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Aus dem Streit um das Berliner Mahnmal für die sogenannten Trostfrauen ist ein internationaler diplomatischer Konflikt geworden.

© Bernd von Jutrczenka/dpa

Berlin, Tokio und der Streit über das "Trostfrauen"-Denkmal: Deutschland ist die Erinnerung an Japans Sexsklavinnen nur lästig

Aus Rücksicht auf Japan soll in Berlin ein Denkmal für versklavte Frauen verschwinden. Wie passt das zu den oft betonten gemeinsamen "Werten"? Eine Analyse.

- Wieland Wagner war lange Asien-Korrespondent des „Spiegel“. Er ist Autor des Buches „Japan – Abstieg in Würde. Wie ein alterndes Land um seine Zukunft ringt“.

Deutschland und Japan waren einst besonders enge Freunde. Das war von 1936 bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges, zur Zeit des Faschismus. Die sogenannte Achse Berlin–Tokio richtete sich gegen die westlichen Großmächte und die Sowjetunion, auch Mussolinis Rom schloss sich der unheiligen Allianz an. Im Zuge rassistisch-völkischer Ideologien forderten die faschistischen Verbündeten gemeinsam die damalige Weltordnung heraus.

Hitler-Deutschland überzog Europa und Nordafrika mit Krieg, das japanische Kaiserreich unterwarf sich große Teile des Fernen Ostens in der sogenannten „Großostasiatische Wohlstandssphäre“. Am Ende waren beiden Länder dann nur ihre Niederlagen gemeinsam.

In jener unseligen Zeit wurden Tausende Asiatinnen und auch einige westliche Frauen als Zwangsprostituierte für das japanische Militär verschleppt und missbraucht. Die Opfer – in Japan werden sie verharmlosend „Trostfrauen“ genannt – stammten überwiegend aus Korea. Das damals noch ungeteilte Land wurde von Japan seit 1910 als Kolonie unterdrückt. Um an das Schicksal der Vergewaltigten zu erinnern, haben Aktivisten im September im Berliner Bezirk Mitte eine „Friedensstatue“ errichtet. Die Behörden hatten das Projekt genehmigt, die Aktion sollte auf ein Jahr befristet sein.

Doch Anfang Oktober zog der Bezirk die Genehmigung überraschend zurück und verlangte, dass die Statue wieder abgebaut wird. Und zwar – wie berichtet – auf Druck des Senats. Es hieß, man handele aus Verantwortung für die „Sicherheitslage in Ostasien“. Im Klartext: Berlin fürchtet, in eine historische Kontroverse zwischen Japan und Südkorea hineingezogen zu werden, die seit Jahrzehnten erbittert ausgetragen wird.

Der deutschen Bundesregierung kommt der Streit um das Denkmal ungelegen, denn sie ist gerade dabei, Japan als sogenannten „Wertepartner“ neu zu entdecken, nachdem sie sehr lange und sehr einseitig auf die Volksrepublik China setzte. Erst kürzlich rechnete eine japanische Zeitung ihren Lesern vor, dass Bundeskanzlerin Angela in den vergangenen 15 Jahren zwar zwölfmal nach Peking gereist sei, aber nur viermal nach Tokio.

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Bei den deutsch-japanischen “Werten“, die angesichts des aktuellen Denkmal-Streits nun von Diplomaten und Politikern beschworen werden, handelt es sich vor allem um strategische Interessen – im globalen Handel und in der Sicherheitspolitik. Um Werte wie die Freiheit der Kunst und das Recht auf freie Meinungsäußerung oder gar um den Stellenwert von Frauen in der Gesellschaft geht es dagegen eher nicht – darauf deutet zumindest der aktuelle Umgang mit dem "Friedensdenkmal" in Berlin Mitte hin.

Die Zwangsprostituierten sind zum Symbol geworden: Für Japan, das seine Kriegsgräuel häufig leugnet und verharmlost. Für Südkorea, das sich nicht aus der Rolle des Opfers befreien kann oder will und noch lange nicht bereit scheint, der einstigen Kolonialmacht zu vergeben. Und nun eben auch für Deutschland, dem die ganze Angelegenheit nur lästig ist.

