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Xavier Naidoo im Konzert. In manchen Liedzeilen ließ er antisemitische Klischees ab.

© imago/Manfred Segerer

Beschluss des Bundesverfassungsgerichts: Die Bezeichnung „Antisemit“ könnte zu Xavier Naidoo passen

Der umstrittene Sänger klagte zunächst erfolgreich, aber nun wurden die Urteile aufgehoben. Kritik muss möglich bleiben, lautet die Botschaft aus Karlsruhe

Nach einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts ist es wohl zulässig, den umstrittenen Sänger Xavier Naidoo öffentlich als „Antisemit“ zu bezeichnen. Das Gericht hob mit einer am Mittwoch verkündeten Entscheidung zwei Urteile aus Bayern auf, die dies einer Referentin der Amadeu Antonio Stiftung noch untersagt hatten. Die Frau wandte sich daraufhin mit einer Verfassungsbeschwerde nach Karlsruhe, wo sie jetzt erfolgreich war. Die Urteile verletzten sie in ihrem Grundrecht auf Meinungsfreiheit, hieß es. Die Gerichte hätten es unterlassen, eine „konkrete Sinndeutung“ ihrer Äußerung vorzunehmen und zudem die Tragweite der Meinungsfreiheit im „öffentlichen Meinungskampf“ verkannt (Az.: 1 BvR 11/20). Der Fall wurde zurück an das Landgericht Regensburg verwiesen, das nun erneut über ihn entscheiden muss.

Wie der Künstler sich äußert, wird bei Telegram deutlich

Dass sich der Künstler offen antisemitisch äußert, ist zuletzt in verschiedenen Posts im Internetdienst Telegram deutlich geworden. Es ist daher ohnehin unwahrscheinlich, dass er mit Unterlassungsklagen weiterhin erfolgreich wäre. Das jetzt vom Gericht verhandelte Geschehen hatte sich jedoch schon im Sommer 2017 zugetragen. Bis dahin war Naidoo in politischer Hinsicht vor allem mit kryptischen Liedzeilen aufgefallen, mit denen er, zuweilen verrätselt, auf antisemitische Klischees anspielte. Bekannt war auch eine Rede von Naidoo bei einer Reichsbürger-Versammlung in Berlin.

Die Referentin hielt damals einen Vortrag zum Thema „Reichsbürger – Verschwörungsideologie mit deutscher Spezifik“. Der Name Naidoos tauchte auf einer Folie auf, wurde aber zunächst nicht weiter beleuchtet. Auf eine Nachfrage aus dem Publikum, wie sie die Person einschätze, sagte die Frau: „Ich würde ihn zu den Souveränisten zählen, mit einem Bein bei den Reichsbürgern. Er ist Antisemit, das darf ich, glaub ich, aber gar nicht so offen sagen, weil er gerne verklagt. Aber das ist strukturell nachweisbar.“

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Davon erfuhr der Sänger und klagte tatsächlich. Das Regensburger Gericht sowie das Oberlandesgericht (OLG) Nürnberg gaben ihm Recht. Das OLG sah eine Meinungsäußerung mit „Tatsachenkern“. Hier sei zu berücksichtigen, dass es für den Begriff Antisemitismus keine allgemeine Definition gebe. Indem Naidoo als Antisemit bezeichnet werde, werde er aber nicht nur in seiner öffentlichen Stellung als Sänger, sondern auch in seiner „personalen Würde“ in hohem Maße beeinträchtigt, hieß es. Das Gericht sah eine „Prangerwirkung“, da der Begriff so verstanden werden kann, dass jemand aus Judenhass gewalttätig wird.

Antisemitismus heißt „feindlich gegenüber Juden“, so die Richter. Das kann vieles sein

Das Bundesverfassungsgericht ließ sich nun nicht darauf ein, die früheren Liedtexte sowie öffentliche Reden Naidoos im Einzelnen auseinanderzunehmen. Die Kammer des Ersten Senats mit einer Richterin und zwei Richtern beschränkte sich darauf, grundsätzliche Fehler festzustellen: So hätten die Gerichte die Worte der Frau in ihrem Vortrag unzureichend erfasst; diese seien „unzweideutig“ so zu verstehen, dass sie die im Werk des Künstlers transportierten Ansichten für antisemitisch, also „feindlich gegenüber Juden“ hält. Die Annahme des OLG, Naidoo werde damit zugleich nationalsozialistisches Gedankengut unterstellt und dass er „handlungsbereit“ gegenüber Juden sei, sei „fernliegend“.

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Ähnlich beurteilen die Richter die mangelnde Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs. Es handele sich um einen öffentlichen Streit, und Naidoo suche mit seinen politischen Ansichten selbst Aufmerksamkeit. Wer aber im Meinungskampf zu einem abwertenden Urteil Anlass gegeben habe, müsse eine scharfe Reaktion auch dann hinnehmen, wenn sie das persönliche Ansehen mindere. Die Wertungen des OLG liefen darauf hinaus, Kritik an Naidoos Ansichten „unmöglich zu machen“

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