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Wie soll der nächste Bundestag gewählt werden?

© John MacDougall/AFP

Begrenzung der Sitzzahl im Bundestag: Neuer CDU-Vorschlag für Wahlrecht stößt auf Ablehnung

Der CDU-Rechtspolitiker Günter Krings plädiert für das Grabenwahlsystem. FDP, Linke und Grüne widersprechen - weil nur eine Partei profitieren würde.

Günter Krings ist Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesinnenministerium. Als es im Vorjahr um eine Nachbesetzung am Bundesverfassungsgericht ging, war sein Name im Gespräch. Zudem ist er als Chef der nordrhein-westfälischen Landesgruppe einer der einflussreichen Politiker in der Unions-Bundestagsfraktion. Als Rechts- wie als Parteipolitiker hat seine Stimme also Gewicht. Auch beim Wahlrecht.

In die Debatte um eine Begrenzung der Sitzzahl des Bundestags durch eine Wahlrechtsreform hat er nun mit einem Gastbeitrag in der heimischen „Rheinischen Post“ (Krings vertritt den Wahlkreis Mönchengladbach) eingegriffen – und einen deutlichen Systemwechsel hin zum Grabenwahlrecht vorgeschlagen. Dabei wird eine Hälfte der Mandate per Mehrheitswahl vergeben, die andere Hälfte nach Verhältniswahl. Hintergrund ist der Aufwuchs des Bundestags auf 709 Mandate bei der Wahl 2017 - 111 mehr als die Mindestsitzzahl des Bundestag von 598.

Krings verwendet in seinem Beitrag den Begriff Grabenwahlsystem nicht, sondern spricht von „echtem Zweistimmen-Wahlrecht“. Er sieht seinen Vorschlag als Fortentwicklung der geltenden personalisierten Verhältniswahl hin „zu einer klaren und für jedermann verständlichen Kombination von Mehrheits- und Verhältniswahl“. Drei Ziele will Krings erreichen: eine feste Bundestagsgröße, Bürgernähe durch Beibehalt aller Wahlkreise sichern, ein einfacheres Wahlsystem als derzeit – wobei ihm hier vor allem das komplexe Sitzzuteilungsverfahren missfällt, das „nur noch nach einem kombinierten Jura- und Mathematikstudium zu verstehen“ sei.

Mit dem Grabenwahlsystem – oder laut Krings dem „echten Zweistimmen-Wahlrecht“ – könnten all diese Ziele erreicht werden. Der CDU-Mann verschweigt auch nicht, wer aktuell davon profitieren würde: die Union nämlich. „Nimmt man das Ergebnis der vergangenen Bundestagswahl, so hätte es zu einer absoluten Mehrheit für die CDU/CSU geführt.“  Oder anders gesagt: Aus einem Zweitstimmenergebnis von 33 Prozent wäre per Grabensystem eine Sitzmehrheit von mehr als der Hälfte geworden.

Deutlicher Vorteil für Union

Das kommt eben durch die Trennung von Mehrheits- und Verhältniswahl (während im aktuellen System der personalisierten Verhältniswahl eine Verrechnung beider Wahlarten stattfindet, sodass der Parteienproporz gemäß den Zweitstimmen gewahrt wird). CDU und CSU haben 2017 zusammen 231 der 299 Direktmandate in den Wahlkreisen gewonnen, 59 gingen an die SPD, fünf an die Linken, drei an die AfD, eins an die Grünen.

So wäre nach dem Krings-Vorschlag per Mehrheitswahl die eine Hälfte des Bundestages besetzt. Die andere Hälfte würde nach Verhältniswahl zusammengestellt: 104 Unions-Mandate zusätzlich wären das gewesen, 64 für die SPD, 40 für die AfD. Die FDP wäre in dieser Zuteilung bei 34 Sitzen gelandet, die Linke bei 29 Mandaten, für die Grünen hätte es noch 28 Abgeordnete gegeben. Die Zusammensetzung des Bundestags in der Addition beider Wahlvorgänge (Mehrheits- und Verhältniswahl): Union 335 Sitze, SPD 123, AfD 43, FDP und Linke je 34, Grüne 29. Macht bei 598 Gesamtsitzen (die gesetzliche Sollzahl des Bundestags) eine Unions-Mehrheit von 56 Prozent der Mandate. Krings verweist darauf, dass das Grabenwahlsystem 1998 der SPD zu einer solchen Sitzemehrheit verholfen hätte, ohne tatsächlich eine entsprechende Zweitstimmenmehrheit gehabt zu haben.

