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Ursula von der Leyen (CDU) kommt zur Befragung des Untersuchungsausschusses.

© Bernd von Jutrczenka/dpa

Update

Berateraffäre der Bundeswehr: Wütende Offiziere, Millionen für McKinsey und ein Unschuldslamm

Ex-Verteidigungsministerin von der Leyen sagt im Bundeswehr-Untersuchungsausschuss aus. Die Rekonstruktion eines unglaublichen Falls.

Ursula von der Leyen ist es gewohnt und geübt, das große Bild zu zeichnen und irgendwo hinein in dieses Bild ein paar Graukleckse der Entschuldigung zu hinterlassen, die wiederum das schöne Gemälde nicht hässlich machen. Vor dem Untersuchungsausschuss zur Berateraffäre der Bundeswehr erklärte die aktuelle EU-Kommissionspräsidentin den Abgeordneten am Donnerstag, als sie pünktlich um 13:30 Uhr im Sitzungssaal 3.101 im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus erschien, also zunächst die Weltlage, die sie zu Beginn ihrer Amtszeit vorfand: eine zusammengesparte, personell geschrumpfte Bundeswehr mit marodem Material und ohne Digital-Expertise stand plötzlich den neuen sicherheitspolitischen Herausforderungen mit „hybriden Kriegen“ und „Terror“ gegenüber.

Die Bundeswehr zu digitalisieren und zukunftssicher zu machen – das waren die großen Herausforderungen, die sie auch angegangen sei.

Dann kamen kurz die Grautöne: „Natürlich haben wir dabei auch Fehler gemacht, es gab Vergabeverstöße, unklare Einbettungen Dritter.“ Man habe dann Maßnahmen eingesetzt und reagiert. Kurzum: Aus Sicht von Leyen waren solche Probleme normal. Das sehen nicht alle so.

Der verschlungene Weg der Millionen

Und deshalb kam an diesem Donnerstag der Untersuchungsausschuss zur Berateraffäre der Bundeswehr erneut zusammen, eben um von der Leyen anzuhören.

In dem Ausschuss geht es vor allem um drei Vorwürfe:
1. Ein rechtswidriger Auftragsverfahren in Millionenhöhe
2. Fahrlässige Auslegung von Compliance-Regeln
3. Mögliche Vetternwirtschaft

Viel Licht ins Dunkel der Affäre brachte die EU-Kommissionschefin erwartungsgemäß nicht. Das haben bisher andere getan.

Am Donnerstagmorgen, Punkt 8:30 Uhr, begann zunächst die Befragung von Benedikt Zimmer (58), jetzt Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium und ehemaliger Leiter der Abteilung Ausrüstung.

Zum Thema Compliance, das eine wichtige Rolle bei den Auftragsvergaben an externe Berater spielte, sagte Staatssekretär Zimmer, es habe Widerstand im Hause gegeben, neben dem Beamtenrecht noch zusätzliche Compliance-Regeln einzuführen. Und so wurden sie auch nicht eingeführt.

Best Buddies mit McKinsey

Das ist insofern bemerkenswert, weil es in der Affäre vor allem um die Freundschaften oder Bekanntschaften geht, die leitende Angestellte im Wehrressort mit Beratern hatten, die mit hochdotierten Aufträgen beauftragt worden sind.

Was auch immer am Ende dieses Untersuchungsausschusses herauskommt – die Geschichte ist ein Lehrstück darüber, wie notwendiger Reformeifer zu Kompetenz- und Machtmissbrauch führen kann.

Zwei Welten sind aufeinandergeprallt: Eine eher veraltete Bundeswehr mit großer bürokratischer Verwaltung und vielen Hierarchien und smarte, auf Schnelligkeit, Effizienz und Innovation getrimmte Berater, die keinen Korpsgeist kennen. Etwa 40 Zeugen hat der Ausschuss angehört, mehr als 4000 Akten herangezogen.

Ursula von der Leyen (CDU) im Sommer 2014 - damals war sie noch Bundesverteidigungsministerin.
Ursula von der Leyen (CDU) im Sommer 2014 - damals war sie noch Bundesverteidigungsministerin.

