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Lebenslanges Lernen zur besseren Teilhabe: Dazu gehören auch Computerkurse für Ältere.

© picture alliance / dpa

Berlin bekommt Gesetz zur Erwachsenenbildung: Lebenslanges Lernen wird endlich als Recht verankert

Das war überfällig: Als vorletztes Bundesland stärkt Berlin das Recht auf Bildung für wirklich alle. Was das bedeutet. Ein Gastbeitrag.

Manjiri Palicha ist stellvertretende Vorsitzende des Diversity-Ausschusses des Deutschen Volkshochschulverbands und designierte Leiterin der Volkshochschule Berlin Mitte

Was haben die Großstädte Berlin und Hamburg gemeinsam? Nicht nur kosmopolitisches Flair, hohe Mieten und überfüllte Öffis. Die beiden Stadtstaaten zeichnet die dubiose Besonderheit aus, die einzigen Bundesländer zu sein, die kein Erwachsenenbildungsgesetz haben.

Doch Berlin kann bald sagen: Das stimmt nicht mehr. Denn am 1. August 2021 wird hier ein neues Erwachsenenbildungsgesetz in Kraft treten.

Erwachsenenbildung hat in den letzten Jahrzehnten enorm an Bedeutung gewonnen. Über 90 Prozent der Bevölkerung bezeichnet lebenslanges Lernen in Umfragen als wichtig, so der Erziehungswissenschaftler Bernd Käpplinger. Es ließe sich daher vermuten, dass der Staat viel Geld in Lernangebote für Erwachsene investiert. Man würde falsch vermuten.

Nur ein Drittel Cent pro Euro für die Erwachsenenbildung

Für jeden Euro, der staatlicherseits für Bildung ausgegeben wird, geht ein Drittel Cent an die Erwachsenenbildung. Ja, Sie lesen richtig. Der Anteil der Erwachsenenbildung an den staatlichen Bildungsausgaben in Deutschland lag nach einer Studie des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung vor knapp zehn Jahren bei lediglich 0,34 Prozent.

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Daran hat sich seither nicht viel geändert: Im Jahr 2019 wurden 201,6 Milliarden Euro für Bildung ausgegeben. Davon flossen lediglich etwa 7,4 Milliarden. Euro in „Ausgaben für weitere Bildungsangebote“ wie Horte, Volkshochschulen, Jugendarbeit oder „Bildungsträger im Rahmen der Arbeitsmarktpolitik“, wovon die allgemeine Erwachsenenbildung wiederum nur einen Bruchteil ausmachte.

Noch weniger ging an „Förderung von Teilnehmenden an Weiterbildung“: nur rund 1,6 Milliarden Euro. Dazu passt, dass etwa 75 Prozent der Finanzierung in der Erwachsenenbildung durch Beiträge der Teilnehmenden aufgebracht werden.

Doch Lernen endet weder mit einem Schul- oder Hochschulabschluss noch nach einer Berufsausbildung. Im Gegenteil. Lebenslanges Lernen ist der Schlüssel zur souveränen Teilhabe in demokratischen Gesellschaften.

Was bedeutet also das neue Erwachsenenbildungsgesetz für Berlin und die Berliner*innen? Das Erwachsenenbildungsgesetz (EBiG) legitimiert und verankert die Vision von Lebenslangem Lernen und sagt klar: Lebenslanges Lernen ist kein Plus, sondern ein Muss. Es ist ein Menschenrecht.

Erwachsenenbildung, so das neue Gesetz, „dient der Teilhabe am gesellschaftlichen, politischen und sozialen Leben, an der Arbeitswelt sowie an Kunst und Kultur. Sie fördert die Entfaltung der Persönlichkeit, das Gesundheitsbewusstsein sowie die Fähigkeit zum kritischen Denken und zur Mitgestaltung des demokratischen Gemeinwesens“.

