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Der verwüstete Wahlkampfstand von Henriette Reker nach dem Attentat auf sie.

© Wolfgang Rattay/rtr

Beleidigung, Bedrohung, Attentate: Lokalpolitiker leben gefährlich

Drohungen, Hassmails und Angriffe mit Messern oder Knüppeln, aufs Wahlkreisbüro oder Auto: Wer sich für das Gemeinwohl einsetzt, ist besonders gefährdet.

Die Liste ist lang. Da war der Fall von Thomas Purwien, dem ehemaligen SPD-Vorsitzenden im münsterländischen Bocholt. Ende 2016 trat er von seinem Amt zurück, nachdem er mit Hassmails überschüttet worden war: Beschimpfungen und Morddrohungen, auch gegen seine Familie. Oder der Fall des Bürgermeisters der Gemeinde Oersdorf in Schleswig-Holstein, der mit einem Knüppel krankenhausreif geschlagen wurde. Zuvor hatte er Drohbriefe erhalten, in denen unter anderem „Oersdorf den Oersdorfern“ stand. Oder der SPD-Landrat aus dem hessischen Main-Kinzig-Kreis, der wegen seiner flüchtlingsfreundlichen Haltung in anonymen Schmähbriefen übel beschimpft und bedroht worden war. Er zog sich aus der Politik zurück.

Kommunalpolitiker in Deutschland leben gefährlich – besonders seit Beginn der Flüchtlingskrise. „Auch wenn der Höhepunkt der Übergriffe im Jahr 2016 lag, blieb die Bedrohungslage 2017 auf hohem Niveau“, sagt Uwe Lübking, Sicherheitsexperte des Deutschen Städte- und Gemeindebundes (DStGB). Zuletzt belegte das der Messerangriff mit einer 30 Zentimeter langen Klinge auf Andreas Hollstein, den Bürgermeister der Kleinstadt Altena. Ohne das Eingreifen zweier Imbissbudenbesitzer würde er wohl nicht mehr leben. Der drastischste Vorfall dieser Art war der Angriff auf Henriette Reker, Kölns Oberbürgermeisterin, die 2015 ein Messer in den Hals gerammt bekam und mehrere Tage im Koma lag.

Abschließende Zahlen für 2017 liegen noch nicht vor, eine Anfrage nach bisherigen Fallzahlen in diesem Jahr ließ das Bundeskriminalamt unbeantwortet. Es gibt aber Statistiken, die einen Eindruck vom Ausmaß der Bedrohung geben: Für das Jahr 2016 hieß es auf eine Frage der Grünen-Bundestagsabgeordneten Irene Mihalic, dass Amts- und Mandatsträger 755 Mal Opfer von rechts-motivierten Übergriffen wurden. Für das erste Halbjahr 2017 zählte das BKA 205 politisch motivierte Straftaten gegen „Parteieinrichtungen und Repräsentanten der im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien“. Noch nicht erfasst in dieser Statistik ist die AfD, deren Parteibüros ebenfalls häufig Ziel von Angriffen sind.

„Das sind Angriffe gegen unseren demokratischen Staat"

Aufschluss gibt auch, was Kommunalpolitiker selbst berichten. In einer Umfrage des DStGB unter 1000 deutschen Bürgermeistern gaben 2016 sechs Prozent an, sie selbst, Mitarbeiter oder Vertreter des Gemeinderats seien bereits körperlich angegriffen worden. 20 Prozent berichteten von Einschüchterungsversuchen und fast die Hälfte von Beleidigungen und Beschimpfungen in Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise.

Der DStGB fordert die Politik auf zu handeln. „Das sind Angriffe gegen unseren demokratischen Staat. Wenn Menschen aus Angst nicht mehr bereit sind, sich für unser Gemeinwesen einzusetzen, bekommen wir ein Problem“, sagt Lübking. Mehr als die Hälfte der Kommunalpolitiker fühlten sich mit dem Problem allein gelassen. Bei vielen Übergriffen würden die Verfahren von der Staatsanwaltschaft eingestellt. Der DstGB-Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg sei nach gegen ihn ausgesprochenen Drohungen auf den Privatklageweg verwiesen worden.

Der DStGB fordert eine Gesetzesverschärfung und ein konsequentes Vorgehen der Strafverfolgungsbehörden bereits bei verbalen Bedrohungen. Schließlich folgten auf Beschimpfungen in den sozialen Medien nicht selten Einschüchterungsversuche und im schlimmsten Fall sogar tätliche Übergriffe. Zudem regt der DStGB an, die in diesem Jahr beschlossene Strafverschärfung bei Angriffen auf Rettungskräfte, auf alle Angriffe auszuweiten, „die sich gegen Menschen richten, die sich für das Gemeinwohl einsetzen“, so Lübking. Das könnten Bürgermeister sein, aber auch ehrenamtliche Flüchtlingshelfer.

Notwendig sei es aber auch, mehr Personal bei den Staatsanwaltschaften und Gerichten einzustellen. „Die sind bis oben voll mit Arbeit.“ Auch für die Polizei sei es frustrierend, wenn sie einen Täter ermittle, der dann nicht vor Gericht komme.

Inzwischen gibt es spezielle Sicherheitsempfehlungen für Lokalpolitiker

Wie groß das Problem der Gewalt gegen Kommunalpolitiker ist, zeigt sich auch daran, dass das Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz mittlerweile Sicherheitsempfehlungen herausgegeben hat, mit denen sich Amtsträger im Alltag schützen können. Denn anders als Spitzenpolitiker haben sie keinen Polizeischutz. Zu den Empfehlungen gehört etwa, keine Spaziergänge an abgelegenen Orten zu machen, vor dem Losfahren mit dem Auto immer erst Lenkung, Bremssystem und Radmutter zu kontrollieren und keine verdächtigen Pakete zu öffnen. Zudem sollten Drohungen und Beleidigungen sofort angezeigt werden, da sie der Anfang einer Straftatenreihe sein könnten. Laut Lübking machen viele Kommunalpolitiker den Fehler, Droh- und Hassbriefe einfach in den Müll zu werfen.

Doch selbst wenn die Politik das Thema nun stärker in ihren Fokus rückt, kommt das für manche Kommunalpolitiker zu spät – sie haben bereits resigniert. So auch Markus Nierth, der Bürgermeister des Ortes Tröglitz in Sachsen-Anhalt. 2015 hatten dort über Wochen Neonazis gegen eine geplante Flüchtlingsunterkunft demonstriert. Eine Kundgebung sollte vor Nierths Haus enden. Das Landratsamt hätte die Versammlung verbieten können. Doch das tat es nicht. Und so teilte Nierth mit, den hasserfüllten Parolen von mehr als 100 Neonazis und dem Anblick von bewaffneten Polizisten, wolle er seine Familie nicht aussetzen. Nierth trat zurück, der Aufmarsch vor seinem Haus wurde abgesagt. Die geplante Flüchtlingsunterkunft brannte trotzdem.

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