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Zwei Jungen mit Kippa in einer Talmud Tora Schule in Hamburg.

© dpa/Daniel Bockwoldt

"Berlin trägt Kippa": Solidarität mit Juden – wer kommt und was geplant ist

Nach dem Angriff auf einen jungen Israeli zeigen an diesem Mittwoch viele Menschen ihre Solidarität mit Juden unter dem Motto "Berlin trägt Kippa". Fragen und Antworten zum Thema.

Nachdem vergangene Woche ein junger Israeli mit einer Kippa von einem Arabisch schreienden Mann auf offener Straße mit einem Gürtel geschlagen worden ist, wird bundesweit wieder über Antisemitismus diskutiert.

An diesem Mittwoch wollen Menschen in mehreren Städten ihre Solidarität mit Juden in Deutschland zeigen – in Berlin soll es vor dem Haus der Jüdischen Gemeinde in Charlottenburg eine Kundgebung geben.

Nach Ansicht von Zentralratspräsident Josef Schuster kann es für Juden im Alltag heikel, ja, sogar gefährlich sein, eine Kippa zu tragen.

Was ist geplant – und wer wird erwartet?

Unter dem Motto „Berlin trägt Kippa“ ruft die Jüdische Gemeinde zu Berlin für Mittwoch zu einer Solidaritätskundgebung auf. Die Veranstaltung findet 18 Uhr vor dem Gemeindehaus in der Fasanenstraße statt. Neben Zentralsratspräsident Josef Schuster werden unter anderem Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD), Gideon Joffe, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, und Felix Klein, designierter Antisemitismus-Beauftragter der Bundesregierung, Reden halten.

Zu den Unterstützern der Aktion gehört unter anderem Bischof Markus Dröge von der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz. Auch zahlreiche Gewerkschafter und Studentenvereine wollen an der Kundgebung teilnehmen. Dazu werden Politiker aus Bundes- und Landesregierung sowie den Spitzen der Parteien in Charlottenburg erwartet.

Welche Politiker sind angekündigt?

Neben Mitgliedern der Bundesregierung, wollen Funktionäre aller im Bundestag vertretenen Fraktionen teilnehmen. Für die CDU/CSU wird Bundestagsfraktionschef Volker Kauder erwartet. Aus der SPD kommen wohl Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann, die Staatssekretärin im Arbeitsministerium, Kerstin Griese und der religionspolitische Sprecher der Bundestagsfraktion, Lars Castellucci. Die Grünen-Fraktionschefs Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter werden mit Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth erwartet.

Aus der FDP soll unter anderem der Berliner Abgeordnete Christoph Meyer kommen. Für die Linke werden der Fraktionschef im Bundestag, Dietmar Bartsch, Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau, der außenpolitische Sprecher der Fraktion, Stefan Liebich, und Sevim Dagdelen, stellvertretende Fraktionschefin, erwartet. Auch AfD-Politiker nehmen teil, darunter die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Beatrix von Storch, der Chef des Rechtsausschusses Stephan Brandner, Markus Frohnmaier von der Jungen Gruppe der AfD im Bundestag, sowie der Landes- und Fraktionsvorsitzende in Berlin, Georg Pazderski.

Was sagen Vertreter der Muslime?

Da die meisten Muslime anders als Christen und Juden nicht in festen Verbänden organisiert sind, ist unklar, ob und wie sie sich Muslime in Berlin zur Kippa-Solidarität verhalten. Der Zentralrat der Muslime, der nur einen Bruchteil der islamischen Gläubigen repräsentiert, verurteilte Angriffe auf Juden – erklärte aber auch, die meisten derartigen Taten würden von (deutschen) Rechtsextremen begangen.

Die Nachrichtenagentur AFP meldete überraschend, dass die Kundgebung auch von der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs unterstützt werde. Milli Görüs galt lange als rechtsradikaler, islamistischer Verband und wurde vom Verfassungsschutz beobachtet. Seine Anhänger sollen am Mittwoch die islamische Gebetskappe tragen – also nicht die Kippa. Wie berichtet, hatten im Internet zahlreiche arabische Kommentatoren aus Berlin den Angriff auf den Kippa tragenden Mann vergangene Woche gutgeheißen.

Was ist über die Sicherheitslage bekannt?

In allen deutschen Städten, in denen am Mittwoch gegen Antisemitismus demonstriert wird, bereitet sich die Polizei auf entsprechende Einsätze vor. Intern wird befürchtet, es könnte erneut zu gewalttätigen Übergriffen auf Juden und Kippa tragende Demonstranten kommen. Die Berliner Polizei wird die Fasanenstraße zwischen Kantstraße und Kurfürstendamm absperren.

Zu Details der Sicherheitsmaßnahmen äußert sich die Polizei jedoch nicht. Konkrete Hinweise auf geplante Störungen, hieß es am Vorabend der Veranstaltung, gebe es nicht. Grundsätzlich ist die Lage dort wegen der teilnehmenden Juden sowie der bundespolitischen Prominenz mit Blick auf die zu gewährleistende Sicherheit schwierig.

Welche Position vertritt der Zentralrat der Juden?

Die Dachorganisation von mehr als 100 jüdischen Gemeinden in Deutschland begrüßt die Solidaritätsaktion. Der Präsident des Zentralrats, Josef Schuster, wird auch einer der Redner in der Fasanenstraße sein. Mit der Kundgebung solle ein Zeichen gegen Antisemitismus und Intoleranz gesetzt werden. Schuster hat nach eigenem Bekunden das Gefühl, ein Großteil der Gesellschaft habe verstanden, dass man an einen Wendepunkt angekommen ist.