Nach Abes Rücktritt stand die Entschuldigung wieder infrage

Gewiss, es gab da mal einen Chef-Kabinettssekretär in Tokio, er hieß Yohei Kono. Der entschuldigte sich 1993 offiziell bei den Sexsklavinnen. Ihnen seien „unermesslicher Schmerz und unheilbare physische und psychologische Wunden“ zugefügt worden, sagte er. Für einen historischen Augenblick schien es, als bereue Japan das Verbrechen. Doch unter dem nationalistischen Premier Shinzo Abe, der im September zurücktrat, stellte Japan die Entschuldigung dann plötzlich wieder infrage. Erst auf massiven Druck der USA, der gemeinsamen Schutzmacht der zerstrittenen Nachbarn, einigten sich Japan und Südkorea 2015 darauf, die Kontroverse um die Zwangsprostituierten „abschließend und unumkehrbar“ beizulegen.

Doch die Vergangenheit will einfach nicht vergehen. Die japanische Entschuldigung komme nicht von Herzen, kritisieren viele in Korea. Unter Protesten der japanischen Regierung errichteten sie weiter Denkmäler für die Sex-Sklavinnen, beispielsweise vor japanischen Konsulat im südkoreanischen Busan, aber auch im Ausland. In der philippinischem Hauptstadt Manila wurde 2018 eine Statue für die Zwangsprostituierten auf japanischen Druck hin wieder entfernt. In San Francisco obsiegte dagegen ein tief verwurzeltes Bewusstsein für die Menschrechte: Als sich der dortige Bürgermeister weigerte, das Denkmal für Sex-Sklavinnen abbauen zu lassen, kündigte das japanische Osaka aus Protest die Partnerschaft beider Städte auf, nach rund sechs Jahrzehnten.

Aus japanischen Schulbüchern werden Hinweise getilgt

Auch im eigenen Land versuchen Japans konservative Regierungspartei und ihre Anhänger die Debatte um Kriegsverbrechen zu unterdrücken. Entsprechende Passagen werden seit Jahren aus Schulbüchern getilgt. Es herrscht eine Atmosphäre der Einschüchterung – gegenüber Journalisten, Wissenschaftlern und Künstlern. Im vergangenen Jahr wurde eine Zwangsprostituierten-Statue vorübergehend von der Kunst-Triennale in der Stadt Nagoya entfernt, aus „Sicherheitsgründen“. Zuvor waren die Veranstalter massiv bedroht worden. Das umstrittene Werk trug den Titel „Nach dem ’Recht auf Meinungsäußerung?’“.

Den Hintergrund dieses japanisch-südkoreanischen Streits hätten die Berliner Behörden leicht googeln können, als sie den Antrag für das Denkmal prüften. Dass sie sich nicht in eine Kontroverse zweier Drittstaaten verwickeln lassen wollen, ist zwar nachvollziehbar. Doch die diplomatischen Verwicklungen hätten sie von Beginn an bedenken müssen. Die bereits aufgestellte Statue nun aber überstürzt wieder entfernen lassen zu wollen – damit macht Berlin eine unglücklich gelaufene Sache erst zu einem Politikum. Das ist ein fatales Signal.

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Japanische Medien berichten, dass Außenminister Heiko Maas durch seinen Tokioter Amtskollegen Toshimitsu Motegi telefonisch aufgefordert worden sei, das nicht genehme Denkmal entfernen zu lassen. Der Anruf, falls er tatsächlich so stattgefunden hat, erinnert an die Selbstverständlichkeit, mit der die japanische Obrigkeit auch sonst kritische Debatten zu unterbinden versucht, im eigenen Land und im Ausland.

Berlin ist aber nicht Tokio. Im Streit um das Denkmal im Bezirk Mitte hilft nur Transparenz. Statt die Statue auf verdruckste Weise wegzuräumen, wäre jetzt Gelegenheit, öffentlich darüber zu diskutieren, wie es einem demokratischen Rechtsstaat geziemt. So könnte man das Denkmal durch Erläuterungen ergänzen: über den Streit zwischen Japan und Südkorea. Über ihren jeweiligen Umgang mit der Geschichte. Über die gesellschaftliche Stellung von Frauen - damals und heute. Und über die grundsätzliche Frage, ob diplomatische Rücksichtnahme auf Kosten der Meinungsfreiheit gehen darf. Die vermeintliche „Wertepartnerschaft“ zwischen Berlin und Tokio endet dort, wo Grundrechte berührt werden. Sonst kann sie so wenig funktionieren wie einst die berüchtigte Achse.

Wieland Wagner

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