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81, 1 Millionen Menschen lebten zum Jahresende in Deutschland, schätzt das Statistische Bundesamt in Wiesbaden.

© dpa

Berlin hat nun 3,5 Millionen Einwohner: Nachts ran an die Schlaglöcher

„Hammwanich“ ist wieder aktuell: Denn Berlin wächst und wächst – doch die politischen Strukturen wachsen nicht mit. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Werner van Bebber

Gut, dass Berlin so riesig war. Wäre die Stadt nicht einmal groß genug für vier Millionen Einwohner gewesen, würde sich das ständige Einwohnerwachstum von heute anders anfühlen. So viele Menschen nämlich lebten vor 90 Jahren in Berlin – allerdings mit geringeren Ansprüchen an Infrastruktur und Versorgung als heute. Heute sind es 3,5 Millionen. Nicht wenige nehmen den Zustrom als, freundlich gesagt, kräftezehrend wahr.

"Hammwanich" ist wieder aktuell

Mehr Menschen auf der gleichen Fläche – das ist mehr Konkurrenz um Platz in der U-Bahn, um Wohnungen und Häuser, um Kita- und Schulplätze, um Karten für die Berlinale, um die neuen Bücher in der Bibliothek, um einen vorderen Rang im Stau, um einen Tisch beim Lieblings-Japaner. Dass in Berlin die Wendung „Hammwanich“ eine so lange Tradition hat, dürfte mit der Geschichte und der Erfahrung der wachsenden Stadt zusammenhängen. „Hammwanich“ ist wieder aktuell.

Was die Berliner Politik in ein Dilemma gestürzt hat: Einerseits zaubern die Statistiken der wachsenden Stadt jedem Politiker ein Lächeln aufs Gesicht, wirkt doch die Verkündung solcher Daten mitsamt den notorischen Stadtentwicklungskonzepten stets ein wenig wie ein Kompliment für sich selbst: Seht, so attraktiv sind wir.

Andererseits wirkt die wachsende Konkurrenz um alle möglichen Alltags-Notwendigkeiten noch viel nerviger, wenn sie die Politik in einer Phase trifft, in der sie sich Reparaturen an der Infrastruktur vorgenommen hat. An Gebäuden, Straßen, Brücken und am Personal hat die Stadt jahrelang gespart – und das war auch gut so. Ohne die Zumutungen aus den frühen Wowereit- und Sarrazin-Jahren wäre eine Politik des ausgeglichenen Haushalts nie möglich geworden.

Aber so ist das eben. Die Politik der Ressourcenermüdung wirkt nach. Die Stadt ist, was ihre Infrastruktur angeht, ganz einfach ein bisschen kaputt. Und wenn dann noch der letzte Fachmann im Bezirksamt für die Genehmigung von Reparaturaufträgen mit Rückenschmerzen oder Burnout den Dienst einstellt, dann reden die politisch Verantwortlichen gleich wieder von den fatalen Folgen einer jahrelangen Sparpolitik.

Nach Langem fiel mal wieder der Begriff „Bürokratieabbau“

Man könnte stattdessen darüber nachsinnen, wie man trotz steigender Anforderung an Behörden und Bürokraten Dienstwege verkürzt. Am Dienstag hat der Senat erklärt, die „Vergabeordnung“ werde vereinfacht – da fiel nach Langem mal wieder der Begriff „Bürokratieabbau“.

Aber von solchen trivialen Mühen auf der alltagspolitischen Ebene ist in Berlin nur selten die Rede (manchmal fehlt eben doch die FDP). Es ist, als hielten die Manager der großen Koalition das Vereinfachen von Verwaltungsvorgängen für zu klein für dieses Bündnis. Vieles wäre denkbar, wofür die Koalition ihre Wucht nutzen könnte, um den Betrieb in der wachsenden Stadt gängiger zu machen: mehr Autonomie für Schulen zum Beispiel, mehr Großstadtfeeling auf Baustellen (sprich: man kann auch abends und nachts Straßen reparieren), mehr Radikalität, wo es nicht läuft: Die Behörde zur Verkehrslenkung funktioniert seit Jahren nicht? – dann wird diese eben abgeschafft. Das wäre eine politische Denke über den Versuch der Fehlervermeidung hinaus.

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