestürzend. Die Bertelsmann-Stiftung hat eine Prognose zur Bevölkerungsentwicklung in der Bundesrepublik vorgelegt, die in den Landesregierungen im Süden der Republik das ohnedies reichlich vorhandene Selbstbewusstsein noch einmal stärken wird, während in Potsdam, Schwerin, Erfurt, Leipzig und Magdeburg das heulende Elend einkehren müsste. Die Bilanz der Studie in zwei knappen Sätzen: In Bayern, Baden- Württemberg, Rheinland-Pfalz und Hessen wird bis 2020 die Bevölkerungszahl mindestens stabil bleiben, in vielen Regionen aber steigen. Vor allem in Sachsen-Anhalt, Sachsen, Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg aber wird es in wenigen Jahrzehnten immer dünner besiedelte Regionen geben. Brandenburg, um das es hier gehen soll, ist ein Sonderfall: Die Metropolenregion um Berlin boomt, nicht nur ökonomisch, sondern auch bei der Zahl der Einwohnerzahl. Je weiter von Berlin weg jedoch die Bevölkerungsstatistiker die Zahlen analysiert haben, desto besorgniserregender waren die Ergebnisse.

Brandenburg wird immer dünner besiedelt sein, bestätigt eine Studie

Nun ist es nicht so, dass die Bertelsmann-Zahlen die brandenburgische Landesregierung überraschen konnten. Die Behörden beobachten die Entwicklung durchaus mit Sorge. Das Land hat zwischen 1990 und 2010 zwar nur 100 000 Einwohner verloren, aber diese im Vergleich zu anderen ostdeutschen Ländern vergleichsweise erfreuliche Zahl ist ausschließlich auf die Entwicklung im Großraum Berlin zurückzuführen. In der Gemeinde Schönefeld, also da, wo der bei der Brandenburger Bevölkerung wegen des Lärms angeblich so verhasste Flughafen entwickelt wird, kann die Bevölkerung nach den amtlichen Prognosen bis 2030 um 55,3 Prozent steigen. Die Landeshauptstadt Potsdam wird im gleichen Zeitraum um 19,4 Prozent wachsen, Teltow um 31,1 Prozent, Großbeeren (wegen des Arbeitsplätze schaffenden Logistikzentrums) um 20 Prozent. Im gleichen Zeitraum geht die Bevölkerung aber in der Gemeinde Barnim-Oderbruch um 43 Prozent, in Seelow-Land um 50 Prozent und in der Märkischen Schweiz um 48 Prozent zurück.

Der Bevölkerungsschwund trifft auch die brandenburgischen Städte

Aber es trifft auch die Städte entlang der Oder und in ihrer Nähe. Guben wird um ein Drittel schrumpfen, Schwedt um ein Viertel, Eisenhüttenstadt um fast 30 Prozent. Nun hat eine Landesregierung wenig Möglichkeiten, auf die Wanderungsbewegungen Einfluss zu nehmen. Dass es die Menschen in die Metropolenregionen zieht, ist ein weltweiter Trend. Aber keine Regierung kann und darf der Entvölkerung der Randregionen ohne Versuche des Gegensteuerns zusehen. Und dazu gibt es eine Vielzahl von Möglichkeiten: So können an den Rändern staatliche Strukturen gestärkt werden, durch die Verlagerung von Gerichten und Oberbehörden oder Hochschulen zum Beispiel. Die Landesregierungen von Bayern und Baden-Württemberg haben dies in den wachstumseuphorischen 60er und 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts mit Hochschulgründungen gezielt getan. Baden-Württemberg entriss Konstanz und Ulm dem provinziellen Mief und schuf in Mannheim eine Alternative zur Industrie. Bayern belebte so die Regionen um Passau und Bayreuth. In Nordrhein-Westfalen tat sich Johannes Rau als Hochschulgründer hervor.

Das Gegenmittel: Eine verlässliche kleinstädtische Sozialstruktur und mehr Tourismus

So viele Möglichkeiten haben die erst 1990 aus der industriellen Monokultur der DDR-Staatswirtschaft entlassenen neuen Länder nicht. Aber für gestärkte Behörden und Hochschulen (Frankfurt, Cottbus und Spremberg) sowie eine verbesserte Verkehrsinfrastruktur können sie auch in Brandenburg sorgen. Wo gute Kindergärten und Schulen bis zum Abitur angeboten werden und eine verlässliche kleinstädtische Sozialstruktur, fliehen Familien nicht, so lange es Arbeit gibt. Unternehmensgründungen in ländlichen Regionen müssten steuerlich gefördert werden, da muss der Bund mittun. ÖPNV kostet Geld. Hier zu sparen und damit die Abwanderung auch noch zu fördern, ist viel teurer. Milliarden an Vermögenswerten und damit die von Generationen aufgebaute Substanz werden zerstört, wenn Häuser nicht mehr verkauft, Grundstücke nicht mehr nachgefragt werden. Tourismus ist eine große Chance, wo der Tagebau keine Zukunft mehr hat.

Wenn aber in der Uckermark und im Oderbruch kaum mehr Menschen leben, schwindet auch das Gefühl der Sicherheit, da hilft kein Polizeikommando mehr. Die Landesregierung hat also eine große Verantwortung dafür, dass Landliebe und Landlust mehr sind als Zeitschriftentitel – nämlich Lebensperspektiven.

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