© Bodo Marks/dpa

Ursula von der Leyen wollte die Bundeswehr rundum erneuern und reformieren, dafür holte sie als Staatssekretärin Katrin Suder ins Ministerium, die von der Beraterfirma McKinsey kam. Allein diese Personalentscheidung war eine Sensation – und für die Bundeswehr nur schwer zu ertragen. Für Leyen war sie nur folgerichtig, sie kannte Suder bereits, weil diese auch das Arbeitsministerium beraten hatte, als Leyen diesem als Ministerin vorstand.

Was zum Thema wichtig ist - der Überblick:

  • Das Diensthandy der Ex-Ministerin von der Leyen sollte als Beweismittel gesichtet werden.
  • Noch ist unklar, ob die Berateraffäre ein juristisches Nachspiel hat.
  • Ursula von der Leyen sagt: Es gab keine vorlagepflichtigen SMS.
  • Ihre ehemalige Staatssekretärin sieht keinen Compliance-Konflikt.

Der „Spiegel“ schreibt, dass Suder „zahlreiche Weggefährten aus McKinsey-Zeiten ins Ministerium lotste und ihre ehemalige Firma millionenschwer Aufträge aus dem Wehrressort erhielt“. Ursula von der Leyen soll frühzeitig über „Unregelmäßigkeiten“ informiert gewesen sein. Sie selbst hatte das in einer vertraulichen Sitzung bereits im Januar 2018 vor dem Verteidigungsausschuss angedeutet. Da gab es noch keinen U-Ausschuss.

Berater steigerte Firmenertrag von halber Million auf 20 Millionen Euro

Einer der auffälligsten Figuren ist der Berater Timo Noetzel, der wie Suder bei McKinsey gearbeitet hatte und dann zur Konkurrenzfirma Accenture gewechselt war, nachdem Suder Staatssekretärin geworden war. Das Nachrichtenmagazin schreibt: „Noetzel steigerte den Ertrag seiner Firma mit dem Kunden Bundeswehr innerhalb weniger Jahre von 459.000 Euro auf 20 Millionen Euro.“

Offenbar haben die neuen Leute im Wehrressort die Verantwortung dafür getragen, dass, wie der Bundesrechnungshof sagt, das Ministerium durchgehend von „bestimmten Beratungsunternehmen und Einzelpersonen“ unterstützt worden sei und explizit und „häufig“ auf bestimmten Beratern bestanden habe.

Auch der Umgang der „Neuen“ mit den übrigen Mitarbeitern soll ranghohen Bundeswehrleuten aufgestoßen sein. Es soll etwa massive Beschwerden über Noetzel gegeben haben.

Wehrressort liegt bei Beraterkosten auf Platz 1

Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die für die FDP im Ausschuss sitzt, erinnert sich an Zeugenbefragungen, die sie erschüttert hätten etwa die eines Vier-Sterne-Generals, der heute bei der Nato ist, und im Wehrressort für die Einhaltung der Compliance-Regeln zuständig war. Der Brigadegeneral soll sinngemäß gesagt haben, es sei in der Bundeswehr in Vergessenheit geraten, dass es ihn und seine Stelle überhaupt gebe.

Katrin Suder wiederum hat in der letzten Ausschusssitzung die Vergabepraxis gerechtfertigt. Sie sagte: „Externe Berater waren immer ein Mittel, nie die Strategie.“ Die Beratungsausgaben seien während ihrer Zeit zwar gestiegen, im Vergleich zum gestiegenen Beschaffungsvolumen sei dieser Anstieg aber unterproportional gewesen.

Katrin Suder, ehemalige Staatssekretärin im Verteidigungsministerium
Katrin Suder, ehemalige Staatssekretärin im Verteidigungsministerium

© Kay Nietfeld/dpa

Das Wehrressort lag 2019 mit 154,9 Millionen Euro auf Platz 1 aller Bundesministerium bei der Bezahlung von externen Beratern. Insgesamt gab die Bundesregierung, das geht aus einer Antwort des Finanzministeriums auf Anfrage des Linken-Abgeordneten Matthias Hohn hervor, eine halbe Milliarde Euro für Berater aus.

