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Portugals Regierungschef Antonio Costa übernimmt ab 1. Januar den rotierenden EU-Vorsitz.

© AFP

Berlin übergibt EU-Vorsitz an Lissabon: Portugal will rasche Auszahlung der Corona-Hilfsmilliarden sicherstellen

Noch ist unklar, wann die Hilfsmilliarden aus dem Corona-Fonds der EU fließen. Der kommende portugiesische EU-Vorsitz will eine rasche Auszahlung sicherstellen.

Die Corona-Pandemie und die Folgen - dies bleibt das wichtigste Thema, welches  die kommende portugiesische EU-Ratspräsidentschaft ab 1. Januar erwartet. Lissabon übernimmt von Berlin zum Jahreswechsel den rotierenden EU-Vorsitz für die kommenden sechs Monate. Unter der deutschen Präsidentschaft war es im Dezember gelungen, einen Konsens über den EU-Haushalt für die kommenden sieben Jahre sowie den Corona-Wiederaufbaufonds trotz des zwischenzeitlichen Vetos aus Budapest und Warschau zu erzielen. Das Finanzpaket hat insgesamt ein Volumen von 1,8 Billionen Euro. Unter portugiesischem Vorsitz wird es nun vor allem darum gehen, mit der Auszahlung der Corona-Hilfen an besonders betroffene Länder wie Italien und Spanien zu beginnen.  

Es ist inzwischen die vierte EU-Ratspräsidentschaft, die Portugal innerhalb der letzten drei Jahrzehnte übernimmt. Premierminister Antonio Costa kennt das EU-Geschäft aus langjähriger Erfahrung. Der Sozialist führte im Rat der EU-Justizminister während der portugiesischen EU-Präsidentschaft im Jahr 2000 den Vorsitz. 2007, als Lissabon zuletzt für ein halbes Jahr die Geschäfte der Gemeinschaft führte, war Costa Innenminister. Damals leistete er einen wesentlichen Beitrag zur Weiterentwicklung des Schengener Informationssystems, auf das die Sicherheitsbehörden in den beteiligten EU-Staaten Zugriff haben. 

Auf den 59-Jährigen kommt auf europäischer Ebene jetzt auch wieder eine Menge Arbeit zu. Nicht nur ist Portugal in den kommenden Monaten in der Corona-Krise bei der Koordinierung des Impfprozesses auf europäischer Ebene gefordert.  Zudem steht mit der Umsetzung des 750-Milliarden-Fonds mit den europaweiten Corona-Hilfen, der aus Zuschüssen und Krediten besteht, eine entscheidende Aufgabe für das Land im Südwesten der Gemeinschaft an. 

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Portugal gehörte Mitte Oktober zu den ersten Ländern in der EU, die in Brüssel einen Entwurf für einen nationalen Plan zum Einsatz der Corona-Milliarden vorlegten. Ähnlich wie in Rom und Madrid werden auch in Lissabon die Hilfsgelder dringend benötigt. Portugal mit seinen rund zehn Millionen Einwohnern kann aus dem 750-Milliarden-Fonds Zuschüsse in Höhe von 15,3 Milliarden Euro erwarten. Angesichts der gewaltigen Summen hat Premierminister Costa den Wiederaufbaufonds als "Bazooka" bezeichnet. 

Nationale Reformpläne müssen in Brüssel gebilligt werden

Damit die ersten Tranchen der Hilfsmilliarden aus dem Corona-Fonds europaweit tatsächlich bereits während der kommenden sechs Monate fließen können, müssen erst die nationalen Reformpläne von der EU-Kommission sowie im Kreis der EU-Mitgliedstaaten gebilligt werden. "Die Zustimmung zu den nationalen Plänen und deren Umsetzung wird eine Priorität sein", sagt der Sprecher des künftigen portugiesischen EU-Vorsitzes.  

Während Deutschland im EU-Vorsitz mit einem Kompromiss angesichts des Vetos aus Budapest und Warschau bei den europäischen Finanzen die entscheidende Vorarbeit vor der Stabübergabe an Portugal leistete, kam ein anderes Dossier im zurückliegenden Halbjahr in Brüssel kaum voran: die seit Jahren unerledigte Reform des EU-Asylsystems. Innenminister Horst Seehofer (CSU) lastete den fehlenden Fortschritt unter anderem der EU-Kommission an, die ihren Vorschlag für einen neuen Migrationspakt entgegen der ursprünglichen Zeitplanung erst im September vorgelegt hatte. Allerdings wurde in Brüssel auch vermerkt, dass Seehofer im Vorsitz der EU-Innenminister weit hinter seinem Versprechen zurückgeblieben ist,  eine "politische Verständigung über die Grundsätze der europäischen Migrationspolitik" zu erreichen. 

Deutschland reicht die ungelöste Frage der EU-Asylreform weiter

Diese schwierige Aufgabe reicht Deutschland nun an Portugal weiter. Dabei macht sich niemand in Brüssel Illusionen, dass quasi über Nacht ein Konsens unter den Mitgliedstaaten erreicht werden könnte. "Leider sind gegenwärtig die Differenzen größer als die Übereinstimmungen. Das Thema der Migrationspolitik wird zudem in den meisten Mitgliedstaaten zu politischen Zwecken instrumentalisiert", heißt es in EU-Diplomatenkreisen zur Begründung. 

Um die EU-interne Blockade bei der Migrationspolitik zu lösen, hatte die EU-Kommission in ihrem Vorschlag vom September anders als in der Vergangenheit den Fokus weniger auf die Verteilung von Flüchtlingen innerhalb der Gemeinschaft und mehr auf die Rückführung nicht asylberechtigter Migranten gelegt. Trotzdem bleibt bis auf Weiteres umstritten, ob sämtliche Mitgliedstaaten überhaupt Verpflichtungen - etwa bei der Abschiebung von Migranten - übernehmen sollen. Viele osteuropäische Staaten, allen voran Ungarn, sperren sich dagegen. 

Da Deutschland nach der Abgabe des Ratsvorsitzes in der Migrationspolitik nicht mehr zwischen allen 27 EU-Staaten vermitteln muss, wird Berlin bei der Diskussion  voraussichtlich ab Januar wieder eigene nationale Belange in den Vordergrund rücken. Dazu gehört, dass vor allem CDU und CSU die so genannte Sekundärmigration unterbinden wollen. Dies bedeutet, dass Flüchtlinge nach ihrer Ankunft in Ländern wie Griechenland oder Italien häufig nach Deutschland weiterziehen. Dieser Punkt wird auch in Lissabon registriert - schließlich ist es auch in Portugal wohlbekannt, dass Flüchtlinge dort nach ihrer Ankunft nicht im Land bleiben, sondern sich häufig selbstständig auf die Weiterreise nach Deutschland machen. 

EU-Sozialgipfel im Mai in Porto

Ein besonderes Anliegen liegt für Costa schließlich in der Sozialpolitik. Der Regierungschef möchte während der Ratspräsidentschaft herausstreichen, dass die EU nicht nur ein Markt ist, sondern auch eine soziale Dimension hat. Im Oktober hat EU-Sozialkommissar Nicolas Schmit einen Vorschlag für einen Rechtsrahmen für europäische Mindestlöhne vorgelegt. Der Vorschlag sieht vor, dass sich die  Lohnuntergrenze in den einzelnen Mitgliedstaaten an den jeweiligen Durchschnittslöhnen orientieren solle.  Diesem Vorhaben will Costa mit einem Sozialgipfel in Porto im Mai Nachdruck verleihen.  

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