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Russland stellte im April die Gaslieferungen für Polen ein.

© Kacper Pempel/REUTERS

Berlin strebt Vereinbarung mit Warschau an: Gas aus Polens Speichern für Deutschland? Warschau ist skeptisch

Die Bundesregierung arbeitet mit Polen an einem Gas-Solidaritätsabkommen. Doch polnische Politiker halten Berlin energiepolitische Fehler der Vergangenheit vor.

Seit Dienstag ist der Gas-Notfallplan der EU in Kraft. Er sieht vor, dass die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft bis zum kommenden März ihren Gasverbrauch um 15 Prozent reduzieren sollen.

Der Haken dabei: Zunächst einmal handelt es sich um eine freiwillige Vereinbarung – jedenfalls so lange, bis ein „Unions-Alarm“ ausgelöst wird. Für den Fall, dass sich die Versorgungslage etwa im Fall eines kompletten russischen Lieferstopps weiter zuspitzt, sollen die Einsparziele dann verbindlich werden.

Weil aber vorerst das Prinzip der Freiwilligkeit herrscht, setzt die Bundesregierung in der Zwischenzeit auf bilaterale Abkommen mit anderen EU-Staaten, mit deren Hilfe die gegenseitige Gasversorgung gesichert werden soll.

Dabei beruft sich Berlin auf den so genannten Solidaritätsmechanismus: Laut der europäischen Gasverordnung sollen einzelne Mitgliedstaaten im Notfall Gas an Nachbarländer abgeben. Damit soll im Ernstfall die Versorgung von schutzbedürftigen Kunden – etwa Privatkunden – in unmittelbar angrenzenden Mitgliedstaaten sichergestellt werden.

Bereits im Juni hatte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) bei einem Treffen mit seinen Amtskollegen in Luxemburg erklärt, dass Deutschland bereit sei, Nachbarländer wie Tschechien, Österreich, Polen und auch Frankreich mit Gaslieferungen zu unterstützen – und umgekehrt. Habeck möchte mit möglichst vielen EU-Mitgliedstaaten entsprechende Solidaritätsabkommen schließen.

Auch mit Italien werden Gespräche geführt

Sehr weit gekommen ist der Grünen-Politiker dabei bislang allerdings noch nicht. Mit Dänemark und Österreich habe Deutschland bereits Solidaritätsabkommen abgeschlossen, während mit Tschechien „sehr konkrete Gespräche“ geführt werden, sagte eine Sprecherin des Wirtschaftsministeriums dem Tagesspiegel. Ansonsten würden Gespräche mit weiteren Ländern wie Italien oder Polen geführt.

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Insbesondere mit Polen dürften sich die Verhandlungen der Bundesregierung aber noch als schwierig erweisen. Das liegt zum einen an der politischen Großwetterlage in Polen und zum anderen an den Fehlern der deutschen Energiepolitik in der Vergangenheit.

Was die derzeitige politische Grundstimmung in Warschau angeht, so geht die nationalkonservative PiS-Regierung zunehmend auf Konfliktkurs gegenüber der EU.

Morawiecki pocht auf Blockade-Möglichkeit

Schon als Habeck und die übrigen Energieminister der Gemeinschaft im vergangenen Monat die Vereinbarung zum freiwilligen Gassparen trafen, war die polnische Klimaministerin Anna Moskwa nur halbherzig dabei gewesen. Nach dem Treffen der EU-Energieminister in Brüssel stellte Regierungschef Mateusz Morawiecki die getroffenen Beschlüsse wieder in Frage.

Morawiecki will nichts mehr davon wissen, dass bei einer extremen EU-weiten Gas-Mangellage aus der freiwilligen Option zum Energiesparen auch eine Pflicht werden kann.

Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki pocht beim Gas-Sparen auf das Prinzip der Freiwilligkeit.
Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki pocht beim Gas-Sparen auf das Prinzip der Freiwilligkeit.

© Johanna Geron/REUTERS

Erschwert werden die Verhandlungen über ein bilaterales Solidaritätsabkommen zwischen Berlin und Warschau auch dadurch, dass die Regierung in Warschau der Bundesregierung zuletzt weiter ihre energiepolitischen Versäumnisse vorgehalten hat.