Suder hatte bei der vergangenen Ausschuss-Sitzung auch ihre Freundschaft mit dem Unternehmensberater Timo Noetzel als unproblematisch bezeichnet, obwohl sie laut Medienberichten Taufzeugin seiner Kinder war und andere hochrangige Mitarbeiter im Ministerium, die sich alle von früher kannten, Paten wurden.

„Persönliche Beziehungen gibt es, das ist normal“

Noetzel hatte ausgesagt, Katrin Suder habe ihre Bekanntschaft „bei der Compliance“ im Ministerium angemeldet. Suder wiederum bestätigte, dass sie „generell“ offengelegt habe, dass sie Beauftragte von früher kenne, konnte sich aber nicht erinnern, wo genau sie dies angezeigt habe. Auch Zimmer konnte dazu am Donnerstag wenig sagen, nur so viel, dass klar war, wer sie gut kannte.

Zimmer, selbst ehemaliger Offizier, sagte: „Persönliche Beziehungen gibt es, das ist normal.“ So lange daraus keine rechtswidrigen Vorgehen entstehen, sei das auch völlig in Ordnung.

Von der Leyen sagte im Untersuchungsausschuss auf die Frage, ob Suder ihr von ihrer guten Bekanntschaft zu Noetzel erzählt habe, kurz und knapp: „Nein.“ Über „Kennverhältnisse“ habe sie nie mit ihr geredet, das sei gar nicht nötig gewesen. „Ich habe gewusst, dass sie von McKinsey kommt, und damit wusste ich, dass sie da transparent sein wird.“

Timo Noetzel.
Timo Noetzel.

© Universität Konstanz

Einer der im Rückblick mindestens irritierenden Entscheidungen war die geplante Privatisierung der drei Panzerwerkstätten der Bundeswehr eingebettet in die Heeresinstandssetzungslogistik (HIL). Zimmer führte am Donnerstag aus, dass es aus fachlicher Sicht lange klar war, dass man diesen Verkauf anstrebe und dazu auch externe Hilfe brauche, weil man keine Erfahrungen habe im Verkauf von GmbHs.

Für diese Beratertätigkeiten wurde sehr viel Geld ausgegeben, laut Medienberichten zwischen 20 und 40 Millionen Euro. Allerdings war die Veräußerung auch ein großes Thema der damaligen saarländischen Ministerpräsidenten Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) im saarländischen Wahlkampf 2017.

Kramp-Karrenbauer versprach, sich dafür einzusetzen, dass die Standorte, die auch im Saarland angesiedelt sind, nicht verkauft werden.

AKK will weniger externe Expertise

Als sie Bundesverteidigungsministerin wurde, gehörte es zu ihren ersten Amtshandlungen, die geplante Privatisierung zu stoppen. Auf der Bundeswehrtagung vor einigen Tagen betonte die CDU-Chefin zudem, dass man wieder mehr selbst machen und weniger auf externe Expertise angewiesen sein möchte.

Offenbar gab es jedenfalls innerhalb des Wehrressorts großen Einfluss dieser externen Berater. Benedikt Zimmer, Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium und ehemaliger Leiter der Abteilung Ausrüstung, wiederum gab zu Protokoll, dass seine unmittelbare Vorgesetzte Suder immer betont habe, es entscheide allein die „Bundesvergabestelle“. Er, Zimmer, habe keinen Zweifel daran, dass Suder niemals versucht habe, Einfluss auf Entscheidungen zu nehmen.

Der „Spiegel“, wie auch die „Welt“, hatten berichtet, dass aus dem Ministerium Druck ausgeübt worden sei, bestimmte Firmen oder Personen auszuwählen. Diese „Wünsche“ waren auch dem Bundesrechnungshof aufgefallen.

