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Vorbild Südkorea. Das Land hat die Verbreitung des Virus besser im Griff als Deutschland.

© Jung Yeon-je/AFP

"Best Practice" gegen Corona: Voneinander lernen - Tag für Tag

Deutschland hat sich lange überlegen gefühlt und den Umgang anderer mit dem Virus verspottet. Doch die können unerwartet zum Vorbild werden. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Wir Deutschen sind eine urteilsfreudige Gesellschaft. Wir wissen oft erstaunlich schnell, was richtig und falsch ist – konkret: was bestimmte, übliche Verdächtige garantiert falsch und wir hingegen richtig machen. Journalisten, so viel Selbstkritik muss sein, gehören dabei zur Avantgarde.

Der angebliche Vorteil des Westens greift nicht

Der Verlauf der Corona-Krise stellt dieses Überlegenheitsgefühl auf eine ernste Probe. Man möchte wünschen, dass der Praxistest beweist: Liberale westliche Gesellschaften reagieren rascher, klüger, flexibler und sensibler als Diktaturen. Sie sind zwar nicht davor gefeit, Fehler zu machen. Aber sie sind lernfähiger. Sie nutzen ihr kollektives Potenzial an Wissen und Kommunikation sowie ihre besser ausgestatteten Gesundheitssysteme effektiver, um ihre Bürger zu schützen.

Nur: Wo schlägt sich das in den Corona-Statistiken nieder? Deutschland und Europa stehen im internationalen Vergleich nicht sonderlich gut da. Etwa 200 Staaten hat die Erde. Von den Ländern mit den meisten Infizierten liegen überraschend viele in Europa: Am Mittwoch waren es elf von den ersten 17. Deutschland belegt Platz 16. Gewiss muss man einkalkulieren: Viele unterentwickelte Staaten testen nicht, wissen also wenig über ihre Infiziertenrate. Manche beschwindeln wohl die Öffentlichkeit.

Europa steht im Zentrum der globalen Krise

Ungeachtet solcher Einwände muss die Dynamik der Ausbreitung die Europäer beunruhigen. Die meisten Kurven in EU-Ländern weisen steil nach oben, signalisieren also eine explosionsartige Ansteckung mit dem Virus. Sie könnte die Kapazitäten der Intensivpflege bald überfordern. Eine Abflachung haben bisher nur Südkorea und China erreicht. Sie haben die Bewegungsfreiheit früher und härter eingeschränkt. In China war das zwingend, dort hatte die Pandemie im Dezember begonnen. Südkorea hatte nur eine Woche Vorlauf gegenüber Europa; der erste Infizierte wurde dort am 20. Januar gemeldet, in Deutschland und Italien am 28. Januar. Südkorea scheint die Gefahr jedoch besser im Griff zu haben, auch dank intensiver Tests.

Neugier muss das Gebot der Stunde sein. Wo zeigt sich „Best Practice“? Von wem können wir uns etwas abschauen, in der Welt und in Europa? Das war nicht immer die Devise in den letzten Wochen. Wir alle staunten anfangs ungläubig, als China seine Bürger in einer Weise gängelte, die uns weit übertrieben erschien. Und, Hand aufs Herz, wir alle kennen den mitleidigen Ton und den überlegenen Blick, wenn das Fernsehen über den Umgang Donald Trumps, Boris Johnsons oder der PiS-Regierung in Polen mit dem Virus berichtet.

Hochmut kommt vor der Pandemie

Das hat seine Gründe. Die Populisten im Westen geben sich ähnlich unfehlbar wie Chinas autoritäre Führung. Ihr Fehler ist aber meist, dass sie nicht zuhören und den Experten nicht folgen wollen; die gelten als Teil der verachteten Elite. Das harte Urteil über Trump und Johnson erweist sich als berechtigt.

Dennoch: Stehen die liberalen Demokratien jetzt so viel besser da? Hat unser Überlegenheitsdünkel womöglich dazu beigetragen, dass Deutschland Einschränkungen, die Virologen früh empfohlen hatten, mit Verzögerung anordnete? Der moralische Zeigefinger gegen Andere wirkt in der Not deplatziert.

Mehr Austausch mit Südkorea, China, Italien, Polen

Das Virus fragt nicht nach weltanschaulichen Sympathien. In der EU ist Italien am härtesten betroffen, auch wenn die Lega nicht mehr regiert. Spanien unter dem Sozialdemokraten Pedro Sanchez folgt dicht dahinter. Polen hingegen hat das Virus bislang besser unter Kontrolle als Deutschland. Die PiS hat die Grenzen früher geschlossen und Urlauber aus dem Ausland mit Charterjets heimgeholt, ehe Deutschland das plante. Polen meldete am Mittwoch 251 Infizierte, Deutschland 11.302.

Was gegen Covid 19 hilft, können wir Tag für Tag voneinander lernen, aus den Erfolgen wie aus den Fehlern Aller. Tauschen sich deutsche Politiker und Experten ausreichend mit Südkoreanern, Italienern, Chinesen, Polen über die Erfahrungen aus? Wenn Andere anders handeln als wir, muss das nicht falsch sein. Es kann unerwartet zum Vorbild werden.

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