Während Deutschland weiter auf die Lieferungen des Staatskonzerns Gazprom angewiesen ist, hat Polen die vergangenen Jahre genutzt, um die Abhängigkeit von Russland zu beenden – etwa mit der Gasröhre „Baltic Pipe“ nach Norwegen.

Vor diesem Hintergrund forderte der Generalsekretär der nationalkonservativen Regierungspartei PiS, Krzysztof Sobolewski, jüngst, dass sich die Bundesregierung zunächst dafür entschuldigen müsse, die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 und 2 stets als rein wirtschaftliches Projekt dargestellt zu haben. Ansonsten sei nicht daran zu denken, dass Polen Gas an Deutschland abgeben könne.

Dagegen hat die polnische Regierung in der Frage der Gas-Solidarität weniger Probleme mit Nachbarstaaten, mit denen sie sich auf Augenhöhe wähnt. Russland hatte bereits im April die Gaslieferungen an Polen und Bulgarien gestoppt.

Zuletzt erklärte Vizeaußenminister Szymon Szynkowski vel Sek, dass Warschau die Vorräte aus seinen gut gefüllten Gasspeichern nur mit jenen Ländern teilen wolle, die in der Vergangenheit Solidarität mit Polen gezeigt hätten. In welchem Maße Polen Gas abgeben könne, lasse sich allerdings erst zu Beginn der Heizperiode sagen, hatte er hinzugefügt.

Polen-Beauftragter Nietan verweist auf Scholz‘ „Zeitenwende“

Der Polen-Beauftragte der Bundesregierung, Dietmar Nietan (SPD), sagte indes mit Blick auf Deutschlands Abhängigkeit vom russischen Gas, dass erst die Bundesregierung unter Kanzler Olaf Scholz (SPD) die „falsche Politik der Regierungen Merkel und Schröder korrigiert“ habe.

Die von Scholz verkündete „Zeitenwende“ justiere viele zentrale Politikfelder völlig neu, darunter vor allem das Verhältnis zu Russland, sagte Nietan dem Tagesspiegel. „Die Warnungen aus Polen hätten von den Vorgängerregierungen natürlich viel früher ernster genommen werden müssen“, räumte er ein.

Nach seinen Worten müsse in der gegenwärtigen Situation aber alles Mögliche unternommen werden, „um zu verhindern, dass Russland die EU schwächt und auseinanderdividiert“. Nietan gab zu bedenken, dass die deutsche und polnische Wirtschaft „sehr eng miteinander verzahnt“ seien.

Falls die Wirtschaft in Deutschland im Zuge eines Gasmangels und noch weiter steigender Energiepreise einbreche, hätte dies „gleichzeitig negative Folgen für die wirtschaftliche Stabilität Polens“, sagte er.

Scharfe Töne aus Warschau im Konflikt mit EU-Kommission

Tatsächlich dürfte die polnische Regierung kein Interesse daran haben, dass der russische Präsident Wladimir Putin die Europäer in der Frage der Gas-Solidarität vorführt. Derweil trägt die Regierungspartei PiS derzeit ihren Konflikt mit der EU-Kommission um die Justizreform auf offener Bühne aus.

Weil die EU-Kommission wegen der fehlenden Garantien zur Reform des Justizwesens weiterhin Zahlungen aus dem milliardenschweren Corona-Wiederaufbaufonds zurückhält, verschärfte die PiS den Ton im Rechtsstaats-Streit erheblich. Generalsekretär Sobolewski erklärte am Montag in einem Interview, man werde im Streit mit der EU-Kommission notfalls „sämtliche Geschütze“ auffahren.

Mehr zur Energie-Krise auf Tagesspiegel Plus:

Polen kann aus dem Corona-Hilfsfonds die Summe von rund 35 Milliarden Euro erwarten. Ob die Summe ausgezahlt werden kann, hängt allerdings an der Reform der umstrittenen Disziplinarkammer, die jeden Richter bestrafen und entlassen kann.

Weil Kritiker befürchten, dass die umstrittene Kammer trotz einer Gesetzesnovelle in anderer Form weiter bestehen bleibt, verlangte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen von Warschau weitere Schritte zur Justizreform.

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