Ergänzt sei, dass das Grabenwahlsystem keineswegs selten angewendet wird. So ist es in Russland, Japan und Mexiko geltendes Recht, auch in Italien und einem guten Dutzend weiterer Länder, in Variationen. Sein Zweck ist in der Regel, einer schon dominierenden Partei ganz zur Mehrheit zu verhelfen oder aber in zersplitterten Parteiensystemen die stärkste Partei nochmals so zu stärken, dass sie als eine Art Ankerpartei im Parteiensystem fungieren kann. Eine solche Prämie für die stärkste Partei ist in den internen Debatten der Union schon länger ein Favorit. Das Reformmodell des damaligen Bundestagspräsidenten Norbert Lammert (CDU) etwa ging in eine ähnliche Richtung.

"Das Kalkül geht nicht auf"

Aber eine Mehrheit wird es im Bundestag dafür nicht geben. Keine andere Fraktion wird den Krings-Vorschlag übernehmen, weil er - wie auch unlängst der Vorschlag von Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) - die Kernforderung aller anderen Parteien im Parlament ignoriert: Sie wollen, dass der Zweitstimmenproporz sich in der Gesamtmandatsverteilung möglichst genau widerspiegelt. Und dagegen verstößt ein Grabenwahlrecht deutlich. Der FDP-Wahlrechtsexperte Stefan Ruppert sagte dem Tagesspiegel: „Ich bin zutiefst dagegen.

Günter Krings bläst nun zum Angriff, nachdem sich die Union in der bisherigen Wahlrechtsdebatte völlig verrannt hat. Diese Schublastumkehr im Wahlrecht wird den Bürgern nicht zu vermitteln sein.“ Es sei der Versuch, ausgerechnet nach dem historisch schlechten Unions-Wahlergebnis von 2017 nun einer absoluten Mehrheit der Union den Weg zu ebnen. Ruppert ist aber auch sicher, dass das Kalkül gar nicht aufgehen würde. „Das Modell würde die Union langfristig eher schwächen, weil sie in der Breite gar nicht mehr das Personal hat, Wahlkreise gegen dann entstehende Wahlkreisbündnisse anderer Parteien zu verteidigen.“

"Wie kann man auf die Idee kommen..."

Britta Haßelmann, Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, sagte dem Tagesspiegel: "Wie kann man auf die Idee kommen, dass die anderen Fraktionen im Bundestag diesen Vorschlag als Grundlage für eine Einigung akzeptieren?" Krings komme "mit einem alten Hut um die Ecke" - er hatte 2011 den Vorstoß schon einmal gewagt. "Krings geht drei Schritte hinter die Vereinbarung in der Wahlrechtskommission zurück, einen Kompromiss auf der Basis des personalisierten Verhältniswahlrechts zu suchen", ergänzte Haßelmann. Die Wahlrechtskommission war eine Runde von Fraktionsvertretern unter Vorsitz von Schäuble, die allerdings zu keinem Ergebnis fand.

Auch der Linken-Abgeordnete Friedrich Straetmanns weist den Krings-Vorstoß zurück. „Ich bin entsetzt über den Beitrag“, sagte er dem Tagesspiegel. Das Fazit des Linken-Politikers, der seine Fraktion in der Arbeitsgruppe der Wahlrechtsreformer um Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble vertreten hat: „Das Grabensystem verstößt gegen Grundsätze des Wahlrechts, wie sie das Bundesverfassungsgericht für die personalisierte Verhältniswahl formuliert hat.“ Zwar spreche Krings von Fortentwicklung der personalisierten Verhältniswahl, aber es komme dann ein ganz anderes Modell zum Vorschein.

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