Und deshalb spielt da auch noch das alte Dienst-Handy der heutigen EU-Kommissionspräsidentin eine Rolle, dessen Daten gelöscht worden sind, weshalb nach „Tagesspiegel“-Informationen mindestens die FDP prüft, ob sie das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe anrufen soll. Minister sind gesetzlich verpflichtet, die Telefone nach Ende ihrer Amtszeit zurückzugeben. Im Dezember war bekannt geworden, dass die Handydaten von beiden Diensttelefonen gelöscht wurden.

Liberalen, wie auch Linke und Grüne, die gemeinsam den Ausschuss durchgesetzt haben, vermuten, dass auf dem Handy Informationen gewesen sein könnten, die womöglich beweisen würden, dass Leyen früh informiert und involviert gewesen war. Und damit verantwortlich.

Ein Fall für die Staatsanwaltschaft?

Strack-Zimmermann sagt: „Deshalb sind auch die SMS von Frau Leyen und ihr Handy so wichtig.“ Dem Ausschuss fehlt bisher eine sogenannte Vollständigkeitserklärung darüber, dass dem zur Verfügung gestellten Material aus dem Ministerium nichts fehle.

Ursula von der Leyen
Ursula von der Leyen

© dpa/AP/Francisco Seco

Das Ministerium, klagt die FDP-Politikerin, könne alleine auslegen, ob es dem Rahmen des Untersuchungsauftrags entsprechend ausreichend Material zur Verfügung gestellt habe. Nun sollen die FDP-Juristen prüfen, ob aufgrund der fehlenden Daten vom Handy der Ex-Ministerin ein Gang nach Karlsruhe Sinn macht.

Ursula von der Leyen hat kurz vor dem Termin im Untersuchungsausschuss am Donnerstag eine Erklärung abgegeben, auf die die Mitglieder lange gewartet haben: Sie habe das Handy „nach bestem Wissen und Gewissen überprüft“, es hätten sich „keine im Sinne der Beweisbeschlüsse vorlagepflichtigen SMS“ darauf befunden.

Ein Untersuchungsausschuss kann im besten Fall politische Verantwortungen herausarbeiten und bewerten – doch wird der Abschlussbericht, den FDP, Grüne und Linke zusammenschreiben wollen und der bis Juni fertig sein soll, auch an die Staatsanwaltschaft gehen.

Opposition kritisiert von der Leyens Vorgehen

Am Donnerstag, während und nach der Befragung der Ex-Ministerin, mussten die Abgeordneten vor allem der Oppositionsparteien ein bisschen ihre Empörung spielen – denn sie hatten geahnt, dass aus der EU-Kommissionspräsidentin nichts herauszubekommen zu wird. Der Grünen-Verteidigungsexperte Tobias Lindner kritisierte deshalb auch das Große und Ganze und von der Leyens Vorgehen bei der Modernisierung der Bundeswehr: Unter ihrer Führung sei im Ministerium „ein Klima des Zeit- und Erfolgsdrucks geschaffen worden, in dem sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter teilweise nicht anders zu helfen wussten, als gegen Recht und Gesetz zu verstoßen“. Linke und FDP zeigten sich „enttäuscht“ vom Auftritt Leyens, „das war eindeutig zu wenig“, sagte Marie-Agnes Strack Zimmermann und fand es unmöglich, dass die ehemalige Ministerin ihrer Ex-Staatssekretärin nach wie vor „Bravour“ und „Brillanz“ attestiert hatte.

Beim Abschied Suders, die 2018 aus persönlichen Gründen ihren Posten als Rüstungsstaatssekretärin aufgab, sagte Leyen: „Sie haben vor allem Transparenz geschaffen. Transparenz insofern als das Sie in der Tat in jede dunkle Ecke auch geleuchtet haben und Transparenz ist ja nicht nur was Schönes. Transparenz heißt ja nicht nur durch die rosa Brille sich die Dinge anschauen, sondern auch eingestehen, dass es schwierig ist - wo die Defizite sind, wo die Probleme sind. Das muss man aushalten, denn bei uns ist alles öffentlich und deshalb ist es nicht immer einfach.“

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