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Österreichs Staatspräsident Alexander Van der Bellen und Bundeskanzler Sebastian Kurz auf einer gemeinsamen Pressekonferenz.

© Hans Punz/AFP

Bericht über Abhöraffäre in Österreich: Wien fordert Aufklärung über BND-Aktivitäten

Der Bundesnachrichtendienst soll über Jahre Ziele in Österreich ausgespäht haben. Die Regierung in Wien spricht von einem "gewaltigen" Ausmaß des Skandals und will Antworten von Deutschland.

Mitten in der Affäre um die Abhörpraxis des US-Nachrichtendienstes NSA hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) einen für ihre Verhältnisse sehr deutlichen Satz gesagt: „Abhören unter Freunden - das geht gar nicht.“ Doch seit dieser Äußerung von 2013 ist längst bekannt geworden, dass auch der Bundesnachrichtendienst (BND) Ziele in befreundeten Staaten ausspähte. Nun ist in Österreich eine Liste bekannt geworden, die das einmal mehr zu bestätigen scheint: Nach Berichten des Nachrichtenmagazins „Profil“ und der Zeitung „Der Standard“ hatte der BND in Österreich mehr als 2000 Telefonanschlüsse und E-Mail-Adressen ins Visier genommen.

Auf der Liste dieser so genannten Selektoren stehen das österreichische Bundeskanzleramt, das Außen- sowie das Innenministerium, Botschaften, internationale Organisationen und Firmen. In den Medienberichten ist von „systematischer Überwachung“ die Rede, die mindestens von 1999 bis 2006 gedauert habe. Die entsprechende Datei des BND sei den beiden Redaktionen „von einer deutschen Quelle zugespielt und von mehreren Seiten als authentisch bestätigt“ worden.

In einem ungewöhnlichen Schritt wandten sich der österreichische Präsident Alexander Van der Bellen und Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) gemeinsam an die Öffentlichkeit und forderten von Deutschland Aufklärung. „Ein Ausspionieren unter befreundeten Staaten ist nicht nur unüblich und unerwünscht, es ist auch nicht akzeptabel“, sagte Van der Bellen. Solche Aktionen würden „auf Dauer das Vertrauen zwischen den Staaten in Frage stellen“. Deutschland müsse nun „Klarheit“ herstellen und offenlegen, ob und in welchem Ausmaß die Spionageaktivitäten stattgefunden hätten. Kurz sprach von einem „gewaltigen“ Ausmaß des Spionageverdachts. Er gehe davon aus, dass Deutschland bereit sei, „diese Vorwürfe aufzuklären und Transparenz zu schaffen“.

Krisentreffen im Wiener Kanzleramt

Zugleich kritisierte der Bundeskanzler, dass nach ersten Verdachtsmomenten 2014 entsprechende Ermittlungen in Österreich nicht erfolgreich abgeschlossen werden konnten, „weil Deutschland eine Kooperation damals verweigert hat“. Wie ernst die Regierung in Wien die Vorwürfe nimmt, zeigt auch die Einberufung eines Krisentreffens im Kanzleramt am Samstag: Kurz beriet mit Innenminister Herbert Kickl (FPÖ), den Chefs der Nachrichtendienste und Vertretern mehrerer Ministerien über den Skandal.

Ein Sprecher der Bundesregierung in Berlin sagte am Sonntag, der in den Medien beschriebene Sachverhalt könne „weder bestätigt noch dementiert“ werden: „Zu operativen Aspekten nachrichtendienstlicher Arbeit nimmt die Bundesregierung grundsätzlich nur gegenüber den zuständigen, geheim tagenden Gremien des Deutschen Bundestages Stellung.“ Das Parlamentarische Kontrollgremium wird sich wahrscheinlich in einer Sondersitzung mit den neuen Vorwürfen befassen.

Auch Botschaften der USA, Frankreichs und Israels auf der Liste

Den Vorwurf der Wirtschaftsspionage wies der Regierungssprecher bereits zurück: Diese habe „weder in der Vergangenheit zu den Aufgaben des Bundesnachrichtendienstes gehört noch ist dies gegenwärtig der Fall“. Auf der nun bekannt gewordenen Selektoren-Liste stehen zahlreiche österreichische Firmen, darunter Waffenhersteller, die Bank Austria und die Raiffeisen Zentralbank. Allerdings ging es dem BND offenbar auch um Aufklärung über Terrorfinanzierung, Geldwäsche und Organisierte Kriminalität. Auf der Selektorenliste stehen außerdem internationale Organisationen wie die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), die Internationale Atomenergiebehörde (IAEO) und die Vereinten Nationen.

Zu den Botschaften, deren Telefonanschlüsse sich auf der BND-Liste finden, zählen nicht nur die Vertretungen des Iran, Nordkoreas und Russlands, sondern auch die Botschaften der USA, Frankreichs, Schwedens und Israels. Sollten diese auch in der Praxis Ziel von Spionageaktivitäten geworden sein – was bisher keineswegs klar ist – , fiele wohl auch das unter das „Ausspähen unter Freunden“.

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