Wenn dem offenen Antisemitismus nicht entgegengetreten werde, sei nicht zuletzt die Demokratie in Gefahr. Denn Judenhass geht Schuster zufolge mit Rassismus und Fremdenfeindlichkeit einher. Das bekommen auch Juden zu spüren. Kein Wunder, dass der Zentralratspräsident immer wieder betont, viele Juden seien mittlerweile generell vorsichtig, sich durch äußere Zeichen wie eine Kippa zu erkennen zu geben. Das gelte vor allem für „großstädtische Milieus“. Unmittelbar vor der heutigen Aktion „Berlin trägt Kippa“ hat Schuster seine Warnung wiederholt.

Welche Bedeutung hat die Kippa im Judentum?

Sie ist klein, rund, gehört auf den Hinterkopf und wird in der Regel von jüdischen Männern getragen. Sie bekennen sich damit öffentlich zu ihrem Glauben. Denn die Kappe gilt generell als Zeichen des Respekts und der Verbundenheit mit Gott. Allerdings gibt es keine biblische Verpflichtung, ständig eine Kippa (Plural: Kippot) zu nutzen. Es ist also ein gängiger Brauch, aber kein zwingendes religiöses Gebot.

Beim Gebet, wenn man sich in der Synagoge aufhält, beim Gottesdienst oder auf dem Friedhof ist eine Kopfbedeckung für jeden Mann – ob Jude oder Nichtjude – allerdings ein Muss. Das kann eine Kippa sein, aber auch ein normaler Hut gilt als angemessen. Dass Frauen Kippot tragen ist zwar eher unüblich, aber in liberalen Gemeinden durchaus möglich. Bei den für Mittwoch geplanten Kundgebungen ist es sogar erwünscht, dass auch Frauen eine Kippa tragen – um damit ein Zeichen der Solidarität zu setzen.

Gibt es aktuelle Zahlen zu antisemitischen Taten?

Zunächst muss zwischen den bei der Polizei angezeigten Taten und jenen Vorfällen unterschieden werden, die nicht strafbar sind. Wie berichtet, ist die Zahl antisemitischer Straftaten in Berlin 2017 gestiegen. Vergangenes Jahr wurden bei der Polizei 288 judenfeindlich motivierte Fälle registriert, was einer Verdopplung seit 2013 entspräche. Dabei dominieren bei weitem Delikte, die als politisch rechtsmotivierte Kriminalität eingestuft wurden.

Grundsätzlich gibt es Schwierigkeiten, antisemitische Taten nach Motiven zu sortieren: Eine „Juden raus“-Schmiererei wäre als Tat von Neonazis oder auch von Islamisten oder türkischen Rechtsnationalisten denkbar. An der verbreiteten Aussage, 90 Prozent der antisemitischen Taten würden von (deutschen) Rechtsextremen begangen, zweifeln nicht nur Beamte, sondern auch der vom Bundestag eingesetzte „Unabhängige Expertenkreis Antisemitismus“.

Der hatte vor einigen Monaten festgestellt, fremdenfeindliche und antisemitische Taten würden grundsätzlich der „politisch motivierten Kriminalität Rechts“ zugeordnet, „wenn keine weiteren Spezifika erkennbar“ wurden. Felix Klein, der künftige Antisemitismusbeauftragte des Bundes soll nun Maßnahmen, um Judenfeindlichkeit bekämpfen, ressortübergreifend koordinieren. Klein könnte so auch genauere Daten zu Motiven und Tätern anfordern. Bundesweit registrierte die Polizei vorläufigen Daten zufolge 707 antisemitische Delikte, darunter 24 Gewalttaten. Auch dabei dominieren rechtsmotivierte Delikte. Nicht nur das American Jewish Committee zweifelt an der Genauigkeit solcher Zahlen.

Überwiegend berichteten Betroffene von Angriffen und Pöbeleien aus der muslimischen Community. Der Berliner Islam-Experte Ahmad Mansour hatte dem Tagesspiegel kürzlich gesagt, Judenhass unter (jüngst eingewanderten) Muslimen müsse klar benannt werden: „Wer hier auf diese Art und Weise Antisemitismus betreibt, hat in Deutschland nichts zu suchen.“ Die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Berlin (Rias) hatte mitgeteilt, dass die 2017 registrierten Fälle um 60 Prozent zugenommen hätten. Insgesamt seien 947 antisemitische Fälle in Berlin erfasst worden – Rias registriert auch Vorkommnisse, die keinen Straftatbestand erfüllen.

Wie ist der Stand der Ermittlungen im jüngsten Fall?

Der Verdächtige befindet sich nach wie vor in Untersuchungshaft – und zwar, weil Fluchtgefahr bestehe, wie die Staatsanwaltschaft mitteilte: Der 19 Jahre alte Flüchtling aus Syrien verfügt über keine Meldeadresse. Er war in einer Brandenburger Unterkunft registriert, hielt sich aber ohne festen Wohnsitz in Berlin auf. Gegen ihn wird wegen des Verdachtes der gefährlichen Körperverletzung und der Beleidigung ermittelt.

Zwei Tage nach der Tat (und einen Tag nach dem internationalen Interesse an dem Fall) hatte sich der arabische Heranwachsende der Polizei gestellt. Mit dabei war eine Anwältin. Über seine zwei Begleiter, die während des Angriffs auf den Israeli dabei waren, ist wenig bekannt. Der 19-jährige Verdächtige wird derzeit noch befragt. Auf seiner Facebook-Präsenz hat der junge Mann offenbar palästinensische Fahnen gezeigt. mit asi/has

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