Ein Yoga-Kurs ist genauso wichtig wie Computer-Kurs: Sie unterstützen in Beruf und Alltag

Ein Yoga-Kurs an der Volkshochschule, der Kochkurs zur basischen Ernährung oder ein Spaziergang zur kolonialen Vergangenheit im eigenen Kiez ist also genauso wichtig wie der Kurs zu „Agile Führung 2.0“ oder „Coding für Anfänger*innen“. Das ist kein Luxus, oder etwas „on top“, sondern trägt auch dazu bei, uns in unserem Beruf und Alltag zu unterstützen und an unterschiedlichen Facetten unseres Lebens, unserer Gesellschaft besser teilzuhaben.

Hier ein Integrationskurs an der Volkshochschule in Berlin-Mitte.
Hier ein Integrationskurs an der Volkshochschule in Berlin-Mitte.

© Bernd von Jutrczenka/dpa

Genau diese umfassende Teilhabe an Bildung, die Möglichkeit zu Lebenslangem Lernen wird vom Gesetz allen Berliner*innen versprochen – unabhängig von Herkunft, sozialem Status, geschlechtlicher oder sexueller Orientierung, Alter oder unabhängig davon, ob sie eine chronische Erkrankung oder eine Behinderung haben.

Das neue Gesetz sichert und stärkt die öffentlichen Einrichtungen der Erwachsenenbildung in Berlin. Das sind vor allem die zwölf Berliner Volkshochschulen. Seit über 100 Jahren sind die Volkshochschulen die Institutionen, die für das Recht auf Bildung für alle eintreten, auch für Erwachsene – unabhängig von allen persönlichen Voraussetzungen. Sie betonen immer wieder, dass es ein Recht auf Bildung für alle gibt.

In der VHS-Sprache: Weiterbildung für alle. In diesem "für alle" stecken Dynamik und Auftrag der Volkshochschulen, die für alle da sein müssen und wollen und sich deshalb immer fragen: Wen erreichen wir nicht und warum und wie können wir das ändern?

Der partizipatorische Ansatz hätte noch weiter gehen können

Das Gesetz verspricht einen „partizipatorischen Ansatz“. Ein neuer Erwachsenenbildungsbeirat soll ein Agenda-Setting auf allen Ebenen betreiben – politisch, pädagogisch und zivilgesellschaftlich. Denn Bildung für alle kann nur durch eine Bildung von allen erfüllt werden.

Wichtig und willkommen ist auch die gesetzliche Verankerung der Interessen der Kursleitenden durch eine gewählte Vertretung. Denn alle der etwa 20 300 Kurse, die jährlich an den Berliner Volkshochschulen stattfinden, werden von freien Mitarbeiter*innen durchgeführt, die ihre Kurse zum Teil nebenberuflich, oft aber hauptberuflich als sogenannte Arbeitnehmerähnliche anbieten.

Worüber das Gesetz nicht viel sagt: Wie kann dieses Versprechen des Lebenslanges Lernen vom Staat finanziell abgesichert werden? Es spricht nicht die Frage der Kooperation zwischen den Playern in der Erwachsenenbildung an, die gleichzeitig in Konkurrenz zueinander stehen. Stattdessen werden Bildungseinrichtungen aufgefordert, mehr Drittmittel einzuwerben, um ihre Bildungsangebote zu erweitern.

So wichtig die neue Kursleitendenvertretung ist, die Beteiligung von Teilnehmenden, eine vielerorts in Vergessenheit geratene demokratische Praxis an den Volkshochschulen, sieht das Gesetz leider nicht vor.

Trotz dieser Unzulänglichkeiten ist das Inkrafttreten des Berliner Erwachsenenbildungsgesetzes ein dringend notwendiger und willkommener Schritt, um Platz und Bedeutung des Lebenslangen Lernens in der Stadt zu festigen. Es war an der Zeit, dieses Recht – Bildung für alle – in ein Gesetz zu gießen.

Manjiri Palicha

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